Ritterbands Klassikwelt 2/2019: "Toi toi toi" – Gruß aus der Hölle

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Das Theater, die Bühne war einst ein kultischer Ort – ein Ort der Rituale, der Geister, des Übersinnlichen. Und bei diesen Ritualen hatten seit jeher auch die Götter der Unterwelt ihre Hand im Spiel. Deshalb ist der Teufel im Theater stets präsent, er sorgt für Hänger, Versprecher, krächzende Töne der Opernsänger, herabstürzende Kulissen und, wie im „Phantom of the Opera“, einen herabstürzenden Kronleuchter.

von Charles E. Ritterband

In manchen Opern und mancher Operette tritt höchstpersönlich der Teufel auf und es wird fröhlich zur Hölle gefahren – von Gounods „Faust“, Boitos „Mefistofele“ über Berlioz‘ „La damnation de Faust“ bis hin zu Offenbachs „Orphée aux enfers“. Aber keines dieser Werke hatte eine derart katastrophale Wirkung wie dieses: „Hoffmanns Erzählungen“. Denn, so will es die Legende, dieses Werk sei schuld an der schlimmsten Theaterkatastrophe der Geschichte: Dem Brand des Wiener Ringtheaters am 8. Dezember 1881, dem (nach offiziellen Angaben) 384 Theaterbesucher zum Opfer fielen.

An diesem Abend nämlich wurde Jacques Offenbachs „Hoffmanns Erzählungen“ aufgeführt – eine Oper (allerdings nicht die einzige), in der, in verschiedenen Verkleidungen, in jedem Akt der Teufel auftritt. Deshalb, so der Aberglaube im erzkatholischen Wien, liege über dieser Oper ein Fluch. Und dass sie von einem Juden geschaffen wurde, mag im damals zunehmend antisemitischen Wien das Seine zu dieser Legende beigetragen haben. Dass übrigens die meisten Todesopfer jüdischer Abstammung waren, ist immerhin Beleg dafür, dass es vor allem das jüdische Bildungsbürgertum war, das damals die Theater, Konzertsäle und Opernhäuser bevölkerte.

Die Geburt des Eisernen Vorhangs

Interessant ist übrigens, dass zu den Todesopfern ein gewisser Ladislaus Vetsera gehörte – besser bekannt war seine Schwester Baronesse Mary Vetsera, Geliebte des Kronprinzen Rudolf, die am 30. Januar 1889 gemeinsam mit dem Kronprinzen von einer tödlichen Kugel getroffen wurde.

Glück hatte Anton Bruckner: Er hatte Karten für diese Vorstellung, deren Besuch ihn möglicherweise das Leben gekostet hätte – doch er fühlte sich an jenem kalten Winterabend krank und blieb zu Hause.

Zu verdanken haben wir dieser Katastrophe übrigens zweierlei: den Einstieg in die forensische Zahnmedizin – deren Vorläufer damals zur Identifizierung der Leichen eingesetzt wurde, vor allem aber war es der Auftakt zu einer geradezu revolutionären Einrichtung, die seither in sämtlichen Theatern und Opernhäusern zu einem obligatorischen Bestandteil der Architektur wurde: Der Eiserne Vorhang, der innerhalb kurzer Zeit Bühne und Zuschauerraum separiert und bei einem Brandausbruch in der einen Hälfte des Theaters dazu beiträgt, das Feuer einzudämmen.

Und bekanntlich hat Churchill am 5. März 1946 den aus der Theaterarchitektur stammenden Eisernen Vorhang als politische Metapher eingeführt, als er ausrief, dass von Stettin in Pommern  bis Triest an der Adria ein „Iron Curtain“ quer über den Kontinent niedergegangen sei. Damit machte er diesen auf den Ringtheaterbrand zurückgehenden Begriff aus der Theaterwelt zum zentralen Begriff des sich damals abzeichnenden Kalten Kriegs.

