„Parsifal“ Wiener Staatsoper, Foto: Michael Pöhn
Vor nun zwei Jahren inszenierte der russische Regisseur Kirill Serebrennikov Wagners „Parsifal“ als Befreiungsoper und Plädoyer für den Humanismus. Warum Wagners letztes, schönstes Werk uns heute immer noch – besonders in dieser kontroversen, lebendigen Inszenierung – endlos viel zu sagen hat.
Wiener Staatsoper, 9. April 2023
Richard Wagner
Parsifal
Musikalische Leitung: Philippe Jordan
Orchester der Wiener Staatsoper
Regie, Bühne & Kostüme: Kirill Serebrennikov
von Leander Bull
„Alles schreit“, so beschrieb Richard Wagner das Thema seiner letzten Oper Parsifal. Eine verzweifelte Aussichtslosigkeit steht am Anfang dieses Werks. Die Gemeinschaft der Gralsritter hat einen König, dessen ewige Wunde sich nicht schließen will. Nur das prophezeite Auftauchen des „reinen Toren“ Parsifal spendet Rittern wie Gurnemanz Hoffnung, ein leises Versprechen zwischen Wagners endlos schönen, kühlen, doch mystischen Klängen.
Der Parsifal ist nicht so leicht wie ein weiteres, abgeschlossenes Kapitel der Kunstgeschichte zu begreifen. Dieses heilige Werk, verachtet von Religionskritikern wie Friedrich Nietzsche, ist berührend, vermag zu ändern, die es hören, ist auch ebenso schwer, schmerzlich, ja, es ist eine erschütternde Schlinge, aus deren Bann man sich nicht lösen kann. Mit anderen Worten: eine Wunde.
Als die aktuelle Inszenierung der Wiener Staatsoper vor nun zwei Jahren entstand, befand sich Regisseur Kirill Serebrennikov noch im Hausarrest, vom russischen Regime verfolgt. Die Inszenierung erfolgte per Videoschaltung online und wurde durch die Maßnahmend der Corona-Pandemie zusätzlich erschwert – trotzdem gelang die Aufführung.
Man muss im Parsifal-Stoff nur etwas tiefer graben, und schon entdeckt man zwischen Gral, Speer, Wunde und Prophezeiung das heilige Mitleid, die wahre Erlösung und den grenzenlosen Humanismus, der in Wagners Werk steckt. Diesem Projekt verschreibt sich Serebrennikov voll und ganz, selbst wenn es nicht immer so scheint.
Auf der Bühne und den darüber bespielten Projektionsflächen für Videomaterial ist viel Düsteres zu sehen. Gewalt, Nacktheit, Hässlichkeit, verstörende, grenzenlose Rohheit. Dabei wird das Geschehen von der Gralsburg in ein heruntergekommenes Gefängnis verlegt, in dem sich Ausgestoßene befinden – „toxische Männlichkeit“, das Buzzword der Stunde, scheint hier angemessen, denn es ist ein Hauen und Stechen unter den Häftlingen. Mehr lässt sich die selige Gralsritterschaft vermutlich kaum verfremden. Das alles ist schreckenserregend, doch auch ästhetisch und kinematographisch aufs Feinste herausgearbeitet. Der Regisseur schafft einen distinkten, eigenen Stil, der unvergesslich ist.
Dabei nimmt Serebrennikov das Werk ernst, sehr ernst, denn alles schreit hier. Einzig die Prophezeiung „Durch Mitleid wissend, der reine Tor“ ist im dreckigen Gefängnis an die Wände geschmiert. Hier gibt es keinen Gral, die Klage der Häftlinge ist noch dramatischer als bei Wagner. Die Realität ist hier hässlicher, schlimmer noch, als das Libretto.
