Foto: Michael Pöhn (c)
SAMSON ET DALILA – PREMIERE
WIENER STAATSOPER, 12. Mai 2018
von Heinrich Schramm-Schiessl (www.onlinemerker.com)
Camille Saint-Saens Oper ist ein absolutes Stiefkind in der Wiener Operngeschichte. Im Gegensatz zu vielen anderen Opern tauchte sie erst 30 Jahre nach der Uraufführung (1877), nämlich 1907 erstmals im Spielplan der damaligen Hofoper auf. Besonders gefragt war das Werk allerdings nicht, denn bis 1936 gab es gerade einmal 30 Aufführungen. Dann verschwand die Oper vom Spielplan und – sieht man von einer konzertanten Aufführung 1972 im Konzerthaus (mit Christa Ludwig und Ludovic Spiess) ab – gab es erst in der Direktion von Claus Helmut Drese im Dezember 1990 eine Neuinszenierung durch Götz Friedrich unter Georges Pretre mit Agnes Baltsa und Placido Domingo. Diese Produktion stand dann bis 1994 am Spielplan und brachte es gerade einmal auf 14 Vorstellungen. Danach wurde die Produktion von Direktor Holender, dem grossen Einsparer, mit der Begründung, der Auf- und Abbau sei zu kompliziert und zeitaufwendig, vom Spielplan genommen.
Dabei ist das eigentlich unverständlich, denn das Werk ist das, was man eine „Sängeroper“ nennt. Damit meine ich, dass es zwei ungemein attraktive Partien hat und man es so über einen längeren Zeitraum mit verschiedenen Sängern immer wieder präsentieren kann. Manche mag eine gewisse Oratorienhaftigkeit, speziell im ersten Akt, stören, aber dafür wird man mit wunderbar schwelgerischen, teilweise orientalisch angehauchten Melodien, effektvollen Chören, herrlichen Arien und der ungemein berührenden Soloszene des Samson im ersten Bild des dritten Aktes entschädigt. Inhaltlich ist das Werk duchaus aktuell, denn es spielt, zumindest laut Libretto, in einer Gegend – nämlich Gaza – die heute als einer der Hotspots der intenationalen Konflikte gilt und erzählt vom Freiheitskampf des Volkes Israel.
Nun gibt es also nach fast einem Viertejahrhundert wieder einen „Samson“ an der Staatsoper und musikalisch kann man mit dieser Produktion nahezu voll zufrieden sein, auch wenn es natürlich in erster Linie der Abend der Elina Garanca war. Ich gebe ehrlich zu, dass ich diése Sängerin seit meiner ersten Begegnung mit ihr am Beginn ihrer Karriere ungemein schätze und sehr froh darüber bin, dass der nunmehr vollzogene Fachwechsel so gut gelungen ist. Ihr Timbre wird immer samtener und dessen unbeschadet hat sie mittlerweile auch eine ansehnliche Durchschlagskraft entwickelt. Dank ihrer hervorragenden Technik singt sie alle Passagen nahezu mühelos und gestaltet dabei die Rolle ungemein überzeugend. Ihre drei Solostellen waren unzweifelhaft der Höhepunkt des Abends. Ihre von manchen immer etwas kühl empfundene Ausstrahlung passt zu dieser Rolle. Vielleicht begehrt sie Samson, aber lieben tut sie ihn sicher nicht, denn all ihre Verführung ist in erster Linie Mittel zum Zweck.
Der Samson Roberto Alagna ist – wie schon die „Otello“-Serie vor einigen Wochen gezeigt hat – derzeit in einer äußerst guten Verfassung. Natürlich ist die Stimme nicht schöner geworden, aber in diesen dramatischen Rollen kann er sie gekonnt einsetzen und tut dies stellenweise sehr effektvoll. Die extremen Höhen sind zwar immer eine gewisse Zitterpartie, aber mit Ausnahme des Schlusstons im Finale gelingen sie doch recht gut. Ansonsten gestaltet er die Rolle ungemein intensiv und zeigt gute Bühnenpräsenz. Dritter im Bundes ist Carlos Alvarez als Oberpriester. Alvarez gehört heute zu jenen Sängern, die eine sichere Bank sind. Er verfügt zwar über keine aussergewöhnliche Stimme aber er singt immer sicher und verlässlich. Darstellerisch würde man ihm etwas mehr Intensität wünschen. Dan Paul Dumitrescu singt die Tröstungen und Mahnungen des alten Hebräers mit angenehm sonorer Stimme.
Marco Armiliato hat das Orchester wieder hervorragend einstudiert, allerdings klang vieles etwas zu sehr zupackend, da fehlte mir etwas der französische Klang. Der von Thomas Lang einstudierte Chor, der in diesem Werk ja eine relativ große Aufgabe hat, klang ausgezeichnet.
Kommen wir nun zum weniger erfreulichen Teil des Abends, der Inszenierung. Alexandra Liedtke hat im Interview mit dem Online-Merker viel Gescheites gesagt, aber nicht wirklich viel davon umgesetzt. Eine wirkliche Personenführung war weder bei den Solisten und schon gar nicht beim Chor zu erkennen. Allerdings gab es auch keine besonders auffallenden Merkwürdigkeiten, obwohl der Kanon der zeitaktuellen Regie, speziell im Bühnenbild von Raimund Orfeo Vogt, teilweise heruntergebetet wurde, besonders im zweiten Akt. Da bestand das Bühnenbild – ach wie originell – aus einem schon sattsam bekannten schwarzen Kubus, der am Beginn bei der Soloszene der Dalila und ihrer Szene mit dem Oberpriester nur kleine Öffnungen freigab, ehe er sich dann zu einem über die Achse aufgerissenen Raum mit grauen Wänden und hohen Türen – auch nicht gerade neu – öffnet. Inmitten dieses Raumes, der gar nicht den Eindruck eines Badezimmers macht, steht dann eine Badewanne und ich werde das Gefühl nicht los, dass Badewannen in Zukunft die unseligen Spitalsbetten ersetzen werden. Das Bühnenbild des ersten und dritten Aktes ist dann, sieht man einmal von den Plastik-Stahlrohrsesseln ab, durchaus akzeptabel, auch wenn man den schwarzen Rundhorizont mit Projektionen etwas lebendiger hätte machen können. Ärgerlich allerdings die erste Szene des dritten Aktes, in der Samson nur orientierungslos umherläuft und nicht das Mühlrad betätigt, obwohl diese Tätigkeit klar aus der Musik zu erkennen ist. Die beiden Ballette (Choreographie: Lukas Gaudernak) waren eher gymnastische Freiübungen. Die Kostüme von Su Bühler waren mehr oder weniger heutig und daher fad.
Am Ende wusste das Publikum nicht wirklich, was es mit dieser Aufführung anfangen soll, denn erst bei den Einzelverbeugungen kam Jubel auf, wobei das Regieteam massive Buh-Rufe einstecken musste.
klassik-begeistert.de, 13. Mai 2018