Jonas Kaufmann als Tannhäuser, neben ihm Georg Zeppenfeld als Hermann, Landgraf von Thüringen © Monika Rittershaus
Gänsehaut-Momente füllen das Salzburger Festspielhaus am laufenden Meter, so bringt man den Tannhäuser zum Klingen! Von Marlis Petersens atemberaubender Elisabeth bis zu Andris Nelsons mitreißendem Dirigat, das ist der Wagner-Sound schlechthin. Einzig Jonas Kaufmann kämpft bis zum bitteren Ende mit der Titelpartie.
Großes Festspielhaus Salzburg, 9. April 2023
Tannhäuser
Musik und Libretto von Richard Wagner
von Johannes Karl Fischer
Was sind das für wunderbare Momente, die Andris Nelsons aus diesem mächtig spielenden Gewandhausorchester rausholt! Ein saftig besetzter Chor, acht Solo-Partien und ein nahezu überwältigendes Wagner-Orchester, alle in voller Polyphonie. Wagner kocht das ganze Spektrum an Emotionen – von der Rache des Volks zu Elisabeths grenzenloser Liebe in einer dicken Klangsuppe auf, lässt das Ganze fast schon zum Überdruss aufquellen.
Wo andere zur Flucht nach vorne greifen, schwimmt der Ausnahme-Dirigent und Gewandhauskapellmeister scheinbar im Bad dieser Harmonien. Die Fülle an unwiderstehlichen Akkorden und Klangfarben lässt er voll ausklingen, das ist der Wagner-Sound schlechthin! Umschlingend, ergreifend, wie ein riesiger Sog, der durch die Fluten dieser Klangwelten fegt und dabei das ganze Festspielhaus mitreißt.
Mindestens genauso fesselnd geriet Marlis Petersen die Elisabeth, mit ihrer hoch emotionalen Stimme hat sie das Publikum festens im Bann. Es ist immer wieder atemberaubend, wie man in einer so kurzen Arie wie „Dich, teure Halle“ das gesamte innerliche Empfinden einer so vielseitig gestalteten Rolle ausdrücken kann. So was geht nur mit Musik!
Diese Sopranistin strahlt einem wie eine leuchtende Sonne in die Seele, da strömt ein Rausch an Emotionen durch den ganzen Körper. Umso bewegender, wenn sie am Ende – in Romeo Castelluccis Darstellung vor ihrem eigenen Grab – sich nur noch mit ihrem Geliebten im Himmel vereinen will. Viele Tränen fließen im Saal.
Da konnte Star-Tenor Jonas Kaufmann in der Titelrolle leider nicht mithalten. Ja, diese Partie muss man erstmal singen können. Fast fünf Stunden lang ist der Tannhäuser quasi im Dauereinsatz, einzig zu Beginn des dritten Akts darf er ein wenig pausieren.
Und dennoch: Jonas Kaufmann war die Schwachstelle des Abends. Mit viel kämpferischem Einsatz attackierte er die Hammerpartie, das Resultat war leider eine eher raue, recht trockene Stimme. Vor allem in den Höhen wirkte er fast schon kratzig. Er singt von den süßen Reizen der Venus, scheint aber eben diese viel mehr abwehren als begehren zu wollen.
Dass der Münchner Heldentenor einigermaßen singen kann, möchte ich nicht bestreiten. Dennoch ist mir der einzigartige Kartenansturm auf Kaufmanns Vorstellungen unbegreiflich. In Ordnung, er ist am Ende angekommen, viel mehr auch nicht. Von der mühelosen Vielseitigkeit eines Klaus Florian Vogts oder der kämpferischen Stahlkraft eines Stephen Goulds war er weit entfernt.
Auch Christian Gerhaher stürzte sich in die Partie des Wolfram von Eschenbach mit viel Einsatz und Stimmstärke, ballerte das Haus voll mit einer Schagerartigen Stimme. Doch malt er in drei Noten mehr bunte Farben als andere Sänger in drei Stunden. Von der Inszenierung im dritten Akt quasi auf einen Liedsänger reduziert – wirklich viel hat er dort nicht zu schauspielern – erzählen seine glasklar verständlichen Melodien musikalische Romane. Das ist die hohe Kunst des Singens!
Am Ende geht es in dieser Oper um das Reich der Venus. Für Tannhäuser – ganz nach Wagners Vorstellung – ein Ort der lustvollen Idylle, für das Volk eine Todsünde. Emma Bells dunkler Mezzosopran brilliert mit warmer Stimme als Göttin der Liebe, ihren Ritter hat sie stets im Sog. Auch Georg Zeppenfeld gab eine gewohnt verlässliche Darbietung des Landgrafen Herrmanns, sang seine Melodien wie ein fürstlicher Herrscher.