Irgendwann werden zum Ende des ersten Akts hin einige Pakete ins Gefängnis geliefert. Die Häftlinge schlafen und die gewaltbereiten Wachen schlitzen ein Päckchen nach dem anderen auf. Dabei witzeln sie, entdecken einen Teppich, rauchen Zigaretten, alles banal, heruntergekommen wie der Rest. Dann wird ein weiteres Paket aufgerissen, aus dem plötzlich der heilige Gral herausgehoben wird. Hell erstrahlt er in den düsteren Gefängnismauern, während die Insassen aufwachen und entrückt, stumm wie auch die Wächter, das heilige Gefäß bestaunen. Ein Moment, eigentlich banal, doch zutiefst irreal. Inmitten dieser grausamen Finsternis zeigt sich das Göttliche unerwartet und blitzt überraschend auf.
Genau in diesem wahrhaftig religiösen Moment offenbart sich der Kern der Inszenierung. Der Regisseur zieht das Werk durch den Dreck, doch selbst in der ärgsten Düsternis ist die göttliche Idee der Freiheit zu spüren. Dazu dienen auch die Videoprojektionen, die die Häftlinge bei ihrem Tagesablauf zeigen. „Zum Raum wird hier die Zeit“ wird im Gefängnis Realität. Sie stehen auf, waschen, schlagen sich, schlitzen sich gegenseitig auf, stechen sich Tattoos, nähen sich die Münder zu. Natürlich werden hier Assoziationen zum russischen Regime aufgerufen, doch Serebrennikovs Datierung des Werks schafft es paradoxerweise, seinen zeitlosen Gehalt noch weiter herauszukristallisieren.
Dabei schauen diese furchteinflößenden Insassen mehrmals direkt in Portraitaufnahmen in die Kamera. Keiner dieser Häftlinge ist sympathisch, man wäre froh, sie weit entfernt eingesperrt zu sehen, doch blitzt da in ihren Augen nicht auch ein Funken Menschlichkeit auf? Hoffen sie nicht auch auf Freiheit und Erlösung?
In Zeiten, in denen selbsternannte „Politikwissenschaftler“ durch die Talkshows tingeln und angesichts des russischen Angriffskrieges behaupten, die Russen hätten eben einen „anderen Zugang zur Gewalt“ und seien einfach „kulturell anders“ als wir Europäer, erstrahlt der Universalismus dieser Oper hell. Auch ein regimetreuer, junger Russe, der an die Front geschickt wird, kann und muss die Chance auf Besserung und Erlösung haben. Wenn nicht, so Serebrennikovs Inszenierung, ist die Hoffnung voll und ganz verloren. Das sind die „westlichen Werte“, von denen wir so gerne sprechen.
Dabei bleibt auch die Figur des reinen Toren Parsifal nicht von der Finsternis verschont. Erlegt er bei Wagner noch zu Beginn ganz naiv einen Schwan, so begeht er in Serebrennikovs Version einen Mord. Ein dürrer, ausgestoßener Häftling nähert sich ihm in der Dusche homoerotisch, und Parsifal schlitzt ihm mit einer Rasierklinge die Kehle auf. Auch hier zieht Serebrennikov das Werk durch den Dreck und macht es dadurch umso stärker, steigert es, da selbst dieser brutale Parsifal sich im Laufe der Oper vom reinen Toren zum Gralskönig verwandeln kann. Dieser Humanismus ist kompromisslos und radikal.
Dabei sehen wir die Figur des Parsifal auf der Bühne doppelt. Einerseits haben wir da den durchtrainierten, sprunghaften jungen Parsifal, schauspielerisch verkörpert von Nikolay Sidorenko – daneben den älteren Parsifal, besonders an zarten Stellen wunderbar gesungen von Klaus Florian Vogt. So sehen wir nicht nur einen Rückblick des älteren Parsifal auf sein jüngeres Ich, sondern ebenfalls einen Abgleich im Hier und Jetzt zwischen dem erotisch aufgeladenen, jungen Hansdampf und dem reifen, fast gebrochen wirkenden, Mann.
