Und täglich grüßt das Murmeltier: Tomasz Konieczny steht auch beim „Siegfried“ zur Stelle

Richard Wagner, Siegfried  Wiener Staatsoper, 25. Juni 2023

Tomasz Konieczny (Wanderer), Herwig Pecoraro. Foto: Wiener Staatsoper/ Michael Pöhn

Etwas zäh. So könnte man den dritten Abend, den „Siegfried“, an der Wiener Staatsoper in zwei Worte fassen. Die Ursache liegt nicht nur in der Partitur selbst verborgen. Der „Siegfried“ ist sicherlich Richard Wagners Oper, zu der viele nur sehr schwierig Zugang finden. Auch Franz Welser-Möst lässt da einiges auf der Strecke liegen, was man durchaus mit lebendigerer Gestaltung hätte herausholen können. An der Wiener Staatsoper leitet er seinen letzten „Ring des Nibelungen“. Der „Siegfried“ ist bislang sicherlich die schwächste Leistung.


Richard Wagner, Siegfried


Wiener Staatsoper, 25. Juni 2023

von Jürgen Pathy

Im „Rheingold“ und in der „Walküre“ musste man schon mit Abstrichen leben. Phasenweise hatte das Dirigat dort zwar schwer mitgerissen. Einen an der Sesselkante kleben lassen, wie im zweiten Aufzug der „Walküre“ zum Beispiel. Oder auch im Mittelteil des „Rheingolds“, wo man mit heftigen Ekstaseschüben gemeinsam in die dunklen Minen von Nibelheim hinabgestiegen ist. Dort spielt Franz Welser-Möst so richtig seine Stärken aus. Türmt riesige Klangwogen vor sich auf, um sie dann so richtig heftig von einer Seite auf die andere zu peitschen. Fast schon wie mit einer Ziehharmonika, die von links nach rechts, von oben nach unten zieht, ohne jemals die Spannung reißen zu lassen.

Sind aber filigranere Stellen zu formen, bleibt so einiges zu wünschen übrig. Das hat sich schon an den ersten beiden Abenden gezeigt, zieht sich im „Siegfried“ wie ein roter Faden fort. Das Ganze scheint aber kein Zufall, sondern Programm. Ein Gameplan, den Welser-Möst sich bewusst in dieser Form zurechtgelegt haben dürfte. Dachte man bei der „Walküre“ noch, es sei nur reine Auftauphase. Wenig war da zu spüren von der aufflammenden Geschwisterliebe, die sich zwischen Siegmund und Sieglinde eigentlich auch im Orchestergraben hätte entfachen sollen. Im „Siegfried“ wird dann ziemlich klar:

Welser-Möst lässt einfach den Willen vermissen, hier einzelne Orchestergruppen entsprechend formen zu wollen. Lässt ihnen einfach freien Lauf, zu walten und zu schalten, wie sie wollen. So könnte man es positiv formulieren. Verabsäumt hat er dadurch aber auch, markante Akzente zu setzen. Elan aufkommen zu lassen. Das entspricht dann wohl eher der Realität. Das Spiel mit der Agogik, das scheint ihm fremd. Das lässt er phasenweise komplett außen vor.

Nur zum Ende hin, als man sich Richtung Felsen bewegt, wo Brünnhilde schon auf ihren Retter wartet, da kommt Leben in den Graben. Da lehnt er sich nach hinten, um die Tempi zu zügeln. Schmeißt sich wiederum nach vorne, um zum Angriff zu blasen. Zuvor da plätschert vieles nur so dahin. Nothung, das Schwert, wie gelähmt wirkt es zu Beginn. Egal wie eifrig Mime es zu schmieden versucht. Unterstützung aus dem Graben widerfährt ihm da kaum.

Neben „Siegfried“ gibt es noch einen, der das Fürchten nicht kennt

Müssen halt andere das Eisen aus dem Feuer holen. Klaus Florian Vogt zum Beispiel. Der wächst als Siegfried mit der Herausforderung. Dachte man schon phasenweise, auch seine Bärenkräfte könnten versiegen. Der Kampf mit den Orchesterdynamiken gestaltet sich gelegentlich schon sehr heftig. Schlägt er am Ende nochmals kräftig zu. Wie man Brünnhilde da noch mit so burschikoser Hingabe und hell-erleuchteter Stimme aus dem Schlaf küssen kann, grenzt fast schon an ein Wunder.

