Eine großartige Nina Stemme als Isolde

Richard Wagner TRISTAN UND ISOLDE   Bayerische Staatsoper, München, 6. April 2023

Fotos © Wilfried Hösl

Bayerische Staatsoper, München, 6. April 2023

TRISTAN UND ISOLDE
Handlung in drei Aufzügen (1865)

Komponist Richard Wagner. Dichtung vom Komponisten


von Dr. Klaus Billand

Vor zwei Jahren hatte Jonas Kaufmann, der mittlerweile alle relevanten Wagner-Partien für sich erarbeitet hat, in dieser vorletzten Neuinszenierung der Intendanz Nikolaus Bachler durch Krzysztof Warlikowski an der Bayerischen Staatsoper München als Tristan debutiert.

Nun war diese in weiten Teilen interessante und ansprechende Inszenierung mit anderen Protagonisten besetzt, von denen zuallererst Nina Stemme als Isolde hervorzuheben ist. Was sie an diesem Abend nicht nur stimmlich sondern auch darstellerisch auf die Bühne brachte und wie intensiv sie mit Tristan und in den Momenten unterschiedlichster Emotionen und Gefühlsregungen agierte, das darf man schlicht mit Weltklasse bezeichnen.
Stemmes charaktervoller Sopran steht ihr dabei auch in den dramatischsten Spitzentönen zur Verfügung mit einer guten Attacke vor allem im 1. Aufzug. In der Mittellage strahlt die Stimme aber auch eine sehr gute Resonanz und viel Wärme aus. Dazu beherrscht Nina Stemme eine Mimik und Schauspielkunst, wie man es zuletzt wohl nur bei Waltraud Meier in ihren besten Zeit erleben konnte.

© Wilfried Hösl

Ihr Partner Stuart Skelton verfügt als Tristan zwar über einen wohlklingenden und durchaus auch zum Ausdruck unterschiedlicher Gefühle fähigen Heldentenor, der besonders in den ersten beiden Aufzügen auch sehr gut geführt wird. So gelingt das Liebesduett mit Nina Stemme recht gut. Im so herausfordernden 3. Aufzug ließ diese Fähigkeit jedoch signifikant nach. Die Stimme klingt in den Fieberphantasien wenig fokussiert, da geht es im Wesentlichen um das Erreichen der Spitzentöne bei stark nachlassender Diktion. Hinzukommt, dass der Sänger auch figürlich in seiner Bewegungsvielfalt mehr oder weniger stark eingeschränkt ist, womit die vokale Botschaft immer weniger ihre Entsprechung in der Darstellung findet, und somit einiges an dramaturgischer Dichte verloren geht.

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Jamie Barton singt die Brangäne mit etwas unausgewogener Stimmführung und ebenfalls nicht allzu wortdeutlich. Das fiel insbesondere im 1. Aufzug im Dialog mit Nina Stemme ins Gewicht. René Pape gestaltet vokal und mimisch einen erschütternden und tragischen Monolog, der so zum Mittelpunkt des 2. Aufzugs wird. Iain Paterson singt einen zunächst munteren und später verzweifelten Kurwenal mit seinem kultivierten Bassbariton und hoher darstellerischer Agilität. Die Nebenrollen sind mit Sean Michael Plumb als Melot, Jonas Hacker als Hirte, Christian Rieger als Steuermann und Liam Bonthrone als junger Seemann gut besetzt.

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Die Inszenierung von Warlikowski in den Bühnenbildern und mit den ansehnlichen Kostümen von Małgorzata Szczęśniak findet in einem leicht variierenden Einheitsbühnenbild eines holzgetäfelten eleganten Salons aus den 1920er Jahren mit guter Bühnentiefe statt, wie es mit einigen Meeres-Symbolen in Form von gelegentlich herbeischwebenden Möwen auch auf einem eleganten Nordatlantik-Liner der 1950er Jahre hätte sein können. Der Eindruck einer Überfahrt ist also gegeben. Diesen Saal beherrscht eine Gruppe von vier eleganten Ledersesseln und eine Chaise longue, zu denen dramaturgisch sorgsam ausgewählte Video-Einspielungen von Kamil Polak bei einem stets Stimmungen untermalenden Licht-Design von Felice Ross hinzutreten.

In diesem Raum, der stets auch ein Nicht-Entrinnen-Können suggeriert, bringt der Regisseur die komplexen Beziehungen der Protagonisten immer wieder in einen eindrucksvollen und somit überzeugenden Fokus. Beim Liebestrank verdichten sich die Videoeinspielungen zu äußerst phantasievollen bunten Blumen-Assoziationen, die an Klingsors Zaubergarten in Ravello erinnern. Vielleicht wird hier aber etwas zu stark aufgetragen.

© Wilfried Hösl

Wenn man während des Vorspiels noch die verschlungenen Aktionen zweier Puppen, offenbar Tristan und Isolde darstellend, verstehen mag, wirkt die im 3. Aufzug anstelle Tristans auf der Chaise longue liegende menschliche Tristan-Puppe neben Kurwenal deplatziert. Dessen Entsetzen ist angesichts der Leiden seines Herrn gar nicht mehr zu verstehen. Denn Tristan sitzt an einem Tisch wie beim letzten Abendmahl mit etwa zehn Puppen und singt erstmal von dort aus seine Fieberphantasien. Es ist und bleibt eine Frage, warum Warlikowski sich teilweise der möglichen Wirkung seiner eigentlich guten Personenregie beraubt, indem er solch völlig stückfremde und entfremdenden Elemente in die Handlung einbaut, für die er nicht einmal in seiner Dramaturgie-Besprechung im Programmheft Worte findet.

Warum können die Regisseure von heute, die dem Regietheater zuneigen oder es aktiv betreiben, sich nicht einzig und allein auf die Figuren konzentrieren, die der Komponist geschaffen und konzipiert hat?! Man hat manchmal den Eindruck, sie wollten hier den Komponisten noch vervollständigen, weil die von ihm geschaffene Figur nicht reicht. Das ist bei diese Universalwerken aber nicht erforderlich, wenn man erst einmal die Tiefe und den Facettenreichtum dieser Charaktere erkannt und vollumfänglich verstanden hat. Immerhin waren die wirklich überflüssigen, nun auch schon wieder zu postmodernen Stereotypen verkommenen Statisten in weißer Unterwäsche aus der Premierenserie verschwunden.

© Wilfried Hösl

Juraj Valčuha dirigiert diesmal das wie immer bei Wagner in hoher Qualität aufspielende Bayerische Staatsorchester und den von Stellario Fagone einstudierten Bayerischen Staatsopernchor. Er gibt gleich sehr flüssige Tempi for, im Vorspiel nahezu rauschhafter Ausprägung. Generell war sein Dirigat von einem meist recht dynamischen Vorwärtsdrängen gekennzeichnet, durchaus nicht der Normalfall, aber interessant und zu ihrerseits dynamischen Sängerinnen wie Nina Stemme und Jamie Barton passend. So war es wie immer, wenn in München Wagner gespielt wird, ein vor allem musikalisch guter Abend.

Dr. Klaus Billand, 2. Mai 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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