Rudolf Buchbinder © Marco Borggreve
Franz Schubert: Trio op. 99
Franz Schubert: Trio op. 100
Renaud Capuçon, Violine (anstelle von Hilary Hahn)
Gautier Capuçon, Violoncello
Rudolf Buchbinder, Klavier
Philharmonie Berlin, 9. November 2024
von Kirsten Liese
Seit der Auflösung des legendären Beaux Arts Trios ist mir kein vergleichbar exquisites Ensemble mehr untergekommen. Vor allem Franz Schuberts Klaviertrios, die zum Schönsten zählen, was die Kammermusik für diese Besetzung hervorgebracht hat, habe ich lange nicht mehr gehört.
Nun sind Rudolf Buchbinder, Renaud und Gautier Capuçon allesamt hochkarätige Solisten und kein festes Ensemble wie einst das Beaux Arts, aber umso mehr war es eine Freude zu erleben, wie gut die Drei miteinander harmonierten. Zumal Renaud Capuçon für den Violinpart verspätet dazu kam – als Ersatz für Hilary Hahn, die aus gesundheitlichen Gründen abgesagt hatte.
Und doch weckte der Berliner Abend in der Philharmonie Erinnerungen an das Beaux Arts. Denn wie einst Menahem Pressler in späteren Jahren, als er sich nach dem Ausscheiden der übrigen Gründungsmitglieder jüngere Mitstreiter ins Boot holte, übernahm Buchbinder als der Älteste und Erfahrenste vom Flügel aus die Führung, stets im Blickkontakt mit seinen Kollegen.
Die Kammermusik lebt schließlich vom sensiblen gegenseitigen Aufeinander-Hören und Reagieren. Wenn Geige und Klavier dasselbe Thema wiederholen, was zuvor das Cello gespielt hat, trete unwillkürlich ein kleiner Wettbewerb ein, hat Pressler einmal gesagt: „Du hörst, wie schön es deine Kollegen spielen und denkst oder bildest dir ein, du kannst es noch schöner spielen; du kannst es vielleicht nicht, aber du versuchst es.“ Das Spiel von Buchbinder und den Geschwister Capuçon beglaubigte das.
Jeder spielte die Melodien aus tiefster Seele, inspiriert von dem Kollegen, der sie gerade so berührend musiziert hatte, insbesondere in dem zweiten Satz des ersten Trios, in dem das Cello zuerst sein Lied anstimmt, das dann reihum Geige und Klavier aufgreifen, eine Melodie so innig, dass einem das Herz aufgeht.
Dass dieser Satz die Seele streichelt, verdankte sich freilich besonders dem edlen, warmen, introvertierten Celloton Gautiers, den ich schon mehrfach mit dem des unvergesslichen Pierre Fournier verglichen habe. Ein Ton, wie er vielleicht prädestiniert ist für die Franzosen, die dieser Musik die Intimität geben, die sie braucht.
Sein Bruder Renaud musiziert in seiner Eleganz phasenweise fast schon eine Spur zu dezent, verhalten in gedeckten Farben, so dass von ihm weniger, aber noch genug zu hören ist. Daniel Hope, der letzte Geiger im Beaux Arts, hätte seiner Stimme bestimmt an manchen Stellen größere Präsenz gegeben, aber der vornehme zurückhaltende Stil des Franzosen entfaltet seinen ganz eigenen Reiz.
Dem edlen Celloton entspricht am Flügel Buchbinders von Feinsinn bestimmter Anschlag, insbesondere im Diskant, wenn die Klavierstimme in den höchsten Registern eine Melodie virtuos ausschmückt oder verziert. Wie Schmetterlinge huschen da die Finger über die Tasten. Schlafwandlerisch sicher und grazil.
Die große Könnerschaft der Musiker drückte sich freilich auch darin aus, wie sie die wechselhaften Stimmungen und Emotionen in diesen beiden Meilensteinen der Kammermusik farbenreich umsetzten: den freudigen Schwung, mit dem das Allegro moderato im ersten Trio beginnt, den majestätisch-feierlichen Ton, mit dem das Allegro im zweiten eröffnet. Den Frohsinn in den Scherzos mit ihren prägnanten Ohrwurmthemen, die einem nicht mehr aus dem Kopf gehen, haben sie sich einmal dort eingenistet, und die Schwermut, wie sie das berühmte Andante con moto im Es-Dur Trio mit ihrem schmerzreichen Lamento verströmt.
Das ist kein Abend, an dem irgendwer mit lautem oder schnellen Spiel imponieren will, auch wenn die Musik hier und da freilich Kraft entfaltet und Buchbinder und die Capuçons sich daran halten, was die Dynamik einfordert. Welche großen Herausforderungen sie an die Interpreten stellt, ahnt nur, wer die Partitur kennt – das große technische Können wird nie zum Selbstzweck. Die Raffinesse liegt vielmehr in all dem, was so trügerisch leicht klingt, genau abgestimmten Übergängen zwischen den liedhaften Gesängen, scheinbar kinderleicht anmutende perlende flotte Tonfolgen, organische Steigerungen und Reprisen, klangliche Balance und eine Durchhörbarkeit der Stimmen.
Warum die Drei in der großen Philharmonie auftraten, in der sie ein bisschen verloren wirkten, und nicht im Kammermusiksaal, mag sich manch einer gefragt haben. Aber das mag das doch relativ hohe Interesse an diesen Abend begründen. Die vorderen Blöcke waren sehr gut besucht, im Kammermusiksaal hätten viele Besucher schon in die höher liegenden Blöcke ausweichen müssen, man sitzt vielleicht doch lieber näher dran an den Künstlern als weiter weg.
Jedenfalls ist mir seit der Auflösung des legendären Beaux Arts Trios kein vergleichbar exquisites Ensemble mehr untergekommen. Und ein Publikum dafür gibt es zum Glück auch noch, sogar erfreulich viele junge Leute in der Reihe hinter mir, darunter mehrere Italiener.
Sie alle schienen die subtilen Qualitäten dieser sehr gesanglich anmutenden Interpretationen ermessen zu können, lauschten wie gebannt. Der große Beifall wurde mit dem zugegebenen Scherzo aus einem Mendelssohn-Trio belohnt. Eine Sternstunde der Kammermusik!
Kirsten Liese, 10. November 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Yuja Wang und Vikingur Ólafsson Philharmonie Berlin, 30. Oktober 2024
Klavierabend Igor Levit Philharmonie Berlin, 28. Oktober 2024