Premiere in Halle: Auch mit kleinem Ballett-Ensemble gelingen sehenswerte Romeo und Julia-Aufführungen

Romeo und Julia, Ballett von Michal Sedláček  Bühnen Halle, Opernhaus Halle, Premiere vom 25. Oktober 2024

Mercutio (Haruto Goto) versucht offensichtlich Tybalt (Patrick Michael Doe) zu bespucken (Foto: Yan Revazov, Ausschnitt)

Ein wirklicher Clou ist das Bühnenbild zur Balkonszene. Es handelt sich um die mehrgeschossige, durchfensterte Fassade der Capulet’schen Verkaufsräume. In den Fenstern stehen dekorierte Schaufensterpuppen, in einem jedoch die regungslos ihren Träumen nachhängende Julia.

Romeo und Julia, Ballett von Michal Sedláček
Musik von Sergej S. Prokofjew

Choreographie und Inszenierung: Michal Sedláček
Bühne: Hynek Dřízhal, Kostüme: Olo Křížová

Staatskapelle Halle, musikalische Leitung: José Miguel Esandi

Bühnen Halle, Opernhaus Halle, Premiere vom 25. Oktober 2024

von Dr. Ralf Wegner

Michal Sedláček hat mit der gestrigen Romeo und Julia-Premiere eine optisch attraktive, viel bejubelte Aufführung auf die Bühne gebracht. Im Vorfeld war ja schon bekannt gewesen, dass er kein Verona mit sich bekämpfenden Stadtgangs zeigen wird. Sedláček siedelt Shakespeares Liebesdrama in einer heutigen Einkaufs-Mall mit rivalisierenden Modelabels an und setzt auf die Liebe von bereits im Berufsleben Stehenden im Alter von etwa 30 Jahren. Ob das klappt oder die Erwartungshaltung beim Publikum unterlaufen wird, wird sich noch zeigen.

Jedenfalls imponiert das weitgehend einheitliche Bühnenbild. Im Hintergrund, durch eine Treppenanlage erreichbar, mixt der Mall-Inhaber Lorenzo (Pietro Chiappara) Parfüms. Daneben entwickelt er aber auch Tränke, die nicht für den öffentlichen Verkauf gedacht sind. Links und rechts auf der Bühne liegen die Geschäfte der konkurrierenden Modeunternehmen Capulet und Montague. Über der Bühnenmitte hängt eine kreisförmige helle Schnurkonstruktion, die einerseits der Mall als Leuchtkörper dient und andererseits auch herabgefahren werden kann und der Liebesnacht Romeos mit Julia eine räumliche Abgrenzung gibt.

Ein wirklicher Clou ist das Bühnenbild zur Balkonszene. Es handelt sich um die mehrgeschossige, durchfensterte Fassade der Capulet’schen Verkaufsräume. In den Fenstern stehen dekorierte Schaufensterpuppen, in einem jedoch die regungslos ihren Träumen nachhängende Julia. Romeo hebt sie herab. Für den anschließenden Pas de deux bleibt dann allerdings wenig Platz.

Haruto Goto (Mercutio), Michal Sedláček (Choreographie), Yuliya Gerbyna (Julia), José Miguel Esandi (musikalische Leitung), Johan Plaitano (Romeo), Patrick Michael Doe (Tybalt) (Foto: RW)

Anfangs ist es nicht ganz einfach, das auftretende Modepersonal exakt zuzuordnen. Einer der wenigen Identifizierbaren ist zunächst der tätowierte Patrick Michael Doe (Tybalt), der offenbar als finsterer Ladendetektiv bei den Capulets engagiert ist. Die von vielen zunächst für Julia gehaltene langhaarige blonde, leicht exaltiert agierende Laura Busquets Garro hat offenbar die Doppelrolle der Cousine Julias namens Rosalinde und auch die der Amme übernommen. Bezeichnet wird sie als Julias Freundin. Das ist schlüssig, denn eine erwachsene Frau wird sich wohl nicht mehr von einer Amme betreuen lassen. Warum aber kann Julia sich dann nicht den Wünschen ihrer Mutter entziehen? Dass diese ihre Tochter mit dem reichen Paris (Giuseppe Lucenti) verheiraten will, leuchtet ein, möglicherweise stehen die Capulets kurz vor dem Ruin.

Romeo wird von dem athletischen, muskelkräftigen Johan Plaitano als Durchschnittsmann interpretiert. Ein Sympathieträger ist er im Gegensatz zu Julia nicht, und er erschießt Tybalt mit vollem Bewusstsein. Es ist, anders als bei Shakespeare, ein klassischer Racheakt, ein Mord. Deswegen wenden sich auch Romeos Freunde wie Benvolio (Alexey Ruigómez) von ihm ab. Ihm bleibt nichts als die Flucht. Am Ende hört Romeo wohl von Julias Tod, nimmt an, dass sie sich aus Liebe zu ihm vergiftet hat. Während Julia das Gift nur wohldosiert zu sich nahm, um später wieder aufzuwachen, leert Romeo die Giftflasche bis auf den Grund. Es ist ihm gleich, er hat keine Freunde mehr und auch seine Geliebte verloren.

Etwas fehlt am Ende, die rechte Empathie mit den tragisch Endenden will sich nicht einstellen. Wenn Erwachsene so ihr Leben beenden wollen, warum soll ich als Zuschauer mitleiden? Bei jungen Menschen wie bei Shakespeare und adaptiert bei anderen Choreographien leiden wir mit. Denn es sind sinnbildlich unsere eigenen Kinder, die wir in einer für sie ausweglosen Situation erleben. Shakespeare läutert uns Eltern, wir sollten nicht so handeln wir die Capulets.

Yuliya Gerbyna ist als Julia der Sympathieträger der Aufführung. Tänzerisch beeindruckt auch die hochgewachsene Markéta Jedličková als Julias Mutter mit expressiven Armbewegungen. Und Haruto Goto ist als Mercutio vom Springen und Drehen in der Luft fast nicht fernzuhalten, tänzerisch trägt er damit weite Teile der Aufführung.

Aurelian Child de Brocas (Mr. Montague), Pietro Chiappara (Mr. Lorenzo), Laura Busquets Garro (Julias Freundin), Haruto Goto (Mercutio), Yuliya Gerbyna (Julia), Johan Plaitano (Romeo), Patrick Michael Doe (Tybalt), Markéta Jedličková (Mrs. Capulet), Guiseppe Lucenti (Paris), Alexey Ruigómez (Benvolio) (Foto: RW)

Die musikalische Seite der Vorstellung hätte besser sein können. Zwischen sehr, sehr laut und leise gab es nur wenige dynamische Abstufungen. Einzelne Fehler bei den Bläsern blieben verzeihlich. Insgesamt war es aber eine sehenswerte Ballettvorstellung, der ein großer Publikumserfolg sicher sein wird.

Dr. Ralf Wegner, 27. Oktober 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Interview: klassik-begeistert im Gespräch mit Michal Sedláček, Choreograph und Ballettdirektor in Halle, Teil 1 klassik-begeistert.de, 16. Oktober 2024

Interview: klassik-begeistert im Gespräch mit Michal Sedláček, Choreograph und Ballettdirektor in Halle am 16. Oktober 2024, Teil 2

Interview: klassik-begeistert im Gespräch mit Michal Sedláček, Choreograph und Ballettdirektor in Halle, Teil 3 klassik-begeistert.de, 16. Oktober 2024

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