Foto: Eileen Farrell als Gioconda, 1959 – Nancy Sorensen
Eigentlich bräuchte es mehr als einen Artikel, um die Gesangskunst der amerikanischen Sopranistin Eileen Farrell gebührend zu würdigen. Sie war nicht nur eine der größten dramatischen Opernsängerinnen ihrer Zeit, auch in der Unterhaltungsmusik und im Jazz stach sie hervor und feierte große Erfolge. Im Gegensatz zu späteren und heutigen Opernstars, benutzte sie dabei nicht ihre ausgebildete Opernstimme, um die verschiedenen Genres zu einem einheitlichen stimmlichen Brei zu vermischen. Nein, sie besaß die Gabe und den Gusto, jeder Musik ihre ganz eigenen Stimm- und Klangfarben zu vermitteln. Das “Life Magazine” nannte sie “das perfekte Musikinstrument” (“The perfect musical instrument”)!
von Jean-Nico Schambourg
Eileen Farrell wurde am 13. Februar 1920 geboren als Tochter von zwei Vaudeville-Sängern und wuchs im Connecticut (USA) auf. Sie erhielt ihren ersten Gesangsunterricht bei der Altistin Merle Alcott in New York, die sie anregte, 1940 beim amerikanischen Radiosender CBS für dessen Chor vorzusingen. Schon kurze Zeit später bekam sie dort eine eigene Radiosendung mit dem Titel „Eileen Farrell sings“, in der sie sowohl Opernarien, als auch Schlager sang. Sie trat auf mit Größen wie Frank Sinatra und Tony Bennett, dem Bariton Martial Singher oder den Mezzosopranistinnen Margaret Harshaw und Risë Stevens. Weiterhin war sie Gast in vielen Shows, wie zum Beispiel der bekannten “Bell Telephone Hour”.
Nachdem sie ihre Stimmtechnik bei der Gesangslehrerin Eleanor McLellan weitergebildet hatte, arbeitete sie nach 1947 vor allem als Konzertsängerin und machte Tourneen durch die USA (1947–1948) und Südamerika (1949). 1950 sang sie den Sopranpart in der 9. Symphonie von Ludwig van Beethoven mit dem NBC Symphony Orchestra unter der Leitung von Arturo Toscanini.
Sie wurde in den nächsten Jahren mit ihren 61 Konzerten zur meistgebuchten Sopransolistin des New York Philharmonic Orchestra und sang unter großen amerikanischen Dirigenten wie Thomas Schippers und Eugene Ormandy, aber vor allem unter dem späteren Leiter des Orchesters, Leonard Bernstein, der sie auch regelmäßig bei ihren Solorecitals begleitete.
1951 sang sie in der Carnegie Hall in New York ihre erste vollständige, konzertante Opernaufführung: die Rolle der Marie in der Oper “Wozzeck” von Alban Berg, unter der Leitung von Dimitri Mitropoulos. Hiervon gibt es einen Mitschnitt. Ihr szenisches Operndebüt gab sie 1956 an der San Carlo Opera Company in Tampa, wo sie die Santuzza in “Cavalleria rusticana” von Pietro Mascagni sang. Es folgte u.a. die Leonora in “Il Trovatore” von Giuseppe Verdi an der San Francisco Opera mit Jussi Björling in der Titelrolle.
Im Jahre 1955 verlieh sie der Schauspielerin Eleanor Parker ihre Stimme in dem Film über das Schicksal der großen australischen Opendiva Marjorie Lawrence “Interrupted Melody“ (Unterbrochene Melodie).
Nach ihrem Rausschmiss von der MET 1958 hatte Maria Callas getobt: “Große Namen an der MET? Sie haben Farrell nicht!” Dieses Manko wurde 1960 endlich behoben. Bei ihrem Debut sang Farrell die Titelrolle der Alceste aus Glucks gleichnamiger Oper und hatte gleich am ersten Abend 22 Vorhänge. Bis 1966 sang sie an der MET an 46 Abenden: neben “Alceste” von Gluck, sang sie die Maddalena in “Andrea Chénier” von Giordano, Santuzza in “Cavalleria rusticana” von Mascagni, Gioconda in der gleichnamigen Oper von Ponchielli, Leonora in Verdis “La Forza del Destino” und Isabella in de Fallas “Atlántida”.