Eine unerwartete Herrscherin hat auch die Regie geschaffen. Denn statt in der mittelalterlichen Wartburg singt Elisabeth ihre Hallen-Arie in einem hell erleuchteten Saal voll prächtigen, weißen Seidenvorhängen. Castellucci macht sie zur eigentlichen Herrscherin dieser Handlung. Das ist mal eine begeisternde Interpretation dieser Oper! Doch ihre Welt bricht zusammen, am Ende bleiben nur noch Tannhäusers und Elisabeths Leichen übrig. Passend dazu versinkt die ganze Inszenierung im Dunkeln.
Am Ende gab es für alle Beteiligten stets begeisterten Applaus… für Kaufmann nur in abgeschwächter Form. Seine Fans scheinen kapiert zu haben, wo er im Vergleich zu Gerhaher und Petersen steht. Doch der schwächelnden Titelpartei stehen viele Sternstunden gegenüber. Und auch Bayreuth ist bei weitem nicht immer perfekt!
Johannes Karl Fischer, 10. April 2023 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Tannhäuser Festspielhaus Bayreuth, Bayreuther Festspiele, 24. August 2022
Richard Wagner, Tannhäuser Festspielhaus Bayreuth, Bayreuther Festspiele, 21. August 2022
Geschmäcker und Ohrfeigen sind halt verschieden.
Wer Vogt (!!!) und Gould goutiert, kann den intelligent interpretierenden Kaufmann nicht mögen.
Gerhaher als Selbstdarsteller, wie schon als Amfortas; Rollengestaltung und Gesangslinie (als „legato“ auf dem Lehrplan stand, hat er wohl gefehlt) Fehlanzeige…
Waltraud Becker
Liebe Frau Becker,
waren Sie am 9. April 2023 in Salzburg in der Aufführung?
Oder ist dies eine allgemeine Bemerkung?
Herzlich
Andreas Schmidt
Liebe Frau Becker,
Sie mögen Recht haben, wer Vogt goutiert, wird sich mit Kaufmann schwertun. Das liegt daran, dass der Dithmarscher Heldentenor in allen Aspekten einfach der bessere Sänger ist, viel differenzierter und farbenfroher singt. Kaufmann kämpft sich mit viel Mühe durch die Wagner-Noten, Vogt hingegen schafft mir genau mit diesen ein völlig neues Kunstwerk wie Obelix Hinkelsteine verkauft. Gould ist für mich auch schon ein Kompromiss-Tannhäuser, wenn auch ein sehr guter.
Ich hätte wirklich gerne mehr positive Worte für Kaufmann übrig. Aber als Kritiker fühle ich mich vor allem dem künstlerischen Niveau des Gesangs verpflichtet.
Johannes Karl Fischer
Konträre Meinung: Besuchte Vorstellung 5.4. in Salzburg. Kaufmann überzeugte von allen Solisten am stärksten – und der Schlussbeifall war dementsprechend. Frau Petersen war für mich eher schwach und wird als Elisabeth sicher auch in Zukunft nicht brillieren (in der Premiere Buhs). Und Nelsons hat als Wagner-Dirigent enttäuscht, alles gedehnt, in die Länge gezogen, fad. Die Dresdner Staatskapelle (unter Thielemann) ist da um Längen besser. Insgesamt ein Tannhäuser der Note 3 –befriedigend bis gut.
Axel Schertek
Wenn man Tenöre nur nach Kraftmeierei und Lautstärke beurteilt, kann man an Kaufmanns subtiler und intelligenter Interpretation natürlich kein Gefallen finden. Seine Helden sind nie Stimmprotze, sondern bis ins kleinste durchdachte Antihelden. Er sieht immer den Menschen hinter der Rolle. Aber manche wollen oder können es nicht verstehen.
Ute Franke
Ich stimme zu! Es ist das Kaufmann-Bashing zur Mode geworden. Noch vor einigen Jahren war jeder Furz, den er von sich gab, ein großes musikalisches Erweckungserlebnis, heute muss man sich, manche Kritiken lesend, schon fragen, ob der Mann eigentlich überhaupt eine Tonleiter singen könne.
Kurzum: Er ist ein großartiger Tenor. Ich war in besagter Vorstellung in Salzburg und war angetan von ihm. Dass er sich bis zur Rom-Erzählung womöglich etwas mehr geschont hat, als nötig gewesen wäre, mag richtig sein, ändert aber deshalb nichts, weil Andreas Nelsons kapellmeisterlich begleitet hat. Somit war der Gesamtklang dennoch super! (Manche Stellen, wie „Dir Göttin der Liebe…“ im zweiten Aufzug, vielleicht ausgenommen, da dann doch etwas zu lasch)
Ich bin großer Vogt-Fan. Aber Vogt ständig gegen Kaufmann ausspielen zu wollen, ist zur Unsitte geworden – in beide Richtungen im übrigen.
