Rudis Klassikwelt 2: Eine Begegnung von Arnold Schönberg und Karl Kraus – Teil 1

Rudis Klassikwelt 2: Eine Begegnung von Arnold Schönberg und Karl Kraus – Teil 1  klassik-begeistert.de, 31. Januar 2024

Zur Ausstellung „Arnold Schönberg & Karl Kraus“ im Arnold Schönberg Center, Wien © Arnold Schönberg Center, Wien © Hertha Hurnaus.

 Es ist merkwürdig und bezeichnend, dass die österreiche Decadence im gleichen Jahre 1874 diese beiden Männer hervorgebracht hat, die bestimmt sind, in zahllosen Generationen eine wahrhaft heilsame und für die europäische Kultur entscheidende Unruhe hervorzurufen. (Ernst Krenek, 1934)

Jubiläumsausstellung anlässlich der 150. Geburtstage von Arnold Schönberg & Karl Kraus
17. Januar – 10. Mai 2024

von Dr. Rudi Frühwirth

Anmerkung: Das Sigel F steht für „Die Fackel“. Das Sigel M bezeichnet das Buch von Therese Muxeneder zur Ausstellung, ISBN 978-3-902012-30-2.

Heuer ist nicht nur Brucknerjahr; wir gedenken auch der 150. Wiederkehr der Geburtstage  von Arnold Schönberg und Karl Kraus. Sie waren zwei Exponenten der kulturellen Blüte in Wien, die um 1900 begann, durch den Weltkrieg unterbrochen wurde und durch die Machtergreifung Hitlers ein jähes Ende fand. Sie waren zwei grundverschiedene Persönlichkeiten, die trotzdem vieles gemeinsam hatten: ihr unerbittliches Ethos, ihr Streben nach künstlerischer Reinheit, ihr Abscheu vor Phrase, Lüge und falschem Ornament.

Sie waren beide jüdischer Herkunft. Karl Kraus verließ 1899 die jüdische  Glaubensgemeinschaft und ließ sich 1911 katholisch taufen; sein Taufpate war Adolf Loos. 1922 trat er aus der Kirche aus. Arnold Schönberg konvertierte bereits 1898 zum protestantischen Glauben, kehrte aber 1933 in die jüdische Gemeinschaft zurück; das bestätigende Zeugnis Marc Chagalls ist, wie die meisten im folgenden erwähnten Dokumente, Teil der faszinierenden Ausstellung.

Arnold Schönberg. Wien, Liechtensteinstraße 68/70, 1907. Arnold Schönberg Center, Wien

Arnold Schönberg hatte zahlreiche Schüler, darunter so bedeutende wie Anton Webern und Alban Berg. Karl Kraus war dagegen ein lebenslanger Einzelgänger und stieß Anhänger und Bewunderer immer wieder bewusst ab. Dennoch fühlte sich Arnold Schönberg wie magisch angezogen von der Person Karl Kraus.

Weitere Worte über Arnold Schönberg, den Gründer der „Zweiten Wiener Schule“, und sein Werk brauche ich an dieser Stelle wohl nicht zu verlieren. Karl Kraus dürfte dagegen nicht allen Klassikbegeisterten in und außerhalb Österreichs näher bekannt sein. Er wurde am 28. April 1874 in Gitschin (heute Jičín) in Böhmen geboren, als das neunte Kind des wohlhabenden Papierfabrikanten Jakob Kraus und dessen Frau Ernestine, geborene Kantor. Im Jahr 1877 zieht die Familie nach Wien.

Karl Kraus, Wien, 1908 Foto: Atelier d’Ora Österreichische Nationalbibliothek, Wien

Nach der Reifeprüfung beginnt Kraus das Studium der Rechtswissenschaften, wechselt dann zur Germanistik und Philosophie, ohne jedoch einen Abschluss anzustreben. Bald etabliert er sich als Literatur- und Theaterkritiker in diversen Zeitungen und Zeitschriften. Er erhält schließlich das Angebot, in die Redaktion einer der wichtigsten Tageszeitungen der österreichischen Reichshälfte der Doppelmonarchie einzutreten, der „Neuen Freie Presse”. Kraus hat allerdings in der Zwischenzeit das örtliche Presswesen nur zu gut kennengelernt. Er lehnt ab und gründet 1899 die Zeitschrift „Die Fackel”, die sofort ein großer Erfolg wird. Seine Beweggründe legt er in dem Aufsatz „Ich und die Neue Freie Presse” dar, der mit den Worten schließt (F 5, S. 11, Mai 1899):

Es gibt zwei schöne Dinge auf der Welt: Der »Neuen Freien Presse« angehören oder sie verachten. Ich habe nicht einen Augenblick geschwankt, wie ich zu wählen hätte.

