Konzerthaus Berlin, Außenansicht, Abend © Felix Löchner / Sichtkreis
Vladimir Jurowski und das RSB hat mit der 9. Sinfonie von Beethoven auf den ersten Blick einen traditionellen Jahresabschluss gewählt. Zuvor gibt es jedoch die Uraufführung des modernen Werks „Pataphor“ von Torsten Rasch. Weder Raschs Komposition noch Jurowskis Interpretation von Beethovens Meisterwerk können überzeugen. Eine Enttäuschung.
Torsten Rasch
Pataphor (Uraufführung)
Ludwig van Beethoven
9. Sinfonie (1824)
Musikalische Leitung: Vladimir Jurowski
Rundfunksinfonieorchester Berlin
Sopran: Mirjam Mesak
Alt: Emily D’Angelo
Tenor: Christopher Sokolowski
Bass: Christof Fischesser
Rundfunkchor Berlin
Konzerthaus Berlin, 30. Dezember 2024
von Arthur Bertelsmann
Normalerweise wird die Neunte Sinfonie von Beethoven alleine aufgeführt. Zurecht, kaum ein orchestrales Werk kann mit dieser unglaublichen Energie mithalten. Die Neunte bläst fast alles weg. Was das RSB dazu bewegt hat, ausgerechnet eine Uraufführung vor Beethovens Meisterwerk zu platzieren, ist schleierhaft.
Passenderweise wirkt das Publikum zu Beginn auch nicht sonderlich konzentriert – bis Vladimir Jurowski den Taktstock hebt, wird eifrig geredet. „Durch die Uraufführung müssen wir durch, danach wird’s gut“ scheint das Publikum zu denken.
Doch Jurowski weist die Hörer schnell in die Schranken. Er dirigiert Raschs Pataphor extrem energiegeladen, Streicher und Bläser geben alles, es kracht und schreit, doch mehr als Aufmerksamkeit bekommt Jurowski trotzdem nicht, was an der Dürftigkeit der Partitur liegen könnte.
Das Torsten Rasch sich auf Filmmusik spezialisiert hat, ist deutlich erkennbar. Alles strotzt nur so von Expressivität und Lautmalerei, doch Pataphor erzählt keine Geschichte und wirkt völlig unstruktiert. Man hofft vergebens darauf, dass im Verlauf des Stückes eine Leinwand herunterfährt und der zugehörige Film gezeigt wird, um zumindest etwas Klarheit zu bekommen.
Als Jurowski den Taktstock senkt, ist aus den hinteren Reihen ein erleichtertes „Gut.“ zu hören – es scheint sich nicht auf Raschs Komposititon zu beziehen. Das Publikum klatscht höflich und lehnt sich gespannt nach vorne. Der ersehnte Hauptteil des Abends beginnt.
Doch von der klar hörbaren Expressivität und Spielfreude des ersten Stücks fehlt ausgerechnet bei Beethovens Neunten jede Spur.
Dirigent und Orchester spielen die Noten herunter, streng und ohne irgendeine Theatralik.
Jurowski dirigiert die ersten zwei Sätze extrem kalkuliert, arbeitet Violinen stark heraus – zu Lasten des restlichen Orchesters. Das Dunkle und Mächtige von Allegro und Presto bleiben so vollkommen auf der Strecke.
Es ist keineswegs so, dass der Chefdirigent des RSB die Sinfonie einfach nur abarbeitet – im Gegenteil, er gibt am Pult alles, rudert und springt, baut extreme Tempi- und Lautstärkenwechsel ein, doch jede Idee bleibt in der Luft hängen.
Das ist besonders schlimm bei der Neunten, die – sauber ausgeführt – in der ersten Hälfte doch eigentlich mehr einem alles mit sich reißenden Orkan als einem konventionellen Orchesterstück ähnelt.
Man schaut immer wieder ungläubig auf das Pult und vergewissert sich, ob das wirklich der eigentlich so hochintelligent agierende Wladimir Jurowski ist und nicht ein zweitklassiger, frisch eingesprungener Dirigent.
Und gerade deswegen bleibt die Hoffnung nach dem enttäuschenden Ende des Prestos, dass der dritte Satz das Ersehnte bringen würde.
Aber Jurowski und das RSB verhaken sich weiter und das Adagio wird zum Tiefpunkt des Abends: Holzbläser und Streicher spielen völlig aneinander vorbei. Die Interpretation reißt nicht mit, der Abschnitt ist tatsächlich – man mag es bei der Neunten kaum aussprechen – sterbenslangweilig.
Das dieses Konzert noch irgendwie zu retten ist, scheint unmöglich und der Beginn des Finales scheint das zu bestätigen. Unmotiviert leiern die Streicher immer wieder die „Ode an die Freude“ herunter, das Publikum rutscht gelangweilt auf den Sitzen herum.
Und dann setzt plötzlich der Bassist Christof Fischesser ein und mahnt RSB und Jurowski: „O Freunde, nicht diese Töne“.
Der Hinweis wird angenommen, plötzlich verwandelt sich der Klang, immer mehr finden der ausgezeichnete Rundfunkchor und das Orchester zusammen. Jurowski wird immer leidenschaftlicher und steigert sich fantastisch in die Partitur herein.
Der Schluss wird dann nicht der eigentlich erwartete Rohrkrepierer, sondern eine großartige Hymne, die das Konzerthaus erbeben lässt. Ob es wieder einen spöttischen Kommentar aus den hinteren Reihen gab, ist schwer zu sagen – der Applaus war einfach zu laut.
Arthur Bertelsmann, 8. Januar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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