Ein wahres Sängerfest mit Orchester in Höchstform: Tannhäuser in Hamburg

Richard Wagner, Tannhäuser,  Staatsoper Hamburg, 24. April 2022 PREMIERE

Foto: © Brinkhoff/Mögenburg

Eine verzaubernde Venus, die aus ihrem Tannhäuser die letzten Höhen seiner Strahlkraft rausholt: Das war ein wahres Sängerfest in Hamburg. Zum ersten Mal seit Jahren konnten auch Kent Nagano und das Staatsorchester mithalten! Weiter so, Herr Delnon!

Staatsoper Hamburg, 24. April 2022, PREMIERE

Richard Wagner Musik und Libretto
Tannhäuser

von Johannes Karl Fischer

So gut in Form war dieses Haus schon lange nicht mehr. Nach der umjubelten Turandot-Premiere eine Tannhäuser Premiere, auf die man in Bayreuth stolz sein könnte. Klaus Florian Vogt ist seit Jahren der unangefochtene Stolzing, in Sachen Siegmund und Lohengrin ist er ebenso König. Kann er auch Tannhäuser? Ja, und wie. Vor allem im dritten Akt glänzte die Vielseitigkeit seiner Stimme. Lyrisch-poetisch die Monologe, kraftvoll die emotionalen Höhepunkte. Das absolute Highlight: Seine stimmliche Verwandlung in einen dämonischen Papst, der Tannhäuser auf ewig verdammt („Hast du so böse Lust geteilt“). Als ob ein zweiter Sänger die ungeschriebene Rolle des Papstes singen würde.

Nächstes Jahr kommt der Siegfried… fehlt dann nur noch der Tristan? Jerusalem hats vorgemacht…  

Ihm gegenüber stand mit Tanja Ariane Baumgartner eine gesanglich mindestens ebenbürtige Venus.  Sich mit ihr zu messen, war selbst für Vogt kein Selbstläufer. Sie legt vor, er legt nach, sie bringt ihn an die Leistungsgrenze seiner Strahlkraft. Solch eine warme, farbenreiche Stimme habe ich schon ganz lange nicht mehr gehört. Eine Venus, die verzaubert. Höchste Zeit, dass sie diese Partie endlich auf dem grünen Hügel singt!

Jennifer Holloways emotionaler Sopran war eine sehr gute Besetzung für die Elisabeth. Voller Freude grüßt sie die Halle, die solange sie gemieden, ihre sanfte Stimme strahlt dabei in alle Ecken des Hauses. Dann das Flehen für ihren Tannhäuser, die Verzweiflung, sie kann die Welt nicht mehr verstehen. Das melancholische liegt ihr noch besser als das strahlende, sie bringt das Publikum zum Weinen, wie es sich für eine Elisabeth gehört. Am Ende viel verdienten Beifall.

Georg Zeppenfeld sang mit einer Glanzleistung den Landgraf Hermann, zu Recht ist er seit Jahren Dauergast an allen wichtigen Häusern. Sein Dialog mit seiner Nichte war eine fesselnde Überleitung in die Trompetenfanfaren.

Einzig Christoph Pohls Wolfram von Eschenbach war nicht ganz auf dem Niveau der anderen Partien. Im ersten und zweiten Akt sang er recht rau und etwas steif, im dritten dann deutlich besser. „O du, mein holder Abendstern“ war melodisch mitreißend, seine Stimme segelte mühelos über dem Harfenklang. Kein schlechter Sänger, es gibt nur viele andere, die sich in dieser Rolle besser zurechtfinden.

Eine richtige Serie hat im Moment das Staatsorchester. Warum auch immer sie so gut in Form sind, sei es wegen den Italienischen Opernwochen oder wegen Vogt, ich weiß es nicht. Aber das war um Welten besser als bei der Elektra-Premiere im November! Jene Energie, die man vor 5 Monaten so vergeblich gesucht hat, schwang diesmal in breiten Wellen durch den Saal. Schwebende Posaunen in der Ouvertüre, flirrende Geigen in der Venusbergmusik: So muss Wagner klingen. Wie bei Elektra gab es zahlreiche Buhrufe. Diesmal völlig unverdient.

Der Chor machte einen sehr großen Schritt in Richtung Vor-Corona-Niveau. Im ersten und dritten Akt schon wieder richtig gut, mit voller Leidenschaft gesungen. Im zweiten noch etwas gedämpft, vor allem in den tiefen Stimmen. Trotzdem jubelnder Applaus für Eberhard Friederich und seine SängerInnen. Natürlich ist es auch eine Sternstunde für jeden Chorsänger, wenn er den Tannhäuser-Schlusschor im Parkett singen darf. „Der Gnade Heil ward dem Büßer beschieden“, das wird noch viele Tage in meinen Ohren noch nachklingen…

Und endlich sind auch die alten Publikums-Reaktionen zurück, nicht nur in Wien! Bei den letzten Premieren waren die Hamburger doch eher brav beim Regie-Team-Auftritt, kaum Bravo- oder Buhrufe. Diesmal wieder lebhafte Diskussionen im fast ausverkauften Zuschauerraum.

Mein Standpunkt:

Diese opulente Inszenierung soll bitte noch viele Jahre am Gänsemarkt gespielt werden! Vom Venusberg im tropischen Dschungelparadies zum Sängerfest im Kunstmuseum: So kann man diese Handlung im 21. Jahrhundert verstehen. Im zweiten Akt fällt ein Tablett mit Champagner-Gläsern zu Boden, im Hintergrund macht ein Gast – der später als Vertreter der Venus-Welt entpuppt wird – Ärger. Das könnte genauso im Foyer der Staatsoper passieren. Als wäre man Teil der Inszenierung.

Einen – nicht ganz so kleinen – musikalischen Fehler gab es zu beklagen: Beim Einsatz der Venus im dritten Akt („Willkommen, ungetreuer Mann“) war das Orchester leider viel langsamer als Frau Baumgartner singen wollte. Mehrere Takte musste sie aussetzten, bis das Orchester wieder dort war, wo sie aufgehört hatte. Auch Herrn Pohl hat es kurze Zeit später erwischt; sein Einsatz „Ein Engel bat für dich auf Erden“ war viel zu früh. So etwas geht eindeutig auf den Dirigentenzettel, in der Oper sollten die SolistInnen das Tempo bestimmen.

Leider wollte das Publikum für diesen Patzer einseitig die Venus abstrafen; sie war die einzige Hauptrolle, bei der es kaum Bravo/a Rufe gab. Obwohl Wolfram von Eschenbach die Stelle auch nicht tadellos wegstecken konnte und es eigentlich die Aufgabe eines Dirigenten ist, sowas in den Proben zu klären.

Es geht wieder aufwärts in der Hamburgischen Staatsoper, das haben die letzten fünf Premieren schon gezeigt. Endlich konnten auch Chor und Orchester mithalten, das gab’s in Hamburg schon seit Jahren nicht mehr. Ein Sängerfest ohnehin, Vogt und Baumgartner waren die Highlights des Abends. Man freut sich schon auf Don Pasquale, Ambrogio Maestri ist der Vogt des Verdi-Puccini-Donizetti Repertoires.

Johannes Karl Fischer, 25. April 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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