Siegfried startet enttäuschend, bekommt dann jedoch die Kurve

Richard Wagner, Siegfried  Staatsoper Unter den Linden, 10. Oktober 2025

Andreas Schager (Siegfried), Stephan Rügamer (Mime) © Monika Rittershaus

Bis auf einen etwas wackeligen Start zeigt die Staatsoper Unter den Linden auch am dritten Abend einen nahezu idealen Opernabend. Dmitri Tcherniakovs Regie ist hingegen an einem neuen Tiefpunkt.

Siegfried

Zweiter Tag des Bühnenfestspiels
Der Ring des Nibelungen (1876)

Text und Musik von Richard Wagner

Musikalische Leitung:  Christian Thielemann
Staatskapelle Berlin

Inszenierung, Bühne:  Dmitri Tcherniakov

Staatsoper Unter den Linden, 10. Oktober 2025

Am dritten Abend des Bühnenfestspiels kommt langsam Routine auf, man kennt die Sitznachbarn und nickt sich wissend zu. Gespräche, die in den Pausen der Walküre angefangen haben, werden nun fortgesetzt. Doch nicht jeder hat die Gelegenheit dazu; anders als in den vorangegangenen Tagen sind nun doch ein paar wenige Plätze verwaist.

Bei dieser Oper keine allzu große Überraschung: Das komplette Stück wird von einem dummen und groben Emporkömmling dominiert, dem ein verschlagener Zwerg zur Seite steht. Auf die Damen – die bei Wagner ja oft spannender sind als die Herren – muss man sich – Waldvogel ausgenommen – ganze zweieinhalb Stunden gedulden, und dann wird das Ganze ja auch noch mit unendlichen Wortschwallen und einer teuflisch komplexen Partitur garniert!

Verständlich, dass hier auch der ein oder andere Wagnerianer das Handtuch schmeißt. Die Unbeliebtheit mag erklärbar sein, doch zwischen den endlosen Vers-Bombardements im Stabreim verstecken sich zahlreiche Juwelen, die sich mühelos mit dem Rest der Tetralogie messen können. Wie mitreißend ist das 15-minütige Schmiedelied Siegfrieds, das atmosphärische Waldweben oder das grausam-schöne Abschlussduett, in dem Brünnhilde das Ende des Göttergeschlechts wahrsagt, während Siegfried seiner Tante (!) Liebesbekundungen entgegenschmettert.

Siegfried pauschal als unschönen Kratzer des leuchtenden Rings zu erklären, kommt klar zu kurz, doch damit dieses extrem heikle Stück zum vierstündigen Fest wird, müssen Dirigent, Orchester und Sänger nahezu perfekt sein.

Das Publikum scheint daran zu Beginn des Abends keinen Zweifel zu haben. Als Christian Thielemann in den Graben eintritt und sich das Orchester erhebt, wird der Saal regelrecht rasend.

Doch es kommt leider ein wenig anders. Das Vorspiel gelingt dank der fabelhaften Bläser noch aufs Vortrefflichste: Da tut sich eine verwunschene und unheimliche Szenerie auf. Doch bereits im ersten Wortduell zwischen Held und Zwerg merkt man leichte Schwächeanzeichen. Ausgerechnet der sonst fast unwirklich kraftvoll erscheinende Heldentenor von Andreas Schager brennt auf Sparflamme und verkürzt die Töne. Dem schließt sich auch Stephan Rügamers Mime an; der garstige Stiefvater ist schlichtweg zu leise für diesen aufregenden Akt.

Der sängerfreundliche Kapellmeister Thielemann hilft, wo er nur kann, und lässt das Orchester leise und ohne großen Druck spielen. Das klingt mythisch und bezaubernd, geht jedoch auch auf Kosten der Spannung. Den ständigen Zankereien fehlt so die Schlagkraft.

Etwas konsterniert und entmutigt macht man sich bereit für den zweiten Akt und bekommt die nächste dicke Überraschung.

Andreas Schager (Siegfried), Peter Rose (Fafner) © Monika Rittershaus

Die Schager’sche Sparsamkeit weicht nun vor dem plötzlich schmetternden Heldentenor. Auch Rügamer dreht ordentlich auf und steigert sich wunderbar in den Hass auf den ungeliebten Stiefsohn hinein. Begeistert ziehen Staatskapelle und Dirigent mit und geben ordentlich Druck; wieder vertraut Thielemann absolut auf die Sänger und fokussiert sich ganz auf die Umgebung der schaurigen Neidhöhle und den idyllischen Wald.

Das muss die Musik des Berliner Rings aber auch, denn Dmitri Tcherniakovs Inszenierung erreicht hier einen erneuten Tiefpunkt. Neidhöhle und Wald existieren natürlich nicht, sondern es spielt immer noch in dem unsäglichen Forschungszentrum. Siegfried ist ein weiteres Experiment – wofür, weiß man nicht. Wichtig scheint Tcherniakov nur zu sein, dass der im blauen Jogginganzug gekleidete Recke den stimmgewaltig von Peter Rose verkörperten Fafner mit dem Schwert Nothung absticht. Doch immer, wenn man sich über die ganze Regie-Chose ärgert, kommt für die Ohren der nächste Genuss, der im dritten Akt seinen Höhepunkt findet.

Andreas Schager (Siegfried), Anja Kampe (Brünnhilde) © Monika Rittershaus

Schager ist nun in absoluter Topform und füllt mit dem gigantischen Tenor jeden Winkel des Saals und bügelt den hörbar greisen und verzweifelten Wanderer/Wotan (Michael Volle) gnadenlos nieder. Nachdem der Energie-Enkel und die – hier besonders – urgewaltige und allwissende Erda (Anna Kissjudit) dem einstigen Walter der Welt seine Irrelevanz klargemacht haben, bleibt ihm nichts anderes, als wie Alberich im Rheingold zum Häuflein Elend zu verkümmern. Komplett gegensätzlich verhält es sich bei Tochter Brünnhilde (Anja Kampe): Zu Beginn noch glaubwürdig verschreckt, verwandelt sie sich zur fast schon beängstigend leidenschaftlichen Walküre, die mit Andreas Schager im Abschlussduett das Operndach fast zum Beben bringt.

Als man nach einem erneuten donnernden Jubel auf die Straße tritt, kann man beruhigt nach Hause fahren: Hat der erste Akt für einen kurzen Moment dann doch gezeigt, dass dieses Ausnahme-Ensemble keine perfekten Sing-Roboter sind, sondern auch Menschen mit kleinen, sehr kleinen Fehlern.

Arthur Bertelsmann, 11. Oktober 2025 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Besetzung:

Siegfried:  Andreas Schager
Mime:  Stephan Rügamer
Der Wanderer:  Michael Volle
Alberich:  Jochen Schmeckenbecher
Fafner:  Peter Rose
Erda:  Anna Kissjudit
Brünnhilde:  Anja Kampe

Richard Wagner, Das Rheingold (1869), Christian Thielemann Staatsoper unter den Linden, 5. Oktober 2025

Richard Wagner, Die Walküre (1870) Staatsoper Unter den Linden, 7. Oktober 2025

Giuseppe Verdi, La Traviata Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 2. Oktober 2025

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