Parsifal muss im Laufe von Wagners Oper lernen, seine eigenen Begierden zurückzustellen und sich dem heiligen Amt gegenüber zu verantworten. „Das Selbst ist sich erst als aufgehobenes wirklich“, schreibt Hegel, und genau so erleben wir die zentrale Figur des Werks hier. Zuweilen schauen sich Sänger und Schauspieler an und verkennen sich; nie ist man mit dem eigenen Ich ganz deckungsgleich, immer stimmt etwas im Abgleich nicht. Dabei nimmt Serebrennikov beide Facetten der Figur auf und verfeinert sie. Sowohl der reine Tor, als auch der Gralskönig, der durch die reinste Kraft des höchsten Mitleids wissend wird, sind hier in vollem Umfang erlebbar.
Dabei verliert sich Parsifal in den oberflächlichen Exzessen der medialen Welt im zweiten Akt. Der böse Zauberer Klingsor, bescheiden gesungen von Derek Welton, ist hier ein Medienmogul, dessen Journalistinnen, bei Wagner Blumenmädchen, versuchen, Parsifal zu verführen. Dabei zwingen sie ihn in eine schicke, schwarze Lederhose, mit der er zum Posterboy stilisiert wird. Das ist alles sehr weit weg vom Text. Auch gibt es keinen heiligen Speer. Klingsor ist in dieser Inszenierung der wunde Punkt, mit ihm weiß Serebrennikov sichtlich am Wenigsten anzufangen, doch das verführerische Duett zwischen Parsifal und der Hexe Kundry – eine überragende Ekaterina Gubanova – ist aufs Feinste herausgearbeitet. Hier entfaltet sich ein Spiel zwischen Lust und Mitleid, Erotik und Askese, bei dem Serebrennikov mit Wagner bricht und versucht, das Werk aus seiner Erotikphobie zu erlösen und Kundry zu emanzipieren. Hier wird nicht alles stringent zu Ende gedacht, sicherlich vermisst man den atemberaubenden Moment, in dem Parsifal Klingsors Speer aus der Luft schnappt. Gral und Speer sehen wir in dieser Inszenierung fast nur als Tattoos, die sich die Häftlinge machomäßig auf die eigene Haut tätowieren.
Was am Ende jedoch bleibt, ist die Botschaft der Befreiung und Erlösung – ganz im Sinne Wagners. Zwischen Akt zwei und drei vergehen viele Jahre, inzwischen ist die Haftanstalt aufgelöst, doch Gurnemanz – unglaublich souverän gesungen von Franz-Josef Selig – verharrt immer noch in den trostlosen Hallen, an denen die heilige Prophezeiung an die Wand geschmiert ist. Immer noch gibt es einen Funken Hoffnung. Auch die Häftlinge tauchen wieder auf. Warum sind sie noch hier? Ist dies eine Logiklücke der Inszenierung? Oder wissen diese brutalen, nicht-integrierbaren Verstoßenen nicht, wohin sie überhaupt sollen? Bleiben sie vielleicht aus Selbstdisziplin in dieser Anstalt? Ist die echte Welt inzwischen noch trister als das Innere der Gefängnismauern?
Dabei offenbart sich, wie ernst Serebrennikov Wagners Botschaft der Erlösung nimmt, denn die letzte Oper des Meisters hat ein glückliches Ende: Parsifal weist den Weg in die Freiheit, „Erlösung dem Erlöser“. Es ist fast zu schön, um es auszuhalten, doch wir müssen es auf uns nehmen, denn diese universale Botschaft der Erlösung ist heute wichtiger denn je. Dabei bezaubert dieser so besondere Wagner-Klang unumkehrlich, nicht zuletzt aufgrund der musikalischen Leitung von Philippe Jordan. Er betört mit einem ungewohnt klaren Klang, der den Gral nicht so sehr in ein mystisches Gewand hüllt, als er ihn hell erstrahlen lässt – passend zur Inszenierung.
