Szene aus Tannhäuser: Manni Laudenbach (Oskar) und Lise Davidsen (Elisabeth) – die mit Abstand stärkste Darstellerin der Premiere; Bildrechte: Enrico Nawrath
Bayreuther Festspiele, 25. Juli 2019
Richard Wagner, Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg
von Iris Böhm
Die mit Spannung erwartete Eröffnungspremiere der Bayreuther Festspiele 2019 haben nicht nur 1974 Zuschauer im Festspielhaus, sondern auch Opernfreunde aus vier Ländern in mehr als 100 Kinos zeitversetzt in klimatisierten Sälen und gut gepolsterten Kinosesseln miterlebt. Das UCI Hamburg-Mundsburg empfing die daheimgebliebenen Wagnerianer mit einem Glas Sekt und ordentlich Beinfreiheit. Nur an einem ausgewogeneren, voluminöseren Klang könnte noch gearbeitet werden.
„Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“, die große romantische Oper von Richard Wagner in drei Aufzügen, wird von dem Regisseur Tobias Kratzer und dem Bühnen- und Kostümbildner Rainer Sellmaier zumeist kunterbunt, unterhaltsam und witzig in Szene gesetzt.
Das Vorspiel beginnt mit Filmeinspielungen, die die volle Aufmerksamkeit der Zuschauer auf sich ziehen, was die Musik bedauerlicherweise in den Hintergrund rücken lässt. Sie zeigen Tannhäuser, der sich als Clown einer Zirkusgruppe angeschlossen hat, die ausgelassen und übermütig in einem Citroen-Kastenwagen über die Landstraße braust. Die Mischung aus Theaterspiel, Livefilmen und Videoelementen macht den gut drei Stunden andauernden „Tannhäuser“ kurzweilig und lässt dem Zuschauer einen neuen Blick auf die Oper und insbesondere auch hinter die Kulissen der Bayreuther Festspiele werfen.
Was findet Tannhäuser eigentlich erotisch an dieser quirligen, pubertierenden, leicht durchgeknallten Venus, die in ihrer Märchenwelt lebt? Ist es das Losgelöste, das Selbstbewusste, das Unbeschwerte?
Elena Zhidkova, die kurzfristig für ihre verletzte Kollegin Ekaterina Gubanova eingesprungen ist, meistert die Anforderungen bravourös. Sie ist eine großartige Schauspielerin und Sängerin und fügt sich perfekt in die Inszenierung ein. Allerdings klingt sie eher nach einem Sopran als nach einem für diese Partie sonst üblichen abgedunkelten Mezzosopran. Die Intensität, mit der sie die Rolle verkörpert, ihre Blicke im zweiten Aufzug, das Trotzige, Gelangweilte auch Gemeine – das alles nimmt man ihr sofort ab. Es ist beeindruckend, wie es ihr gelungen ist, in der kurzen Probenzeit eine solch umfangreiche Rolle so bravourös zu übernehmen.
Tannhäuser hat ein Gewissen – er muss weg aus dieser kriminellen Energie, er war dabei, als ein Polizist von Venus totgefahren wurde. Er muss fliehen, ansonsten geht er zugrunde. Er wirkt psychisch äußerst angeschlagen im ersten Aufzug. Stephen Gould singt den verzweifelten Tannhäuser kraftvoll, strahlend und sicher ohne Ermüdungserscheinungen. Im Sängerkrieg ist er der hämische, besserwisserische, sich über die „Romantiker“ Stellende. Die Titelrolle verlangt von dem Sänger ein Äußerstes an Stimmtechnik – Stephen Gould verfügt über eine exzellente , so dass nicht eine Sekunde zu befürchten ist, er würde es nicht bis zur Romerzählung schaffen.
Markus Eiche als Wolfram von Eschenbach wandelt sich nach den ersten beiden Akten von einem etwas blassen und ausdruckslosen Sänger zu einem Protagonisten, der im dritten Aufzug einen hoch emotionalen und berührenden Abendstern strahlen lässt. Seine Stimme klingt baritonal, weich, warm und voll. Dass er zum Schluss noch einmal alle Register zieht, beeindruckt auch Elisabeth, und sie zieht sich mit ihm in den Citroen für ein Schäferstündchen zurück.
Die norwegische Sängerin Lise Davidsen verkörpert Elisabeth trotz oder gerade aufgrund ihres Schicksals als starke, selbstbewusste Frau. Sie singt die Partie voller Wärme, Hingabe, in den Höhen strahlend und klar und überzeugt mit einer äußerst ausdrucksstarken Darstellung der Elisabeth. Sehr ergreifend ist vor allem die Szene im zweiten Aufzug, in der sie um das Leben von Tannhäuser fleht. Auch die Sequenz, in der sie mit Oskar, Manni Laudenbach, die Suppe löffelt, ist unbeschreiblich anrührend.
Der Landgraf Hermann wird von Stephen Milling gesungen, bisher bekannt als Hagen bei den Festspielen in Bayreuth. Die Stimme klingt rund und schön, aber etwas farblos. Ich erinnere mich an ältere Aufnahmen mit Matti Salminen oder Martti Talvela, die das Väterliche dieser Figur noch intensiver erleben lassen. Stephen Milling singt die Partie mühelos bis in die Tiefe, zur Abrundung fehlt lediglich eine intensivere Aussprache.
Die Partie des Walter von der Vogelweide, besetzt mit Daniel Behle, der mit heller klarer Tenorstimme in den Sängerstreit eintritt, darf auf keinen Fall unerwähnt bleiben.
Der junge Hirt wird von einer fahrradfahrenden Katharina Konradi hingebungsvoll gesungen. Bei der Textpassage „da strahlte warm die Sonnen- der Mai war kommen“ kann man die wärmende wohlige Sonne förmlich spüren. Konradi ist es gelungen, diese kleine Rolle mit so intensiver Präsenz und so klarer und textverständlicher Stimme zu gestalten, dass sie einem noch lange in Erinnerung bleiben wird.
Einige Buhrufe aus dem Publikum des Festspielsaals bekam Valery Gergiev, der sein Debüt als Dirigent im Orchestergraben feierte. Der Kinobesucher kann sich dazu nur schwerlich eine Meinung bilden, da das Hauptaugenmerk auf die wunderbaren Sänger, Sängerinnen und Schauspieler fällt, die diesen Tannhäuser zu einem Gesamtkunstwerk machen.
Insgesamt hat das Festspielhaus ein äußerst homogenes Sängerensemble zusammengestellt – es verdient ganz besonderen Applaus dafür, dass es an einem der heißesten Tage des Jahres in Bayreuth eine so imposante Vorstellung darbietet.
Iris Böhm, 26. Juli 2019, für
klassik-begeistert.de