Umschlag der ersten Nummer der „Fackel“, April 1899. Faksimile.  © AAC-Fackel – https://fackel.oeaw.ac.at/f/001,000

In den folgenden Jahren etwickelt sich Kraus vom Literatur- und Theaterkritiker zum Kritiker der Press- und der politischen Korruption, der Klassenjustiz, der bürgerlichen Sexualmoral. Er wird zum bedeutendsten Satiriker deutscher Sprache. Seine Sprachgewalt und sein Wortwitz werden legendär.

Eine lebenslange Konstante von Karl Kraus ist die Liebe zum Theater. Da ihm der Weg zur Bühne versperrt ist, lebt er seine Leidenschaft in öffentlichen Vorlesungen aus. Diese müssen eine einzigartige Faszination ausgestrahlt haben. Einer der Zeugen dafür ist Elias Canetti, der den zweiten Band seiner Lebenserinnerungen „Die Fackel im Ohr“ nennt. Neben seinen eigenen Werken liest Kraus gerne und oft Goethe, Jean Paul, Nestroy und Shakespeare. Unter den Lyrikern verehrt er Matthias Claudius und Detlev von Liliencron ganz besonders. August Strindberg und Frank Wedekind sind die zeitgenössischen Dramatiker, die er am meisten schätzt.

Am 29. Mai 1905 veranstaltet Kraus eine Privataufführung der „Büchse der Pandora“ von Frank Wedekind. Der Autor verkörpert Jack the Ripper, und auch Kraus hat einen kleinen Auftritt als Prinz von Uahubee (F 182, S. 15, Juni 1905). Im Publikum sitzt ein junger Mann von 20 Jahren. Er heißt Alban Berg und wird später eine Oper komponieren, deren Textbuch er selbst aus Wedekinds Doppeltragödie „Erdgeist“ und „Die Büchse der Pandora“ zusammenstellt. Zur Festschrift zu Karl Kraus‘ 60. Geburtstag im Jahr 1934 steuert Berg eine kurze Grußadresse bei, mit einem musikalischen Zitat aus seiner noch unvollendeten Oper „Lulu“:

Eine Seele, die sich im Jenseits den Schlaf aus den Augen reibt…

Theaterzettel der Privataufführung. Faksimile. © AAC-Fackel – https://fackel.oeaw.ac.at/f/182,015

Arnold Schönberg gehört von Beginn an zu den Lesern der „Fackel“ und besucht Vorlesungen (M 93, Brief 24). Arnold Schönberg sucht den Kontakt zu Kraus, bietet ihm Aphorismen zur Veröffentlichung an, wie zum Beispiel diese (M 130):

Kunst ist der Notschrei jener, die an sich das Schicksal der Menschheit erleben. […]

Komponierende Wunderkinder sind Menschen, die in der frühesten Jugend schon so schlecht komponieren wie andere erst im reifen Alter.

Die stilistische Ähnlichkeit zu den in der „Fackel“ publizierten Aphorismen des Herausgebers ist nicht zu verkennen.

Schönberg sendet 1911 ein Exemplar seiner „Harmonielehre“ an Kraus, im vollen Bewusstsein, dass Kraus es nicht lesen wird. Unter anderem schreibt er (M 88, Brief 18):

Ich habe von Ihnen so viel gelernt – in jeder Hinsicht – vielleicht mehr gelernt als man lernen darf, wenn man selbst dabei bestehen bleiben will.

 Das Buch wird zwar in der „Fackel“ angezeigt (F 339-340, S. ii, Dezember 1911), Kraus reagiert aber sonst eher kühl und hat wohl kein Verständnis für die Musik Schönbergs. In der Zeitschrift „Der Brenner“ erscheint im Jahr 1913 eine „Rundfrage über Karl Kraus“. Schönberg wiederholt darin das obige Zitat aus seinem Brief. Zum Kreis um Schönberg und Kraus gehört auch Oskar Kokoschka. Er antwortet auf die Rundfrage so (Sonderdruck im Brenner Verlag Innsbruck, 1917):

Karl Kraus ist abgestiegen zur Hölle, zu richten die Lebendigen und die Toten.