Bei Wagner schwebt zum Ende der Oper eine Taube herab, nichts dergleichen hier. Ist es am Ende vielleicht doch nur ein aussichtsloser, törichter Traum, erdacht inmitten von Gefängnismauern? Sind Speer und Gral nicht nur Tattoos? Ist das göttliche Versprechen nicht längst überwunden und als Fiktion entlarvt? Am Ende öffnet der ermordete, zierliche Schwan wieder die Augen. Dieser Häftling ist wohl der schwächste von allen, sichtlich ein Außenseiter. Allein steht er immer noch in der verdreckten Gefängnisdusche. Doch plötzlich streckt er die zierlichen Arme über der Bühne aus. Auf seinen Schulterblättern sind Flügel tätowiert. Vielleicht sind es nur Tattoos, nur Symbole. Aber vielleicht setzt auch der Schwan hier noch zum Flug an.
Leander Bull, 11. April 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
P.S.: 2022, einen Monat nach der russischen Invasion in der Ukraine, konnte Kirill Serebrennikov nach Berlin fliehen, wo er heute lebt und arbeitet.
Schweitzers Klassikwelt 34: Kirill Serebrennikovs „Parsifal“ theologisch betrachtet
Richard Wagner, Parsifal Wiener Staatsoper, 11. April 2021 (Stream bei ARTE Concert vom 18. April)
Rein ästhetisch, wenn man es ganz banal betrachtet, ist da schon was gelungen. Unheimlich angenehm der Blick auf die Bühne. In dem Moment, wo man aber beginnt zu viel Intellekt ins Spiel zu bringen, wird es mühsam.
Ich werde die Vorstellung auf jeden Fall nochmals besuchen.
Jürgen Pathy
Lieber Herr Pathy,
ganz gewiss ist es ästhetisch sehr gelungen. Sicherlich, der zweite Akt ist nicht in allen Strängen vollends durchdacht. Ich denke aber, dass die Inszenierung bei genauerer Betrachtung nur noch besser wird und sich nachvollziehen lässt, wie sehr Serebrennikov dieses Werk thematisch durchdrungen hat. „Kulturverbrechen“ und „Schande“ soll ja bei einigen Vorstellungen gerufen worden sein – vermutlich Operngänger, die sich von der rauen Ästhetik der Inszenierung zu schnell haben abschrecken lassen, obwohl noch weitaus mehr dahinter steckt.
Herzlich
Leander Bull
Lieber Leander,
ich sehe Deine Punkte in der Deutung der Inszenierung – alles sehr überzeugend. Trotzdem sollten wir uns alle die Frage stellen, ab welchem Punkt Inszenierungen jene Meta-Ebenen erreichen, die viele Leute vom Kulturerlebnis ausschließen. Mit Hegels Phänomenologie des Geistes zu argumentieren ist natürlich hochspannend und intellektuell echt sexy 😀 Aber es sind Deutungsargumente, die – und ich möchte da wirklich nicht despektierlich klingen – ein Großteil des Publikums nicht nachvollziehen wird können. Wie auch, manche Menschen müssen tatsächlich tagsüber einer Arbeit nachgehen usw…
Ich finde die Inszenierung spannend, Deinen Text für sehr richtig aber dennoch finde ich diesen Ansatz von Regie falsch. In meiner Kritik zum Münchner Lohengrin habe ich darauf hingewiesen: Es kann nicht angehen, dass das Dechiffrieren von Analogien zur Hauptbeschäftigung im Opernhaus wird.
Um es ganz direkt – und dieses Wort hören vor allem Deutsche nicht gern – auf den Punkt zu bringen: Oper muss Unterhaltung sein. Unterhaltung! Das Unterhaltende von solchen Inszenierungen spricht einen kleinen hoch-intellektuellen Kreis an. Das schließt wiederum einen größeren aus. Somit entsteht kultureller Elitismus. Und der ist Gift, gerade für den Parsifal – richtet sich doch die Heilsverkündung gerade an alle Menschen!
