Rising Stars 44: Cristina Gómez Godoy, Oboe – eine stilsichere Interpretin berührt mit ausdrucksstarkem Spiel

Rising Stars 44: Cristina Gómez Godoy, Oboe  klassik-begeistert.de, 22. Juni 2023

Foto: Cristina Gómez Godoy © Felix Broede

Die Entwicklung und Karriere vielversprechender NachwuchskünstlerInnen übt eine unvergleichliche Faszination aus. Es lohnt sich dabei zu sein, wenn herausragende Talente die Leiter Stufe um Stufe hochsteigen, sich weiterentwickeln und ihr Publikum immer wieder von neuem mit Sternstunden überraschen. Wir stellen Ihnen bei Klassik-begeistert jeden zweiten Donnerstag diese Rising Stars vor: junge SängerInnen, DirigentInnen und MusikerInnen mit sehr großen Begabungen, außergewöhnlichem Potenzial und ganz viel Herzblut sowie Charisma.


von Dr. Lorenz Kerscher

Vom frühen Barock bis zur Musik der heutigen Avantgarde war die Klangfarbe der Oboe immer eine unverzichtbare Würze, eine schönes Beiwerk im Klangspektrum des Orchesters. Umso seltener aber tritt sie vorne an die Rampe, um solistisch zu glänzen. Es waren vor allem andere Instrumente, für die über die Jahrhunderte Solokonzerte komponiert wurden, allen voran Violine und Klavier. Auch das kleinere Repertoire für Cello erfreut sich großer Beliebtheit, gelegentlich dürfen Flöte, Harfe, Klarinette, Trompete oder Horn den Solopart übernehmen, doch nur ganz selten ist die Oboe die Nummer eins. So ist für Studierende dieses Instruments nur der eine Weg vorgezeichnet, der zu einem Platz in der Holzbläsergruppe des Orchesters führt. In dieser Artikelserie habe ich schon über Miriam Hanika geschrieben, die diesen Weg nicht gehen wollte und deshalb als Liedermacherin wirkt, dabei die Oboe und auch die „große Schwester“ Englischhorn sehr reizvoll, aber meist auch nur als Beiwerk einsetzt.

Sich mit Oboe und/oder Englischhorn solistisch zu etablieren, gelingt nur sehr wenigen, und wer das schafft, verdient wahrhaft Beachtung. Doch die 1990 im spanischen Linares geborenen Cristina Gómez Godoy hat sich sehr erfolgversprechend auf diesen anspruchsvollen Weg gemacht. Ihre Familienangehörigen sind keine Musiker, doch der Klang der Oboe faszinierte sie von Kindheit an so sehr, dass sie in diesem Instrument ihre Berufung erkannte. Sie studierte in Linares, Jaén und schließlich in Sevilla, wo sie ab dem Alter von 18 Jahren auch Erfahrung als Mitglied des Real Orquesta Sinfónica sammelte. Nach einem 3. Preis beim vielbeachteten Musikwettbewerb der ARD, den sie bereits 2011 erhalten hatte, fand sie sehr schnell eine Orchesterstelle und war seit 2012 als Soloenglischhorn und seit 2013 als erste Oboe bei der von Daniel Barenboim geleiteten Staatskapelle Berlin engagiert. Und seit 2015 hat sie außerdem einen Lehrauftrag an der Universität der Künste Berlin inne. Hinzu kommt von Anfang an eine rege internationale Konzerttätigkeit als Solistin in Werken kammermusikalischen Zuschnitts, u.a. gemeinsam mit Daniel Barenboim, wie auch mit Orchesterbegleitung. Ihre 2021 bei Warner erschienene Debüt-CD mit Oboenkonzerten von Mozart und Strauss spielte sie auch unter der Leitung dieses Maestro ein.

https://www.youtube.com/watch?v=yWYjw5lOdvQ       ( Video einbinden)

Richard Strauss, Oboenkonzert in D-Dur: I. Allegro moderato

Einen so bekannten und durchaus auch als wählerisch geltenden Unterstützer zu haben, hat zweifellos die Karrierechancen begünstigt, doch vor allem hat sich Cristina Gómez Godoy durch eine ganz herausragende Ton- und Spielkultur an die Spitze ihrer Zunft gesetzt. Sie erklärt einen besonders warmen und farbenreichen Ton zu ihrem Ideal und zahlreiche verfügbare Audio- und Videobeispiele weisen nach, dass sie auch hält, was sie verspricht. Schon Videodokumente aus den Anfängen ihrer solistischen Tätigkeit belegen nicht nur virtuose Beherrschung des Instruments, sondern vor allem auch eine unvergleichliche Qualität des melodischen Gestaltens. Schon 2013 war sie eine international begehrte Konzertsolistin mit einem Aktionsradius, der bis São Paulo reichte.

Mozart: Oboe Concerto – Cristina Gómez Godoy – Oboe (Sala São Paulo, Juli 2013)

Cristina Gómez Godoy bleibt nicht bei den Klassikern unter den Solokonzerten stehen, sondern profitiert gerne davon, dass das 20. Jahrhundert der Oboe dann endlich Sololiteratur in größerer stilistischer Vielfalt beschert hat. Sehr schön kann sie den klaren Klang des Instruments auch in Werken neoklassizistisch ausgerichteter Tonschöpfer wie etwa Francis Poulenc und Eugène Bozza zur Entfaltung bringen. Ihr in allen Registern und dynamischen Schattierungen ausgewogener und lebendiger Ton zahlt sich bei diesem Repertoire aufs Allerbeste aus. Was hinter den Noten steht, drängt sich in dieser Stilrichtung nicht alleine nach vorne. Doch ihr gelingt es auch in dieser eher kühl wirkenden Klangwelt, die Zuhörer mit ausdrucksstarkem Spiel zu berühren.

 

Frankreich, Wiege der modernen Oboe | Cristina Gómez Godoy, Michail Lifits. Werke von Poulenc, Saint-Saëns, Bozza etc.

Als „ECHO Rising Star“ nominiert, tourte Cristina Gómez Godoy in der ersten Hälfte 2023 durch renommierte Konzertsäle Europas wie die Erbphilharmonie, die Kölner Philharmonie, die Philharmonie de Paris und die Londoner Barbican Hall und machte mit einem vielseitigen Repertoire einschließlich eines eigens für sie komponierten zeitgenössischen Werks zahlreiche Musikfreunde auf sich aufmerksam. Wenn man also ihren Namen auf einer Konzertankündigung sieht, ist das unbedingt einen ernstgemeinten Eintrag im Terminkalender wert!

Dr. Lorenz Kerscher, 22. Juni 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Weiterführende Information:

Biografisch sortierte Playlist in Youtube

Offizielle Webseite

Dr. Lorenz Kerscher
„Musik ist Beziehungssache,“ so lautet mein Credo. Deshalb bin ich auch als Chorsänger aktiv und treffe mich gerne mit Freunden zur Hausmusik. Eine neue Dimension der Gemeinsamkeit eröffnet sich durch die Präsenz vieler, vor allem junger Künstler im Internet, wo man Interessantes über ihre Entwicklung erfährt, Anregungen zur Entdeckung von musikalischem Neuland bekommt und auch in persönlichen Kontakt treten kann. Man ist dann kein Fremder mehr, wenn man ihnen als Autogrammjäger begegnet oder sie sogar bei einem Konzertbesuch im Publikum trifft. Das ist eine schöne Basis, um mit Begeisterung die Karrieren vielversprechender Nachwuchskünstler mitzuerleben und bei Gelegenheit auch durch Publikationen zu unterstützen.“

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