Archaische Rituale

Das Theater, die Bühne war einst ein kultischer Ort – ein Ort der Rituale, der Geister, des Übersinnlichen. Und bei diesen Ritualen hatten seit jeher auch die Götter der Unterwelt ihre Hand im Spiel. Deshalb ist der Teufel im Theater stets präsent, er sorgt für Hänger, Versprecher, krächzende Töne der Opernsänger, herabstürzende Kulissen und, wie im „Phantom of the Opera“, einen herabstürzenden Kronleuchter.

Deshalb ist das Theater ein Ort des Aberglaubens, der Rituale. Das bekannteste ist das Ritual vor jeder Premiere: Man sagt keineswegs „Viel Glück“ (denn das brächte Unglück), sondern „toi toi toi“ und spuckt dreimal über die linke Schulter des Betreffenden. Man hat auf gar keinen Fall mit „Danke“ oder so ähnlich zu reagieren (denn auch dies brächte Unglück), sondern mit dem zweckpessimistischen „Wird schon schiefgehen“.

Das Spucken ist natürlich ein altes Zauberritual, aber weshalb „toi toi toi“? Nun, das wissen inzwischen nicht einmal mehr Theaterleute: „Toi toi toi“ heißt nichts anderes als „Teufel Teufel Teufel“, dessen Namen man keinesfalls aussprechen darf, dessen Wirken aber mit der Formel (magische Dreizahl!) und dem Spucken über die Schulter gebannt werden soll.

Pfeifen verboten

Als ich mich – als Mitwirkender der untersten Chargen – an der Volksoper in der Oper „Martha“ umtat und die bekanntesten Hits unbekümmert vor mich hinpfiff, wurde ich von den Kollegen sofort scharf verwarnt: Pfeifen dürfe man hinter den Kulissen auf gar keinen Fall. Weshalb nicht? Auch dies wusste fast niemand mehr.

Ich will den Grund verraten: Wie entstand das Feuer beim Ringtheaterbrand? In fünf Schaukästen hinter der Bühne wurde die Gasbeleuchtung entzündet. Durch Versagen der elektropneumatischen Zündvorrichtungen strömte Gas aus, welches beim nächsten Zündversuch explodierte. Das entstandene Feuer sprang auf die Prospektzüge über, bevor es sich rasch über den Rest der Bühne und schließlich im ganzen Zuschauerraum ausbreitete.

Das Pfeifen, so die Eklärung, erinnere an das Pfeifen des ausströmenden Gases der Gasventile bei der einstigen Gasbeleuchtung der Theater – und beschwöre die Geister des Ringtheaterbrands herauf. Deshalb: Pfeifen strikt verboten.

Dr. Charles E. Ritterband, Wien, 05. Oktober 2019

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Der Publizist und Journalist Dr. Charles E. Ritterband, 66, geboren in Zürich / Schweiz, ist Verfasser mehrerer Bestseller („Dem Österreichischen auf der Spur, „Österreich – Stillstand im Dreivierteltakt“ sowie „Grant und Grandezza“) und hat als Auslandskorrespondent 37 Jahre aus London, Washington, Buenos Aires, Jerusalem und Wien für die renommierte Neue Zürcher Zeitung (NZZ) berichtet. Er studierte Germanistik, Geschichte, Philosophie und Staatswissenschaften an den Universitäten Zürich und Harvard sowie am Institut d’études politiques de Paris und an der Hochschule St. Gallen. Seit Kindesbeinen schlägt Charles’ Herz für die Oper, für klassische Konzerte und für das Theater. Schon als Siebenjähriger nahm ihn seine Wiener Oma mit in die Johann-Strauß-Operette „Eine Nacht in Venedig“. Die Melodien hat er monatelang nachgesungen und das Stück in einem kleinen improvisierten Theater in Omas Esszimmer nachgespielt. Charles lebt im 4. Bezirk in Wien, auf der Isle of Wight und in Bellinzona, Tessin.

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