„Tannhäuser“ in Bayreuth ist die Oper der Zukunft! Intelligent, bunt, gefühl- und humorvoll. Cool, emotional, sexy und berührend. Und dann erst diese Jahrtausendmusik...

Richard Wagner, Tannhäuser,  Bayreuther Festspiele, 28. Juli 2019

Foto © Enrico Nawrath
Bayreuther Festspiele
, 28. Juli 2019
Richard Wagner, Tannhäuser

von Andreas Schmidt

„Tannhäuser“ in Bayreuth – das  ist die Oper der Zukunft! Die Inszenierung von Tobias Kratzer ist intelligent, bunt, gefühl- und humorvoll. Das ist cool, emotional, sexy und berührend. Es singen in ihren Rollen die besten Sänger der Welt. Das Orchester ist eine Wucht, und auch der russische Dirigent Valery Gergiev kommt spätestens ab dem 2. Aufzug in Fahrt und legt seine Kinderkrankheiten vom Premierentag ab.

Und dann diese Musik: Diese Jahrtausendmusik!!! Jedem der knapp 2000 Menschen im nicht mehr so heißen Festspielhaus schlägt das Herz, brennt vor Sehnsucht die Seele, wenn die besten Musiker aus ganz Europa alles geben und diese göttlichen Noten spielen. Richard would have been happy!

Ja, and the very best of the best ist der Klang. Für ihn sollte jeder, der Wagner liebt, einmal im Leben nach Bayreuth pilgern. Wer seinen Focus auf Stimmen richtet, wer die optische Imagination eines Puppentheaters sucht, dem hat Richard Wagner das absolute Wunderland auf den Grünen Hügel gezaubert. Zu einer Zeit, als der Rundfunk noch in seinen Kinderschuhen steckte, als Thomas Alva Edison gerade erst dabei gewesen war, die ersten Tonaufzeichnungsverfahren zu entwickeln, schuf Richard Wagner bereits den Vorreiter des heutigen Dolby Surround Sounds.

In Bayreuth besteht keine Notwendigkeit den Kopf wie eine Satellitenschüssel regelmäßig im Wind auszurichten, um die perfekte Klangwelle zu erhaschen. Hier genießt der Suchende, der unentwegt auf der idealen Klangwelle reiten möchte, den puren Luxus der perfekt ausbalancierten Dynamiken und der sich gleichförmig ausbreitenden Schallwelle. In Bayreuth lautet die Devise: Hinsetzen, stillhalten und großes Kino erleben! Ein Erlebnis, das zur Eröffnung des Feststpielhauses im Sommer 1876 bahnbrechend gewesen sein muss.

Was findet Tannhäuser eigentlich erotisch an dieser quirligen, pubertierenden, leicht durchgeknallten Venus, die in ihrer Märchenwelt lebt? Ist es das Losgelöste, das Selbstbewusste, das Unbeschwerte?

Tannhäuser (Stephen Gould) und Venus (Elena Zhidkova)
© Enrico Nawrath

Elena Zhidkova, die kurzfristig für ihre verletzte Kollegin Ekaterina Gubanova eingesprungen ist, meistert die Anforderungen bravourös. Sie ist eine großartige Schauspielerin und Sängerin und fügt sich perfekt in die Inszenierung ein. Am zweiten Abend ist sie noch deutlich besser als am sehr guten ersten. Die Intensität, mit der sie die Rolle verkörpert, ihre Blicke im zweiten Aufzug, das Trotzige, Gelangweilte auch Gemeine – das alles nimmt man ihr sofort ab. Elena Zhidkova ist längst kein Geheim-Tipp mehr, sondern befindet sich auf dem Zenit ihres Könnens. Dass Ihre Diktion noch ein wenig ausbaufähig ist, sollte Maestro Thielemann nicht davon abhalten, diese Ausnahmesängerin als Kundry einzusetzen – da ist Ihre Diktion noch besser und der Ausdruck atem!!!beraubend.

Das schrieb ich nach Elenas Kundry-Debüt im „Parsifal“ am Gründonnerstag 2019 in der Wiener Staatsoper:

„Die russische Mezzosopranistin Elena Zhidkova sang die Kundry bei ihrem Rollendebüt Weltklasse an diesem Abend: Eine wunderbar volle, farbenreiche Stimme hat diese Frau zu bieten. Ihre Höhen waren zum Darniederknien schön, im tieferen Register sorgte sie mit ihrer Erda-Stimme für Gänsehautgefühl. Die Zhidkova beherrscht ihr Instrument perfekt. Ihre Strahlkraft: enorm. Wuchtig. Mitreißend. Sie kann mit ihrer Stimme weinen und lüstern. Flüstern und schreien. Ihre Spielfreude: eine Augenwonne. Die zweitmeisten Bravo-Rufe nach René Pape!“