Willi Patzelt
Lieber Willi,
bei allem Respekt für deine Kritiken und für Kaufmanns Gesang – Tannhäuser muss man auch erstmal singen können – bin ich da gänzlich anderer Meinung. Wer einmal den Dithmarscher Althornisten als Tannhäuser gehört hat, wird sich mit einem Sänger der Kaufmann-Klasse nicht mehr zufriedengeben können. Der Münchner Tenor schien mir schon mit den Noten gut gefordert, von Rollengestaltung oder Klangdifferenzierung war wenig zu hören. Einfach nur viele Noten und ganz nach dem klassischen Wagner-Klischee: „Hauptsache laut.“
Vogts Tannhäuser ist ein Kunstwerk für sich, Kaufmanns hingegen eine – nicht mal sehr gelungene – Nachahmung der Wagner-Partitur. Vogt malt in den ersten vier Zeilen der Papst-Erzählung („Hast du so böse Lust getan“) buntere Klangbilder als Kaufmann in vier Stunden.
Johannes Karl Fischer
Danke Frau Franke!
Gudrun Stein
Nun ja, mit Vogt-Fans kann man schwer diskutieren. Die sind so von diesem Stimmklang fasziniert, dass sie auf nichts anderes hören. „Mühelose Vielseitigkeit“, „der bessere Sänger ist, viel differenzierter und farbenfroher“ (bei dieser monochromen Chorknabenstimme?), „schafft mir … ein völlig neues Kunstwerk“ (na klar, bei dieser Stimme fragt man sich, was er im Venusberg gemacht hat, dieser Tannhäuser passt doch schon von vornherein auf die Wartburg), „dem künstlerischen Niveau des Gesangs verpflichtet … Vogts Tannhäuser ist ein Kunstwerk für sich“ (dann sollte man zuerst etwas von Gesangstechnik verstehen: eine ärgerliche Kurzatmigkeit, die ständig nach wenigen Worten nach Luft schnappen muss, egal ob es vom Musikalischen oder Text her passt, so dass keine langen Phrasen und keine logische Textwiedergabe entsteht). Das alles klingt nach hymnischer Vogt-Adoration, die den Konkurrenten mit absurden Behauptungen abqualifiziert. Glücklicherweise haben das Publikum (vgl. Hr. Schertek), die ausländische Tagespresse wie die seriöse Fachpresse ganz anders geurteilt.
Bevor Sie nachfragen, Herr Schmidt, ja, ich war in der Vorstellung (5.4.), und um einer weiteren Frage zuvorzukommen, ja ich kenne die Partitur in ihrer Gesamtheit, und wer sich bezgl. Beurteilung von künstlerischer Qualität derartig aus dem Fenster lehnt wie Herr Fischer, der sollte eine weniger blumige Kritik schreiben („strahlt einem wie eine leuchtende Sonne in die Seele“, „erzählen seine glasklar verständlichen Melodien musikalische Romane“), sondern mehr konkrete Fachkenntnis beweisen. „Umschlingend, ergreifend, wie ein riesiger Sog, der durch die Fluten dieser Klangwelten fegt und dabei das ganze Festspielhaus mitreißt“ klingt eher nach der typischen Wagner-„Klangsuppe“, die Nelsons genau nicht geboten hat (übrigens mit völlig korrekten, der Partitur entsprechenden Tempi, keineswegs zu langsam), sondern einen sehr durchsichtigen und mitreißenden Wagnerklang. „Als Kritiker fühle ich mich vor allem dem künstlerischen Niveau des Gesangs verpflichtet“ – dann sollte man aber schon etwas davon verstehen: saubere Intonation, wechselnde Dynamik (mezza voce, sotto voce usw.), parlando, messa di voce, piano, perfekte Atemtechnik (wie kann man mit vorgestrecktem und gesenktem Kopf und an den Hals gepresstem Kinn richtig singen? Bei Vogt oft zu sehen), Phrasierung, Textverständnis, emotionaler Ausdruck usw. Nur die saubere Intonation ist bei Vogt vorhanden.
5 Stunden Gesang – rechnet Herr Fischer die Pausen dazu?
Emil Katz
Als Kritiker mag ich zwar meine Präferenzen haben. Das hat jede und jeder von uns. Aber meine Mitgliedschaft in sämtlichen SängerInnen-„Fan“-Clubs ruht spätestens, sobald ich mich in einen Zuschauerraum setze, um eine Vorstellung zu rezensieren. Natürlich warte ich schon eifrig auf Vogts Tristan. Auch in der Hoffnung, dass endlich mal ein Sänger die Isolde nicht so niederballern wird, wie es im Bedürfnis nahezu sämtlicher anderer Tenöre zu liegen scheint. Aber wenn sein Tristan nix taugt, werde ich natürlich auch so von mir kundgeben.
