Lohengrin 2022, München © W. Hoesl
München/Bayerische Staatsoper: „Lohengrin“ – Premiere am 3. Dezember 2022
von Dr. Klaus Billand
Nach einer unglücklichen „Lohengrin“-Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper München, in der immerhin Jonas Kaufmann und Anja Harteros sich ein allerdings etwa banales „Häusle“ bauen mussten, war der neuen Intendanz unter Serge Dorny daran gelegen, nach somit recht kurzer Halbwertszeit der alten eine Neuinszenierung der Romantischen Oper von Richard Wagner in Auftrag zu geben.
Man suchte und fand den ungarischen Film- und Theaterregisseur Kornél Mundruczó, der seit 2014 nur etwa 5-7 Opern, je nach Definition, inszenierte, darunter auch Wagners „Tannhäuser“ an der Staatsoper Hamburg, sich aber in weitaus erster Linie Film und Theater widmet, zumal er auch selbst Schauspieler war. Und hier liegt wohl auch gleich der Schlüssel, warum seine Produktion des „Lohengrin“ im Bühnenbild von Monika Pormale, den Kostümen von Anna Axer Fijalkowska, im wenig variierenden Licht von Felice Ross und mit dramaturgischer Unterstützung von Kata Wéber und Malte Krasting nicht recht, bis gar nicht verfängt.
Im wie immer in München umfangreichen Programmheft sind zwei Gespräche wiedergegeben, die den Hintergrund des Regiekonzepts erhellen. Das erste führte Malte Krasting und das zweite László F. Földényi jeweils mit Regisseur Mundruczó. Földényi arbeitete als Zeitschriftenredakteur und Theaterdramaturg, war Herausgeber der ungarischen Zeitschrift für Theaterwissenschaft und ist seit 1991 Dozent für Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Budapest. Auch wenn Mundruczó gleich zu Beginn seines Gesprächs mit Krasting in einem recht generellen Statement betont, wie sehr ihn in der Kindheit die „unendliche Schönheit“ der Musik Wagners berührt habe, ist fast im gesamten Gespräch keine Rede mehr von der spezifischen „Lohengrin“-Musik bis auf seinen Kommentar am Schluss, dass seine Musik „unverändert ihre Faszination entfaltet“, sie „manchmal kalt wie Heroin“ sei, aber süchtig mache „wie eine Droge“ und eine Schönheit habe, „die einen nie wieder loslässt!“ Auch im elfseitigen Gespräch zwischen Földényi und Mundruczó spricht auch nur ersterer nur einmal kurz die „Lohengrin“-Musik an, indem er den musikalischen Bruch gleich nach dem „wunderbaren, wahrhaft erstaunlichen Vorspiel“ als scharfe Trennlinie zum 1. Akt bezeichnet. Unabhängig davon sei es aber „die schönste Ouvertüre überhaupt“. Mundruczó antwortet mit einer ebenfalls kurzen Bewunderung des „Lohengrin“-Vorspiels – und das war es dann mit der Musik dieser Oper auf insgesamt fast 20 Seiten!
Die Gespräche konzentrieren sich also nahezu ausschließlich – und gewissermaßen unter Ausblendung einer detaillierteren Betrachtung der Musik und ihrer Bedeutung für die Dramaturgie des Werks – um die theatralisch-konzeptionelle Deutung der Lohengrin“-Geschichte und vor allem der Figur des Lohengrin selbst, sowie in einem gewissen Ausmaß auch der anderen Figuren des Stücks. Was Lohengrin selbst angeht, so sieht Mundruczó ihn im Prinzip als einen „an eine Tyrannengestalt grenzenden Helden – unberührt und unberührbar, völlig pur und übermenschlich…“. Mit seinem Charisma, das ja unbestritten ist und auch immer wieder maßgeblich für den Erfolg von Populisten ist, könne man die Oper „Lohengrin“ so lesen, „als wäre ihr Titelheld eine populistische Figur.“ So kommt in seiner Münchner Inszenierung Lohengrin also auch nicht vom Gral, von Gott oder aus irgendeiner anderen undefinierbaren Externalität. Er wird sich von den Menschen selbst erdacht, die sich alle einen Erlöser erhoffen, der alles richtet, was sie offenbar selbst nicht schaffen.
Das hat durchaus einen interessanten wahren Kern. Denn der Regisseur meint, das habe etwas von einer Post-Humanität, in der die Menschen die Erkenntnisse der Aufklärung bereits wieder verdrängt haben und die Eigenverantwortung zugunsten einer von irgendwoher erscheinenden charismatischen Person aufgeben, von der sie sich fortan führen lassen (wollen). Dass erinnert doch sehr an derzeit leider reale Gegebenheiten westlicher Gesellschaften im Zeitalter nicht zuletzt der sozialen Medien, gerade auch in der bedauerlichen Diskussion um fake news und die Infragestellung wissenschaftlicher Erkenntnisse – ein immer beunruhigender werdendes Phänomen, das sicher auch auf dem immer offenbarer werdenden generellen Bildungsverfall basiert.