Tannhäuser hat ein Gewissen – er muss weg aus dieser kriminellen Energie, er war dabei, als ein Polizist von Venus totgefahren wurde. Er muss fliehen, ansonsten geht er zugrunde. Er wirkt psychisch äußerst angeschlagen im ersten Aufzug. Stephen Gould singt den verzweifelten Tannhäuser kraftvoll, strahlend und sicher, ohne Ermüdungserscheinungen. Im Sängerkrieg ist er der Hämische, Besserwisserische, sich über die „Romantiker“ stellende. Die Titelrolle verlangt von dem Tenor ein Äußerstes an Stimmtechnik – Stephen Gould verfügt über eine exzellente , so dass nicht eine Sekunde zu befürchten ist, er würde es nicht bis zur Romerzählung schaffen. Er ist nicht mehr der strahlende Tannhäuser, den ich 2016 in Berlin an der Deutschen Oper gehört habe. Aber er singt verdammt gut – nach 72 Stunden Pause noch frischer, klarer, präsenter.

Er ist ein gestandener Heldentenor alter Schule, seine Kraftreserven bis zum Schluss sind beeindruckend, seine Strahlkraft in der Höhe fulminant. Allein, und sorry lieber Stephen: MAGISCHE Momente wollten sich nicht einstellen an diesem Abend. Es gab keine Passage, die mich vollends auf die Knie zwang. Dennoch bleibt Goulds Tannhäuser einer der besten, die derzeit zu hören sind.

Markus Eiche als Wolfram von Eschenbach wandelt sich nach den ersten beiden Akten von einem  etwas blassen und ausdruckslosen Sänger zu einem Protagonisten, der im dritten Aufzug einen hoch emotionalen und berührenden Abendstern strahlen lässt. Seine Stimme klingt baritonal, weich, warm und voll. Dass er zum Schluss noch einmal alle Register zieht, beeindruckt auch Elisabeth, und sie zieht sich mit ihm in den Citroen für ein Schäferstündchen zurück. Das war eine Ansage, lieber Markus.

Manni Laudenbach (Oskar) und Lise Davidsen (Elisabeth) © Enrico Nawarath

Die norwegische Sängerin Lise Davidsen verkörpert Elisabeth trotz oder gerade aufgrund ihres Schicksals als starke, selbstbewusste Frau. Sie singt die Partie voller Wärme, Hingabe, in den Höhen strahlend und klar und überzeugt mit einer äußerst ausdrucksstarken Darstellung.  Sehr ergreifend ist vor allem die Szene im zweiten Aufzug, in der sie um das Leben von Tannhäuser fleht. Auch die Sequenz, in der sie mit Oskar, Manni Laudenbach, die Suppe löffelt, ist unbeschreiblich anrührend. Frau Davidsen bekommt mit Abstand den meisten Applaus an diesem Abend. Auf allerhöchstem Niveau könnte man anmerken, dass sie in den Folgepartien ein klein wenig differenzierter singen könnte, vor allem im piano-Bereich.

Die hoch gewachsene Sängerin besitzt ein sehr persönliches, unverwechselbares Timbre, das in manchen Momenten entfernt an ihre Landsfrau Kirsten Flagstad erinnert. Davidsen hat sehr wohl den langen Atem und die extreme Höhe, die selbst an exponierten Stellen unforciert abrufbar ist. Was der Stimme vielleicht noch ein klein wenig fehlt, ist eine gesunde Mittellage, sie neigt dazu, das mit freilich imponierendem Einsatz ihrer Höhenregister auszugleichen.

Der Landgraf Hermann wird von Stephen Milling gesungen, bisher bekannt als Hagen bei den Festspielen in Bayreuth. Die Stimme klingt rund und schön, aber etwas farblos. Ich erinnere mich an ältere Aufnahmen mit Matti Salminen oder Martti Talvela, die das Väterliche dieser Figur noch intensiver erleben lassen. Stephen Milling singt die Partie mühelos bis in die Tiefe, zur Abrundung fehlt lediglich eine intensivere Aussprache.

© Enrico Nawrath

Der junge Hirt wird von einer fahrradfahrenden Katharina Konradi – Ensemblemitglied der Staatsoper Hamburg – hingebungsvoll gesungen. Bei der Textpassage „Da strahlte warm die Sonnen – der Mai war kommen“ ist die wärmende wohlige Sonne förmlich zu spüren. Konradi ist es gelungen, diese kleine Rolle mit so intensiver Präsenz und so klarer und textverständlicher Stimme zu gestalten, dass sie einem noch lange in Erinnerung bleiben wird. Dieser Sängerin gehört die Zukunft, und die Verantwortlichen in Bayreuth haben für sie sicher bereits größere Partien auf dem Zettel.

Andreas Schmidt, 29. Juli 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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