Dass sie nicht mehr Auftritte an der MET hatte, lag an ihrem gespaltenen Verhältnis zum Generalmanager Rudolf Bing. Dieser kam nicht klar mit ihrer offenen Art und ihrer amerikanischen Leichtigkeit. Im Gegensatz zu manch anderen Sängern, ließ sie es sich auch nicht verbieten populäre Musik zu singen, was Bing nicht mit der “Würde” seines Opernhauses in Einklang bringen konnte.
Für Eileen Farrell war aber auch die Familie immer wichtiger als ihre Opernkarriere. Sie war seit 1946 mit dem New Yorker Polizisten Robert Reagan verheiratet, mit dem sie zwei Kinder hatte. Sie wendete sich deshalb wiederum vermehrt ihrer Fernseh- und Radio- sowie Konzertaktivität zu.
Sie trat in vielen Fernsehshows auf, wo man auch ihr Talent als Komikerin sehen konnte u.a. mit Danny Kaye, Carol Burnett und auch Marilyn Horne. Mit den beiden Letzteren trat sie in einer musikalischen Kurzfilm-Parodie “El Trios Piccolo Piggos” (Die drei kleinen Schweinchen) auf, und sang den durch Shirley Bassey berühmt gewordenen Filmhit “Big Spender”!
Ihre Vielseitigkeit wird am Besten beschrieben mit einer Geschichte aus dem Jahre 1959. Sie weilte in Italien beim Musikfestival in Spoleto, wo sie in Verdis Requiem sowie einem Konzertabend auftrat. Als der berühmte Jazztrompeter Louis Armstrong ausfiel, fragten die Veranstalter, ob sie einspringen könnte. Sie gab aber keinen klassischen Konzertabend. Nein! Sie sang den Jazzabend mit der Band von Louis Armstrong. Dabei imitierte sie nicht dessen berühmte Jazz-Partnerin Ella Fitzgerald, sondern brachte ihre eigene Interpretation und Stimme auf die Bühne.
1960 nahm sie für das Label Columbia ihr erstes “Crossover”- Album auf mit dem Titel “I’ve Got the Right to Sing the Blues”. Für den Titelsong erhielt sie ihre erste von sechs Grammy-Nominierungen.
Von 1971 bis 1980 lehrte sie an der Indiana University in Bloomington, von 1983 bis 1985 an der University of Maine in Orono. 1999 wurde ihre Autobiografie “Can’t Help Singing” veröffentlicht.
Als ihr Mann 1986 verstarb, wollte sie zuerst nicht mehr singen. Obwohl sie sich gänzlich von der Bühne zurückzog, nahm sie weiterhin Lieder von Komponisten wie Harold Arlen, Rodgers and Hart, Alec Wilder und Johnny Mercer auf für das Label “Reference”.
Eileen Farrell verstarb am 23. März 2002 in einem Pflegeheim in Park Ridge, New Jersey.
Leider gibt es kaum Operngesamtaufnahmen mit ihr: außer dem vorher erwähnten Wozzeck-Mitschnitt, gibt es auf CD oder LP noch einige wenige Live-Mitschnitte von “Otello” (1957) von Rossini, von “Alceste” von Gluck aus der MET unter Kurt Herbert Adler (1961), von “Cavalleria rusticana” von Mascagni, ebenfalls aus der MET, mit Richard Tucker unter Nello Santi (1965), von “La Gioconda” von Ponchielli (1962) und “La Forza del Destino” von Verdi (1965), beide Male mit Franco Corelli und unter der Leitung von Fausto Cleva, bzw. Anton Guadagno.
