Wie bringt man  junge Menschen zu Wagner? Über Wrestling – genial einfach, einfach genial

Ring & Wrestling, nach Richard Wagner, Der Ring des Nibelungen,  opera stabile, Staatsoper Hamburg

Foto: Jörn Kipping (c)
Ring & Wrestling – e
ine Operanovela in fünf Teilen
opera stabile, Hamburg, 8. September 2018
Musik aus „Der Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner

Ein Gastbeitrag von Teresa Grodzinska

Die opera stabile, die kleine Schwester der Staatsoper Hamburg, wagt an diesem Abend einen Schritt in Richtung Subkultur. Schon die Zusammensetzung des Publikums machte Lust auf diesen Abend: betagte Wagnerianer in Abendgarderobe neben Drei-Generationen-Patchwork-Familien. Omas und Opas in Jeans, Mütter und Väter in Straßenkleidung,  Sprösslinge in schicken Klamotten, sichtlich aufgeregt statt wie  üblich gepflegt gelangweilt. Wie bringt man  junge Menschen zu Wagner? Über Wrestling. Genial einfach, einfach genial.

Die üblichen Verdächtigen, überwiegend aus dem Kulturbetrieb, samt und sonders in Schwarz. Die Ausläufer der Reeperbahn – in Sportkleidung vom Feinsten: Adidas-Schuhe, Adidas-Jäckchen und Rucksäcke sollten wohl  die Nähe zu Hamburgs Wrestlingszene herstellen. Das Bemühen dieser Herrschaften war umsonst. Kein Wrestling im eigentlichen Sinn bekam das Premiere-Publikum zu sehen. Davon gleich mehr.

Erst klären wir die Frage, was eigentlich Wrestling ist. Auf Deutsch mit „Ringen“ halbwegs treffend übersetzt, ist es eine very american way of sport show; in den Staaten seit den 1990er  Jahren eine der beliebtesten Arten von Massenfernsehunterhaltung, dicht hinter den Baseball-Übertragungen. Wrestling-Stars sind beliebt und sehr gut bezahlt.  Beleibt und muskelbepackt stellen sie ihre Fähigkeiten und – vor allem – Eitelkeiten zur Schau. Wrestling-Arenen sind riesengroß, der Einzug der lebendigen Marvel-Actionfiguren dauert lange und wird von martialischer Musik begleitet. Echtes Wrestling ist nicht ungefährlich. Obwohl es eine Show ist und der Gewinner von vornherein feststeht, kommt es immer wieder zu ernsten Verletzungen im Ring.

Die in der opera stabile neben Opernsängern auftretenden Menschen, in der Pressemitteilung todernst als „Stars der Hamburger Wrestlingszene“ angekündigt, waren allerdings – Gott sei dank! – allesamt eifrige Mitspieler des Universums „Rock & Wrestling“.  Seit 2003 veranstaltet ein Kreis von Gleichgesinnten um Baster, Daniel, Franki und Elmar (keine Nachnamen, nirgends!) eine Parodie des Wrestling zu Rock-and-Roll-Musik. Der Ort des Geschehens: Hafenklang, eine der besten Diskos Hamburgs. Googeln Sie bitte, liebe Leser, es ist eine sehr amüsante, lebendige und vor allem ungemein kreative St.-Pauli-Community. Vom Gefühl und Musikgeschmack her – Althippie bis Altpunk und alles dazwischen.

Daher kam auch der schrille Teil des Publikums: spöttisch dreinschauende Männer in Hanfklamotten und Schiebermützen sowie auffällig unauffällige Frauen und Mädchen. Sie gaben den Ton an: ihre Stars  wurden glühend und laut angefeuert. Das Ganze immer mit Augenzwinkern, mit Selbstironie, mit Wärme und Toleranz. Der St. Paulianer ist ein feiner Menschentypus. Das normale Opernpublikum war teilweise perplex (Darf man so etwas überhaupt? Wie haushalte ich mit meinem Applaus?) zog – wie immer in Hamburg – letztendlich mit. Die St. Paulianer waren eindeutig in der Mehrheit. Echte Begeisterung zeigte auch Ihre Berichterstatterin, sonst kaum einer über fünfzig.

Die Idee  hinter der Operanovela – wie alle queren Bühnenkonzepte – ist denkbar einfach: Ähnlichkeiten beider Genres überzeichnen, Darsteller stilgerecht aber plakativ kostümieren und laufen lassen. Vor allem das: Freilauf für die Kreativität von beiden, nur oberflächlich gesehen verschiedenen Ensembles.

Es war ein Genuss, veritable OpernsängerInnen in den Ring steigen zu sehen. Schon der Wotan (grandios: Julian Arsenaut) dämonisch, obwohl im Morgenmantel, wie er in den Ring plumpst … Donner (Shin Yeo, Typ: gefährlicher Asiate, der sich auf einem Schaumpfosten in Siegerpose präsentiert), die Rheintöchter in Trainingsanzügen und Glitzerturnschuhen… Nur Freia wurde in eine Herbertstrassen-Dienstleisterin verwandelt. Sie trug einen dünnen Morgenmantel mit Tigerprint und eine rote Lacktasche zu Glitzerschuhen. Großes Lob für die Bühnen- und Kostümbildnerin Sandra Fox. Die Gefahr Wagner-Götter in die Lächerlichkeit abdriften zu lassen, haben Sie elegant umschifft, Frau Fox. Chapeau.