Soweit der konzeptionelle Hintergrund der Inszenierung, so weit so gut. Doch lässt sich das mit dem „Lohengrin“ Richard Wagners wirklich machen?! Hier kommt nämlich die Musik ins Spiel, von der der Regisseur so wenig spricht, die aber immer noch die zentrale Rolle im Musiktheater spielt, wie die Gattung nun mal heißt. Denn sonst könnte man auch gleich ein Theaterstück daraus machen, wie es Mundruczó aufgrund seiner künstlerischen Schwerpunktsetzung vielleicht intuitiv vorgeschwebt haben mag und wie es streckenweise auch aussieht. Bei Wagner ist nun mal ein ganz entscheidender Teil der Geschichte, dass Lohengrin, der vermeintliche oder tatsächliche Erlöser, je nachdem, wie man seine Aktionen interpretiert, in einer Mission aus dem Gral kommt, also aus einem den Brabantern völlig unbekannten, undefinierbaren Medium – und das mit dem Gral eigenen und durchaus guten Absichten. Genau das ist eben aus der Musik abzuleiten, nicht nur aus dem phänomenalen Vorspiel, sondern aus der Gralserzählung, den beiden Schwanengesängen und im Brautgemach des 3. Akts.
Wie stellt sich nun in München die szenische Realisierung eines von „innen“, also aus der Gesellschaft selbst kommenden Lohengrin dar? Es geht schon – leider wieder vom ersten Takt an, eigentlich ein Sakrileg gerade beim ebenso sensitiven wie auratischen Charakter des „Lohengrin-Vorspiels – vor geöffnetem Vorhang los. Man sieht alle uniform in Trainingsanzügen und Turnschuhen gekleideten Choristen und Protagonisten auf einer leichten Anhöhe unter zwei Bäume sitzen, später stehen, mit den Händen fächernd, Fähnchen schwenkend etc. Schließlich tritt Lohengrin völlig unspektakulär aus ihrer Mitte heraus! Wenn man nicht genau hinsieht, fällt es einem kaum auf. Das Bild erinnert an eine westliche Ayurveda-Sitzung oder an den sog. Monte Verità, den Berg der Wahrheit. (Dieser Hügel über dem schweizerischen Ascona zog in den Jahren von 1900 bis 1940 zahlreiche Reformer, Alternative und Künstler aus ganz Europa an)
Im „Lohengrin“-Vorspiel ist allerdings etwas ganz anderes zu hören. Es ist also dem Regieteam ein Anliegen, dass „in diesem Setting alle Beteiligten sich ständig auf der Bühne befinden.“ Wie die skurril und gewöhnungsbedürftig wirkenden Trainingsanzüge sogar König Heinrichs oder Telramunds – wie auch aller anderen – klarmachen, sollen keine äußerlichen Merkmale eine hierarchische Rangordnung suggerieren. Es soll zum Ausdruck kommen, dass alle „die entstehenden Konstellationen gemeinsam erschaffen!“ Der Raum, in dem sich alle bewegen, soll „durch den Konterpart der ‚Füllung‘ in der Schwebe gehalten“ werden.
Das alles klingt mehr als weit hergeholt und beißt sich bei Mundruczó auch szenisch heftig mit der „Lohengrin“-Handlung und den dramaturgischen Vorstellungen Richard Wagners mit seiner sicher nicht zufällig als „romantisch“ bezeichneten Oper. So ist die Szene im Brautgemach ebenfalls von allen Choristen besetzt, die aufmerksam dem Dialog zwischen Lohengrin und Elsa folgen. Bei Lohengrins Worten „Das süße Lied verhallt; wir sind allein, zum erstenmal allein, seit wir uns sahn. Nun sollen wir der Welt entronnen sein, kein Lauscher darf des Herzens Grüßen nahn.“ war vereinzelt leises Lachen im Parkett zu vernehmen… Denn die Zuschauer kannten da ja noch nicht die Ausführungen des Programmheftes, ohne die solche szenischen „Konstellationen“ und manch andere kaum zu verstehen waren.
Das Ganze hatte immer wieder – und gerade vom Ungarn Mundruczó sicher ungewollt – einen Hauch von Sozialismus. Ähnlich befremdlich und ohne Programmheft unverständlich erscheint auch das langsame Herabsinken eines riesigen schwarzen Meteoriten in der Schlussszene. Er soll „als Kunstobjekt den Bühnenraum okkupieren und konfrontieren“, aber auch bereichern und eine größere Wahrheit repräsentieren als unsere kleinen menschlichen Probleme. Wer den Hamburger „Tannhäuser“ Mundruczós sah, dem Judith von Sternburg am 25.4.2022 in der Frankfurter Rundschau „einen erschütternd kurzen Atem“ attestierte, musste sich sofort an den dort gezeigten riesigen tropischen Steinhügel (ebenfalls von Monika Pormale) erinnern, der dem Münchner Meteoriten verblüffend ähnlich sah. Damals trafen sich auf ihm Wolfram und Elisabeth zu einer letzten Begegnung, in München entschwebt nun Elsa. Wie sich die Bilder gleichen!