Sie hat nur eine einzige vollständige Studioaufnahme eingespielt: “Maria Stuarda” von Gaetano Donizetti, wo sie 1971, unter der Leitung von Aldo Ceccato, die Elisabetta neben der Stuarda von Beverly Sills sang. Bei dieser Aufnahme war sie schon über ihren vokalen Zenith hinaus, aber sie besitzt noch immer genug Agilität und Autorität um der Belcanto-Rolle gerecht zu werden.
Gott sei Dank sind aber etliche Studioaufnahmen mit Opernarien überliefert worden. Auf diesen singt sie Arien von Gluck und Menotti, Verdi, Puccini und Wagner, und vielen anderen.
Die Auszüge ihrer Isolde und ihrer Brünnhilde mit den New York Philharmonic unter der Leitung von Leonard Bernstein und Erich Leinsdorf zeigen welch große Wagner-Interpretin uns an ihr verloren ging. 1962 gewann sie einen Grammy für die beste klassische Darbietung (Gesangsolistin – mit oder ohne Orchester) mit ihrer Aufnahme von Brünnhildes Schlussszene aus Wagners Götterdämmerung, die sie zusammen mit den New York Philharmonic unter der Leitung von Leonard Bernstein einspielte. Ebenso empfehlenswert ist ihre Interpretation der Wesendonck-Lieder von Richard Wagner. Diese und einige andere Aufnahmen zeugen auch von ihrem tiefen Gefühl für den Liedgesang, wo, wie in der Oper, ihre Wortdeutlichkeit beeindruckt.
In ihren Aufnahmen “populärer” Musik von Schlagern, Blues und Jazz
(heute würde man sie, fälschlicherweise, als “Crossover-Sängerin” bezeichnen) nimmt sie den Zuhörer emotional gefangen durch die Ehrlichkeit ihrer Darbietung. Hier wird nicht versucht zu tricksen, einen Klang zu produzieren, der nicht der natürlichen Stimme entspricht.
Sie taucht dabei öfters, wie eine Alto-Stimme, in die tiefe Lage und formt Phrasen voller rauchiger Lyrik und klarer, natürlicher Diktion.
Hört man sie mit Lenny Bernstein am Klavier das Lied “Some other time” aus dessen Werk “On the town” singen, dann merkt man, das damals waren wirklich noch andere Zeiten!
Jean-Nico Schambourg, 17. September, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Schammis Klassikwelt (c) erscheint regelmäßig am Sonntag.
Jean-Nico Schambourg, Jahrgang 1959. Gehört einer weltlichen Minderheit an: Er ist waschechter Luxemburger! Und als solcher war es normal, Finanzwirtschaft zu studieren. Begann seine berufliche Karriere bei der Kriminalpolizei, ehe er zur Staatsbank und Staatssparkasse Luxemburg wechselte. Seit jeher interessiert ihn jede Art von Musik, aber Oper wurde seine große Liebe. Er bereist ganz Europa, um sich bekannte und unbekannte Opern und Operetten anzuhören. Nebenbei sammelt der leidenschaftliche Hobbykoch fleißig Schallplatten über klassischen Gesang (momentan ungefähr 25.000 Stück). Sang in führenden Chören in Luxemburg, verfolgt seit einigen Jahren aber ausschließlich eine Solokarriere als Bass. Sein Repertoire umfasst Lieder und Arien in zwölfSprachen. Unter der Bezeichnung “Schammilux Productions” organisiert er selbst jährlich zwei bis drei Konzerte. Perfektionierte sein Singen in Meisterkursen mit Barbara Frittoli, Jennifer Larmore sowie Ramón Vargas, organisiert von “Sequenda Luxembourg”, einer Organisation zur Förderung junger Sängertalente, geleitet von seiner Gesangslehrerin Luisa Mauro. Neu auf klassik-begeistert.de: Schammis Klassikwelt, regelmäßig am Sonntag.
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