Und die sangen mit Wonne im Boxring, die Opernsänger. Als ob die Maulkörbe und Brustpanzer des Pathos von ihnen abgefallen wären. Pia Salome Bohnert gab als Brünnhilde alles. Hing mit ausgebreiteten Armen am Ring-Pfosten und schmetterte das hohe C.  Um sie herum Rock ’n‘ Roll. Herrlich. Julian Arsenaut als Wotan hatte in diesem Ambiente und in Morgenmantel gehüllt etwas von Figuren Dostojewskis. Fricka boxte um sich herum, es sei denn sie schmachtete einen Wrestler an. Große Gaudi an jeder Ecke des Rings.

Ich möchte nicht zu viel verraten, ich möchte dass Sie, liebe Leser, die restlichen vier Folgen der Operanovela besuchen. Nur soviel: die großartige Wagner-Musik kommt voll zum Tragen, streckenweise zwar in ungewöhnlich grotesker Verkleidung, aber musisch und stimmgewaltig – eine echte Wagnerstimmung. Das verdanken wir dem Orchester, bestehend aus zwei Geigen, einem sehr markanten Kontrabass, einem Fagott, einem Klavier und jeder Menge Perkussion. Der Orchesterleiter,  Leo Schmidhals, stand links, dicht hinter den Trommeln. Das Orchester auf der rechten Seite der Bühne.

Der Raum zwischen der Perkussion und dem Rest des Orchesters diente als Auflauframpe für die Darsteller. Aus den Tiefen des höllenartig beleuchteten Grabens  – wie bei den Wrestling-Kämpfen üblich –  stiegen die Opernsänger sowie Wrestler in den schwarz-weiß gehaltenen Ring.

Der Kontrast zwischen den stimmlich geschulten Göttern und mit Mikros ausgestatteten Marktschreiern konnte nicht größer sein. Und dennoch: der Wagner-Pathoszauber wurde für immer gebrochen. Ich werde nie wieder eine Wagneroper hören können ohne im Geiste zu kichern. Dieses heilige Pathos entspringt nämlich der gleichen Quelle wie die überhebliche Gestik, das Gehabe und der Duktus des Wrestling: männlichem Ego mit Schmackes. Wagners Musikgenie hat sich bewährt, Wagner-Mythologie nicht. Das war das Neue, Aufrührerische und für manche Blasphemische an diesem Abend in der opera stabile. Nicht die Wrestler, die keine sind, waren lächerlich. Die Götter, die es nie gab, waren es.

Jetzt noch ein Wort des Lobes für das Orchester. Was für Profis! In aufziehenden Rauchschwaden (künstlicher Zigarettenrauch wie bei Box- und Ringkämpfen üblich) kam kaum eine räumliche Distanz zu den sich im Ring wälzenden, verschwitzten Körpern auf – sie spielten so gut, so stimmig, so präzise. Großartig.

Die nächsten vier Teile der Operanovela „Ring & Wrestling“ können an den kommenden vier Samstagen um 20.30 Uhr in der opera stabile in Hamburg gesehen werden. Der Kartenpreis von 28 € ist gut angelegt. Wenn Sie nicht hingehen können oder wollen – verschenken Sie Ihre Karte an Antiwagnerianer. Davon gibt es ja genug, vor allem auf St. Pauli…

Teresa Grodzinska, 10. September 2018, für
klassik-begeistert.de

Besetzung „Ring“
Musikalische Konzeption und Leitung: Leo Schmidthals
Szenische Konzeption und Inszenierung: Dominik Günther
Bühnenbild und Kostüme: Sandra Fox
Dramaturgie: Johannes Blum
Brünnhilde: Pia Salome Bohnert, Sopran
Freia: Gabriele Rossmanith, Sopran
Fricka: Maria Markina, Mezzosopran
Wotan: Julian Arsenaut, Bariton
Donner : Shin Yeo, Bass
sowie Mitglieder des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg
Besetzung  „Wrestling“:
Hymnensänger und Ansager: Nik Neandertal
Ringsprecher: Pedro (Don Pedro)
Wrestler: Henk Lumberjack, Sea Boy, Eddi der Eismann, The One & Only, Haidi Hitler, ….
Der Drache Pinkzilla

2 Gedanken zu „Ring & Wrestling, nach Richard Wagner, Der Ring des Nibelungen,
opera stabile, Staatsoper Hamburg“

  1. Was für eine tolle Rezi. Ich konnte mir alles Beschriebene sehr gut vorstellen. Und vor allem: es machte Lust, es selbst zu sehen. Was ich leider nicht kann. Wie wäre es denn mit DVDs? Ich weiß, leicht gesagt, schwer getan, trotzdem. Nochmals Gratulation von einer Wagnerfreundin, jedoch nicht Wagnerianerin.
    Angelika Hofbauer

  2. Hallo Frau Hofbauer,
    danke für Ihre freundlichen Worte. 🙂 Es macht auch Spaß, über unkonventionelle Produktionen zu berichten.
    Ich habe gestern Ihre Anregung, die Operanovela „Ring & Wrestling“ als DVD herauszubringen, an die Staatsoper Hamburg weitergeleitet. Wenn sich in der Sache positiv etwas tut, werden Sie sofort von mir hören. 🙂
    Bleiben Sie uns gewogen und: Schreiben Sie uns! Auch, wenn Ihnen etwas missfällt. Daraus lernen wir!

    Mit herzlichem Gruß aus Hamburg
    Teresa Grodzinska
    Autorin klassik-begeistert.de

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