 Die Spuren von Arnold Schönberg in der „Fackel“ sind recht spärlich. Im Heft 272-273 (Februar 1909) veröffentlicht Kraus einen offenen Brief Schönbergs an den Musikkritiker Ludwig Karpath. Dieser hatte sich in dem Konzert, in dem Schönbergs zweites Streichquartett uraufgeführt wurde, höchst ungebührlich benommen. Als Verteidigung erklärt er in einer Zeitschrift vollmundig, er sei „gern bereit, vor jedem Areopag die Prüfung aus der Harmonielehre, Formenlehre und allen anderen musikalischen Disziplinen abzulegen.”Schönberg nimmt ihm beim Wort und schlägt in dem Brief tatsächlich eine öffentliche Prüfung vor, was Kraus so kommentiert (F 272-273, S. 35, Februar 1909):

Dieser Offene Brief wurde von der Presse, an die er geschickt wurde, einstimmig verschwiegen. Aber der Kandidat hat die Prüfungsfrist noch nicht versäumt. Er sollte sich doch die Gelegenheit nicht entgehen lassen, das alte Mißtrauen zu zerstören und durch einen Durchfall endlich den Befähigungsnachweis für sein musikkritisches Amt zu erbringen.

Die Prüfung kam natürlich nicht zustande, und der Befähigungsnachweis blieb Karpath verwehrt.

Im April des Jahres 1910 erscheint das 300. Heft der „Fackel”. Auf Seite 1 finden wir „Sprüche” von Richard Dehmel, dem Dichter der „Verklärten Nacht”. Auf Seite 9 ist das Autograph des vierzehnten Lieds aus dem „Buch der hängenden Gärten”, Schönbergs op. 15, reproduziert. Der Komponist hat es Kraus als Erstdruck für die Jubiläumsnummer überlassen. Was für ein großartiges Zeichen der Anerkennung und Bewunderung!

Arnold Schönberg, op. 15, Nr. 14, Autograph. Faksimile. © AAC-Fackel – https://fackel.oeaw.ac.at/f/300,009

Dr.Rudi Frühwirth, 31. Januar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Teil 2 von Rudis Klassikwelt erscheint am Mittwoch, 7. Febraur 2024 hier auf klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

 

Dr. Rudolf Frühwirth, 31. Januar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Dr. Rudolf Frühwirth kam 1952 in Wien zur Welt und wohnt dort im 4. Bezirk. Seit er im zarten Alter von 14 Jahren in der Staatsoper „Salome“ gesehen und gehört hat, ist er dieser Kunstform rettungslos verfallen. Davon zeugen hunderte Abende „am Stehplatz“, mittlerweile auch auf Sitzplätzen. Durch das Klavierstudium ist er auch konzertanter Musik nähergekommen und war und ist auch häufig im Wiener Konzerthaus und Musikverein Wien anzutreffen. Nach dem Studium der Technischen Mathematik war er bis zur Pensionierung als Forscher an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften tätig und lehrt derzeit an der TU Wien. Da er häufig beruflich wie privat unterwegs war, hat er auch viele Opernhäuser außerhalb Wiens besucht wie Paris, London, Hamburg, Dresden, München und Budapest. Durch ein zufälliges Zusammentreffen – erstaunlicherweise nicht in der Oper, sondern bei Kieser Training in Wien – ist die Bekanntschaft mit dem Herausgeber und die Mitarbeit an klassik-begeistert.de entstanden. Er liebt Musik von Bach bis Cerha und freut sich über die Möglichkeit, seine Musikbegeisterung in Worte zu fassen und andere daran teilhaben zu lassen.     

Die frei zugängliche Online-Ausgabe der „Fackel“ ist auf https://fackel.oeaw.ac.at zu finden. Ihr habe ich alle Zitate sowie die vier Faksimiles entnommen.

Der Sonderdruck der „Rundfrage über Karl Kraus“ ist ebenfalls digitalisiert verfügbar: https://ubdocs.aau.at/open/voll/altbestand/AC01990909.pdf

Das Eingangszitat von Ernst Krenek ist dem Begleitbuch entnommen (M 27).

Rudis Klassikwelt 1: Alles von Bach und Bach für Alle? Die Niederländische Bachvereinigung macht es möglich! klassik-begeistert.de, 9. Juli 2023

 

Ein Gedanke zu „Rudis Klassikwelt 2: Eine Begegnung von Arnold Schönberg und Karl Kraus – Teil 1
klassik-begeistert.de, 31. Januar 2024“

  1. Lieber Rudi,
    Ich danke dir für diesen sehr informativen und ausgewogenen Text. Es fiel mir schwer, keine Eloge daraus werden zu lassen. Ein Hinweis: Das Buch von Lea Singer WAHNSINNS LIEBE empfehle ich als exzellente Ergänzung zum Thema. Sehr empfehlenswert.
    Servus Rudi und herzliche Grüße auch an Sylvia,

    Peter de Bruin

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