Willi Patzelt
Ich stimme Ihnen,Herr Patzelt,absolut zu.Das Publikum wird auch hier einfach überfordert,die Bilderflut ist mir zu anstrengend.Ich erfahre von Kundry das Notwendige zu Parsifals Biografie,Videoeinblendungen dazu finde ich verwirrend und entbehrlich.
Wagners Kunst gelingt es ,per Text und Musik von Geschehnissen auch ohne szenische Darstellung verständlich zu berichten,s Siegmunds Erzählungen in Hundings Hütte,Wotans Speerschaffung,Gespräch Brünnhilde mit den Rheintöchtern usw .
Den Regieansatz halte ich für verfehlt,da die Gralsritterschaft ein selbsternannter elitärer Verein ist und keine Ansammlung von Verurteilten im Knast.Die eigenen zweifelhaften Ansprüche nicht mehr erfüllend harren sie aus und warten auf eine Lösung von
Außen.Das Aufbieten von Parsifal im Doppelpack erschließt sich mir auch nicht,sonderlich neu und originell kann man das auch nicht nennen.
Aber trotzdem ist die Inszenierung aufwühlend wie das Stück selbst.
Volkmar Heller
Lieber Willi,
vielen Dank für deinen Kommentar. Es ist natürlich – wie immer – sehr bereichernd, von dir zu hören! Ich stimme dir größtenteils zu; die Oper muss zugänglich, unterhaltsam und vor allem universal bleiben. Zunächst jedoch zum Intellektualismus: Ich argumentiere mit Hegel weder weil es sexy ist, noch weil die Inszenierung diese Lektüre voraussetzt. Es ist schlichtweg eine Anreicherung des Arguments und der Besprechung dieses Kunstwerks, ebenso offensichtlich als solche zu lesen.
Dass Inszenierungen geistig noch weitergedacht werden können, ist ebenso keinesfalls mühsam oder ein Problem, wenn der Ausgang in einer leidenschaftlichen Regie zu finden ist. So tischt uns beispielsweise Serebrennikov in dieser Fassung kein statisches Tableau an intellektuellen Ideen auf, sondern intensive, bewegende, zutiefst rührende Bilder, in anderen Worten: Kunst. Hier wird Wagners Musik weitergedacht, spürbar, und ja, zugänglich. Selbst wenn die teuren Opernkarten das nicht immer leicht machen.
Auch ich hasse die abstrusen Musiktheater-Auswüchse, die wir allzu häufig sehen. Sie inszenieren gegen die Musik, allzu oft versuchen sie sogar, sie zu parodieren. Das ist widerlich. Wo sich jedoch wahre Kunst abspielt, sind die Orte, an denen nicht gegen, nicht einfach für, sondern mit der Musik inszeniert wird. Wo ihr Platz, emotionaler Raum und geistige Tiefe gegeben wird, die sich dem Werk vollends verschreibt und es weiterdenkt. Nichts anderes tut Serebrennikov in seiner Regie – er nimmt das Werk ganz im Geiste Wagners auf und steigert es weiter. In seinem Sinne richtet sich die Heilsverkündung gerade, wie du sagst und ich oben aufgeführt habe, an alle Menschen – nicht nur an Hegelleser.
Herzliche Grüße!
Leander Bull
P.S. Ein kleiner, letzter Nachtrag:
Wenn wir sagen, Kunst müsse gut verdaulich sein, weil wir tagsüber noch arbeiten müssen, dann hat die Kulturindustrie endgültig gesiegt und die Oper ist nur noch eine Bespaßung, eine Ware. Das wird einem absoluten Anspruch der Kunst, wie dem Wagners, nicht gerecht. Kunst muss mehr können und dürfen.