Abgesehen von einer derart intensives Programmheftstudium voraussetzenden Konzeption der Lohengrin-Figur und ihrer daraus folgenden Nichtvereinbarkeit mit den dramaturgischen Vorstellungen des Komponisten und seiner dazu geschaffenen Musik fand Mundruczó aber zu interessanten und aus der Inszenierung direkt nachvollziehbaren Darstellungen der anderen Protagonisten. So stellt er Ortrud als eine aufgeklärte, rational denkende starke Frau dar, die mit ihrer Weigerung Recht habe, einem neuen Gott zu huldigen, den man ihr von einem auf den anderen Tag vorsetzt. Wobei sich der Regisseur zu einem bestimmte Grade selbst widerspricht, denn bei ihm ist Lohengrin ja eben nicht ein Gott oder Gottgesandter, sondern einer aus ihrer Mitte! Aus Sicht der Wagnerschen Idee hat er aber mit dieser Interpretation der Ortrud Recht. Anja Kampe spielt diese Rolle mit beeindruckender Intensität und lässt dazu ihren ausdrucksvollen Sopran erklingen. Sie ist neben Klaus Florian Vogt, der wie immer seine Weltklasse-Eignung für den Lohengrin sängerisch, aber auch darstellerisch unter Beweis stellt – ob nun vom Gral gesandt oder aus Eigenproduktion – die stärkste Figur in dieser Inszenierung.
Dass Ortrud dem Regisseur „in gewisser Weise sogar sympathisch“ ist, erscheint angesichts ihrer Verzauberung des jungen Gottfried als möglichem Erben von Brabant – den er am Ende sogar noch ganz traditionell als jungen Burschen (Levi Schudel) erscheinen lässt – allerdings nur begrenzt nachvollziehbar. Auch hier holpert seine Rolleninterpretation. Telramund wird als der von Ortrud total manipulierte Ehegatte gezeigt, was Johan Reuter nicht schwer fällt, aber mit einer vokal deutlich weniger starken Präsenz als seine Partnerin. Johanni van Oostrum, vor kurzem erst als gute Elisabeth in der Neuinszenierung des „Tannhäuser“ in Lyon aufgefallen, singt die Elsa als sehr junge Frau mit einem klangvollen und technisch gut geführten Sopran sowie einnehmendem Spiel. Die Rolle wird von Mundruczó differenzierter gezeigt als gewohnt, und durchaus schlüssig. Für ihn ist Elsa eine widersprüchliche Figur, eine innerlich Zerrissene, die auf einmal im Fokus der Öffentlichkeit steht, was sie fast in den Wahnsinn treibt. Das macht Sinn.
Wenig anzufangen ist hingegen mit der völligen Abwesenheit jeglicher königlicher Aperçus des Heinrich, der wie alle anderen im Trainingsanzug dezidiert als schwacher Herrscher dargestellt werden soll, der die Probleme nicht lösen kann, also zum Gottesgericht ruft und schließlich Lohengrin, obwohl er ihn gar nicht genauer kennt, die Heeresführung übergibt – so der Regisseur. Mika Kares bleibt in diesem Sinne fast rollengerecht auch stimmlich etwas blasser also sonst von ihm gewohnt. Einen großen stimmlichen Erfolg, denn mehr ist ihm kaum vergönnt, landet hingegen Andrè Schuen, den man ja eher mit Mozart assoziiert, mit seinen Heerrufer-Debut. Liam Bontherone, Granit Musliu, Gabriel Rollinson und Roman Chabaranok sind die hier noch unauffälligeren vier brabantischen Edlen. Solisten des Tölzer Knabenchors stellen die vier Edelknaben. Ausgezeichnet, wenn auch regiekonzeptbedingt viel zu statisch, singen wieder der diesmal von Tilman Michael einstudierte Bayerische Staatsopernchor und Extrachor.
François Xavier Roth hatte diesmal die musikalische Leitung übernommen und dirigierte das bekanntermaßen sehr werkkundige Bayerische Staatsorchester. Wie auch die Inszenierung allzu oft im Ungefähren und akzentlos blieb, war auch sein Dirigat nicht von der für die „Lohengrin“-Musik so typischen auratischen, ja zeitweise astralen Hörästhetik gekennzeichnet. Das Stück wurde ordentlich, bisweilen mit etwas zu schnellen Tempi, aber nicht überragend und eingebungsreich gespielt. Kommende Zuschauer müssen entscheiden, ob der Häuslebau besser war als eine gesellschaftliche Eigenproduktion des Lohengrin…
Klaus Billand, www.klaus-billand.com
für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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