„Nun ja, mit Vogt-Fans kann man schwer diskutieren.“ Das gilt für mich auch bei vielen Kaufmann-Fans. Natürlich klingt Vogt wie Vogt und Kaufmann wie Kaufmann. Nur scheint letzterer mir schon im Venusberg am Ende zu sein und für Rollen- oder Stimmgestaltung überhaupt keine Kräfte mehr zu haben. Ganz nach dem Motto: „Hoffentlich ist das gleich zu Ende“.
Bei Vogt hingegen ist jede einzelne Note von durchdachtem Ausdruck. Da merkt man in jedem Moment sofort, welche Emotionen er ausdrücken will und wie sein Charakter gestimmt ist. Für ihn läuft die Melodei so ganz nebenbei. Ganz wie bei einem/r guten GeigerIn, der/die sich natürlich auch nicht auf die Bogenstriche, sondern auf die musikalische Gestaltung des Stücks konzentriert – Szenen wie die fünfte im zweitem Meistersinger-Aufzug sind hierfür besonders exemplarisch, da springt Vogt zwischen brennender Liebesbegierde („ich weiss es, darf nicht trachten nach der Freundin Hand!“), erbitterter Wut („Doch diese Meister!“) und heldenhaft-sehnsuchtsvollem Freiheitsbedürfnis („Fort in die Freiheit!“) scheinbar völlig mühelos hin und her. Mit links sackt seine Stimme bei „Ein Meistersinger muss es sein“ auch noch in die Tiefen des Pogner-Basses ab. Bei Kaufmann konnte ich ein solches Spektrum an Ausdrücken mit Mühe kaum über die knapp 5 Stunden der ganzen Oper feststellen.
Zu diesen 5 Stunden rechne ich selbstverständlich die Pausen hinzu. Sonst könnte man auch argumentieren, der Tannhäuser habe nur 1 oder 1,5 Stunden zu singen, denn die Abschnitte, in denen er nicht auf der Bühne steht (die Ouvertüre, den halben dritten Akt, viele Szenen im zweiten Akt), könne man einfach aus seinem Zeitpensum rausstreichen. Doch ist die Titelrolle des Tannhäusers eine gänzlich andere Belastung als ein 1,5-Stündiger Liederabend.
Johannes Karl Fischer
Machen Sie Witze?
Dafür sollte dieses Medium aber nicht genutzt werden.
Statt jugendlicher Schwärmereien, die jedweder Fachkenntnis entbehren, sollten Sie sich besser mit Operngesang, Gesangstechnik usw beschäftigen, bevor Sie Kritiken zu schreiben beginnen.
Einstweilen wären Sie besser in einer Art Vogt-Fan-Klub aufgehoben, wo Sie sich mit Gleichgesinnten austauschen können.
Nur hier bitte schreiben Sie fachlich Basiertes und nicht derartiges WischiWaschi.
Emil Katz
Wir haben alle unterschiedliche Meinungen. Das ist gut so. Ich habe auch schon von Leuten gehört, Vogt sei kein Tannhäuser, denn „er ist kein Mann, sondern ein erwachsener Mensch mit der Stimme eines Knaben“. Für mich ist das musikalisch völlig inhaltsleer und keine ernst zu nehmende Beurteilung.
Auch kenne ich viele Leute, die mindestens Gesang studiert haben oder sogar beruflich als SängerInnen tätig sind und lautstark kundgeben: „Andreas Schager schreit“. Das wird die beispiellose Euphorie für dessen Siegfried kaum aufhalten. Gleiches gilt für Tomasz Konieczny und Ricarda Merbeth, die häufig des Schreiens beschuldigt werden.
Johannes Karl Fischer
Natürlich gibt es Typen, denen die geschriebenen Noten völlig egal sind und die in der „Oper“ sehen:“je lauter, desto passt“. Und da passen Schreihälse hervorragend hinein.
Und zu Ihrem Counter-Bariton -ihm fehlt es an Atemtemchnik, sodass er nach Luft schnappen muss, egal, ob es musikalisch bzw textmäßig passt oder nicht.
Ich kannn mir vorstellen, dass manche eine derartige Stimme faszinierend finden – sowas hat aber bestenfalls in einem Zirkus was zu suchen, als männlicher Interpret einer Opernrolle ist er mE nicht geeignet.
Subjektive Meinung hat immer ihre Berechtigung, aber in einer Kritik sollte ein gewisses Maß an Fachkenntnis ersichtlich sein.
Emil Katz