Leander Bull
Nun hat aber Wagner seinen hohen Anspruch an die Kunst Wort für Wort und Note für Note genial umgesetzt, gekonnt dosiert und damit das Publikum gefordert, ohne es zu überfordern. Gerade das passiert aber, wenn die Regie meint, kräftig draufsatteln zu müssen in der irrigen Annahme, alles verständlicher und transparenter machen zu müssen.
Der gegenteilige Effekt tritt ein, das Publikum resigniert und vergisst das Gebotene schnell. So geht es mir mit dem Parsifal in Wien. Ganz schlimm wird es dann, wenn die „neue Sichtweise“ der Regie in Klamauk und billige Aktualisierungen mündet, was hier eher nicht der Fall ist. Die zunehmend zu beobachtende Dominanz der Regie gegenüber der Musik entspricht mit Sicherheit nicht Wagners Intentionen.
Volkmar Heller
Trotz dieser Hässlichkeiten lese ich viel Hoffnung in diesen Zeilen. Eine wichtige Botschaft in der gegenwärtigen Zeit. Vielen Dank dafür!
Katharina von Goeth
Wie schön, dass ich endlich eine positive Kritik über diese Inszenierung lese, die sich so differenziert damit auseinandersetzt und nicht gleich „Skandal“, „hässlich“, „hat nichts mit Wagner zu tun“ o.ä. schreit. Aber die Kommentare dazu reizen mich doch zu Erwiderungen.
Oper – Unterhaltung? Ja und nein. Hängt von der Definition von Unterhaltung ab. Aber dieses Argument kommt immer nur bei etwas komplexeren Inszenierungen, die über eine schlichte Bebilderung hinausgehen; es wird nie bei der Handlung oder der Musik bemüht. Oder sind „Parsifal“ oder „Dialogues des Carmélites“ oder „Butterfly“ oder „Damnation“ oder oder … schlichte Unterhaltung, bei der man sich nach einem anstrengenden Arbeitstag gemütlich zurücklehnen kann? Oder ein gepflegtes Glas Rotwein trinkt? Eben. Warum wird dann argumentiert, bei Unterhaltung müsse man seinen Verstand ausschalten? Den Verstand benützen sei mühsam.
Ausgerechnet bei Oper oder Theater; da gibt es doch genügend andere Bereiche der umtriebigen Unterhaltungsindustrie, die sich für entspannte Berieselung anbieten. Der Versuch einer niveaumäßig angemessenen Durchdringung einer Oper bei der Umsetzung auf der Bühne ist doch wesentlich befriedigender als eine belanglose Optik. Das ist doch kein „Draufsatteln“, sondern eine ernsthafte Auseinandersetzung, von der man sich berühren oder erschüttern lassen kann, aber die man nicht als intellektuell überfordernd für die Mehrheit ablehnen sollte.
Im Übrigen gibt es doch bei Wagner wesentlich mehr Symbolik als in dieser Inszenierung, die vieles auf eine menschliche Ebene herunterbricht. Auf die Beziehung Speer – Kundry habe ich schon in einem Kommentar bei der Kritik von Jürgen Pathy hingewiesen. Ich hielt übrigens den Moment, wo Kundry zuerst Parsifal mit der Waffe bedroht und auf seinen Blick hin plötzlich Klingsor erschießt, ebenso „atemberaubend“. Es muss nur das Timing stimmen.
P.S. Eine ganze Rätselindustrie lebt doch davon, dass sich Menschen zur Unterhaltung den Kopf zerbrechen.
Eva Arts
Mich hat diese Inszenierung heuer sehr verstört, weil ich durch die vielen, schrecklichen Bilder von der überirdisch schönen Musik abgelenkt worden bin. Der Dirigent, die Solisten, der Staatsopernchor (ein großes Lob!) und das Orchester waren genial und zutiefst berührend. Rudolf Steiner betonte bereits, dass Wagner einer der wenigen Komponisten wäre, der den Ätherkörper des Menschen verändern kann… dem stimme ich aus eigener Erfahrung zu!
MfG
Sabine D.