Ricarda Merbeth (Brünnhilde), Klaus Florian Vogt (Siegfried). Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Ebenso die Strapazen, die Tomasz Konieczny auf sich nimmt. „Wir müssen heute mit dem Owens leben.“ Kaum hat eine Dame ihrem Unmut freien Lauf gelassen – in Loge 5, 1. Rang links, Reihe 2 – , steht schon Bogdan Roščić kurz vor dem zweiten Aufzug auf der Bühne. Eric Owens könne den Wanderer heute nicht zu Ende führen. Noch immer habe der Afro-Amerikaner mit den Folgen seines Kreislaufkollaps zu kämpfen, den er schon seit dem „Rheingold“ mit sich herumschleppt. KS Tomasz Konieczny steht natürlich wieder bereit.

Bereits zur „Walküre“ war er nachts aus Bayreuth angereist. Sechs Stunden Autofahrt bedeutet das. Eine Sternstunde sollte sein Dank sein. Um den „Siegfried“ abzusichern, hat er sich dann nochmals „sage und schreibe“ 20 Stunden hinters Lenkrad geklemmt. So lange dauert nämlich die Fahrt von Wien nach Danzig und retour. Dort hat der polnische Bassbariton auch noch alle Hände voll zu tun. Das Baltic Opera Festival steht vor der Tür (14. Juli – 17. Juli 2023). Als künstlerischer Leiter trägt Tomasz Konieczny dort eine riesige Verantwortung. Der entzieht er sich in Wien natürlich auch nicht.

Eric Owens erweist sich als Fehlgriff

Als Teilzeit-Wanderer vollendet Tomasz Konieczny dann, was Eric Owens schon den ganzen „Ring“ hat vermissen lassen: Eine aktive Rollengestaltung, gepaart mit einem dynamischen Gesang und herrschaftlicher Bühnenpräsenz. Warum nicht gleich so, könnte man den schwarzen Peter sicherlich gleich Bogdan Roščić in die Schuhe schieben. Wer diese Strapazen auf sich nimmt, der lebt für Richard Wagner. Für seine Lebensrolle, wie Tomasz Konieczny den Wotan bezeichnet. In Wien liebt man ihn dafür. Dort fordert man ihn auch. Beim nächsten Mal vielleicht gleich auch von Beginn an.

Der steht – zumindest im „Siegfried“ – ganz im Fokus eines anderen. „Mime“, so könnte die Oper eigentlich auch heißen. Als solcher genießt Matthäus Schmidlechner dann auch das Bad in der Menge. Der österreichische Charaktertenor keift zwar nicht mehr ganz so ekelhaft durch seinen Unterschlupf wie noch im „Rheingold“ vier Tage zuvor. Die Fülle und Größe seiner Aufgabe, die gestaltet er aber dennoch durchaus mit Bravour. Nur Tomasz Konieczny darf sich zum Ende eines ähnlichen Publikumszuspruchs erfreuen.

Ricarda Merbeth als Brünnhilde fügt sich dem Ganzen dann irgendwo dazwischen ein. Nichts, was wirklich zu bemängeln wäre. Ebenso wenig, worauf man Lobeshymnen dichten könnte. Sauber, solide und ansprechend. Eine Brünnhilde, die in der „Walküre“ mehr Eindruck hinterlassen hatte.

Genügend Luft nach oben

In Summe ist der Abend nicht ganz rund verlaufen. Überwiegend sicherlich des Dirigats wegen. Das konnte dieses Mal auch nicht aus den Stimmen zehren. Gegenseitig befeuert hatte man sich nämlich noch an den beiden Abenden zuvor. Hatte eine Seite mal etwas locker gelassen, war die andere zur Stelle. Tomasz Konieczny zum Beispiel in der Walküre. Aus seiner unbändigen Energie heraus konnte auch das Dirigat enorm an Kräften schöpfen – und umgekehrt. Zumindest hatte man so das Gefühl. Ein gegenseitiges Geben und Nehmen eben.

Beim „Siegfried“ funktioniert das leider nicht. Das dürfte aber auch der Partitur geschuldet sein. Leidenschaft und große Gefühle, die lässt Richard Wagner da orchestral kaum zu. Der Erzählstrang, der steht hier im Vordergrund. „Siegfried“, das Epos. „Die Walküre“, das Pathos. So könnte man das durchaus vereinfachen. Bleibt nur noch zu hoffen, dass beide wieder zu einem Nenner verschmelzen. Die „Götterdämmerung“, mit der sich Welser-Möst dann endgültig vor dem „Ring“ verneigt, bietet da genügend Potenzial.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 26. Juni 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Richard Wagner, Das Rheingold Wiener Staatsoper, 21. Juni 2023

Richard Wagner, Die Walküre Wiener Staatsoper, 22. Juni 2023

RHEINGOLD, WALKÜRE, SIEGFRIED – „A NIBELUNG GYÜRÜJE“ MÜPA – Budapest, Palast der Künste, 15. – 17. Juni 2023

Richard Wagner, Götterdämmerung Semperoper Dresden, 10. Februar 2023

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert