Schammis Klassikwelt 22: Wenn Sänger zum Notenblatt greifen – Teil 1

Schammis Klassikwelt 22: Sänger-Komponisten der Musikgeschichte – Teil 1  klassik-begeistert.de, 14. Januar 2024

Bild: Das Konzert (1623) von Gerard van Honthorst

Ist es von Vorteil, wenn man zugleich Komponist und Sänger ist? Kann in diesem Fall der Komponist die Partitur sänger-freundlicher gestalten? Und umgekehrt, versteht ein Sänger es dann besser die Ideen des Komponisten umzusetzen? Den meisten Komponisten ist diese doppelte Begabung nicht gegeben. So sind auch die in diesem Beitrag aufgeführten Künstler meistens hauptsächlich wegen einer Gabe im Gedächtnis der Musikwelt geblieben, obwohl sie sich am Komponieren und am Singen versucht haben.

Dieser Beitrag hat keinen wissenschaftlichen Anspruch, sondern zählt  einige Fakten und Anekdoten aus dem Leben einiger Sänger-Komponisten auf. Bei meiner Auflistung beschränke ich mich auf diejenigen, die eine gewisse Berühmtheit als (Opern)Sänger errungen haben. Trotzdem werde ich wahrscheinlich einige Künstler übersehen haben.

von Jean-Nico Schambourg


Sänger-Komponisten der Renaissance und des Barocks – Teil 1

Im ersten Teil begegnen wir Komponisten von deren eigener “Gesangskunst” kein Zeugnis auf Tonträger existiert. Kein Wunder, lebten diese doch alle Mitte des 16. bis Mitte des 18. Jahrhunderts. Man muss sich also auf die Überlieferungen der geschichtlichen Kommentare und Informationen verlassen. So ist es auch nicht verwunderlich, dass viele der hier aufgeführten Künstler sich eher als Komponist, denn als Sänger in die Musikgeschichte eingetragen haben. Ausnahmen hierzu sind die Kastraten, deren kompositorischer Einfluss allerdings begrenzt war, wie im zweiten Teil aufgezeichnet wird.

Viele Komponisten der Renaissance und der Barockzeit waren in ihren Anfängen Sänger. Oft sangen sie schon als Kinder in Chören, meistens in Kirchenchören, und bekamen somit sehr früh die nötige musikalische Ausbildung, die sie später zur Komposition hinführte.

 Giulio Caccini (1551-1618), italienischer Sänger und Komponist, war zu seiner Zeit der führende Vertreter des Musikstils in Kunst und Gesang. Er war berühmt für seine Opern- und Liedaufführungen in vielen florentinischen Palästen und Häusern.

Caccini studierte zunächst in Rom Laute, Gambe und Harfe. Auch entwickelte er sich schnell einen Ruf als Sänger der Cappella Giulia. Alsdann wurde er vom florentinischen Botschafter angeworben, um im Dezember 1565 bei den Feierlichkeiten zur Hochzeit von Prinz Francesco de’ Medici und Johanna von Österreich in Florenz aufzutreten. Danach setzte er seine Studien bei dem berühmten virtuosen Sänger Scipione Delle Palle in Florenz fort. Ab 1579 war er in die Liste der Angestellten am Hofe der Medici eingetragen und nahm an aufwendigen musikalischen, dramatischen und visuellen Spektakeln teil, die “Intermedi“ genannt wurden.

Zur Hochzeit von Maria de’ Medici in Florenz mit Heinrich IV. von Frankreich wurde am 6. Oktober 1600, im Rahmen der Feierlichkeiten, die Oper “Euridice”, mit hauptsächlich Musik von Jacopo Peri, ebenfalls Sänger und Komponist am Hofe der Medici, aufgeführt. Dies wird manchmal als die erste richtige Opernaufführung überhaupt angesehen. Caccini, der die Aufführung leitete, ersetzte skrupellos einige von Peris Arien durch seine eigenen.

Caccinis schrieb 1602 sein Werk “Le nuove musiche“, die erste wichtige und im 17. Jahrhundert einflussreichste Veröffentlichung des neuen Stils des monodischen Rezitativs in der Vokalmusik mit Generalbassbegleitung. 1614 veröffentlichte er eine weitere Sammlung unter dem Titel “Nuove musiche e nuova maniera di scriverle”. Die meisten Madrigale sind durchkomponiert und enthalten kaum Wiederholungen, einige sind jedoch strophisch. Zu den bekanntesten und am weitesten verbreiteten gehört das Madrigal “Amarilli, mia bella”.

Als kleine Anekdote sei erwähnt, dass das berühmte Musikstück “Ave Maria von Giulio Caccini” nicht von diesem stammt, sondern von Vladimir Vavilov, einem russischen Gitarristen und Komponisten des 20. Jahrhunderts.

Auch die beiden Töchter von Caccini, Settimia und Francesca, waren als Sängerinnen und Komponistinnen aktiv. Settimia Caccini (1591-1638) sang vorwiegend Arien und Opern anderer Komponisten. Ab 1608 wurde sie als Sängerin berühmt, als sie nach Mantua ging, wo sie in Monteverdis Oper “L’Arianna” die Sopranrolle der Venus sang. Sie heiratete 1609 Alessandro Ghivizzani (1572-1636), ein aus Lucca stammender Sänger und ebenfalls Komponist. Nur acht ihrer Kompositionen wurden überliefert.

Ihre Schwester Francesca Caccini (1587-1645), genannt “La Cecchina”, war Komponistin, Sängerin, Lautenistin, Dichterin und Musiklehrerin. Auch sie war tätig am Medici-Hof als Lehrerin, Kammersängerin und Komponistin von Kammer- und Bühnenmusik. Sehr bald war sie die am Besten bezahlte Musikerin am Hofe.

Wie viele Lieder dieser Zeit wurden ihre Madrigale sowohl von ihr selbst gesungen, als auch als Lehrmittel für ihre Gesangschüler verwendet. Ihre erste Veröffentlichung ist “Il primo libro delle musiche”, eine Sammlung, die 19 geistliche Soli, 13 weltliche Lieder und vier Duette für Sopran und Bass enthält. Es ist nicht nur die umfangreichste Sammlung von Sololiedern eines einzelnen Komponisten, sondern auch die erste Sammlung geistlicher Monodien.

Maria Cristina Kiehrll: Lasciatemi qui solo: https://youtu.be/xvw66rtLpkg?si=2ThnMaWW-qpssjn4

Sie komponierte auch viele Musik für Theaterveranstaltungen am Hofe. Die einzige erhaltene Veröffentlichung für die Bühne ist die Oper “La liberazione di Ruggiero dall’isola d’Alcina” (1625) komponiert zum Besuch des polnischen Kronprinzen Ladislaus Sigismondo (später Władysław IV.). Das Werk gefiel dem Prinzen so gut, dass er es 1628 auch in Warschau aufführen ließ. Dieses Werk wird im allgemeinen angesehen als die erste Oper, die von einer Frau komponiert wurde.

Jacopo Peri (1561-1633), Zeitgenosse und Gegenspieler von Giulio Caccini, war, wie dieser, Komponist und Sänger. Musikalisch setzte er sich von Caccini ab. Während dieser häufige Verzierungen in seine Kompositionen einbezog, blieb Peri dem Rezitativstil treu.

Ellen Hargis: “Tu dormi, e ’l dolce sonno”: https://youtu.be/_TTlpgiY5Xo?si=Mboqlb5Neo4tC4I4

Aufgrund seines Talents und seiner Ausbildung konnte Peri in Florenz bei Cristofano Malvezzi studieren und arbeitete dort in mehreren Kirchen, sowohl als Organist, als auch als Sänger. Etwa im September 1588 begann er am Hofe der Medici zu arbeiten, zunächst als Tenor und Begleiter, später als Komponist. Seine frühesten Werke waren Bühnenmusiken für Theaterstücke, Intermedi und Madrigale.

Er wird oft als Erfinder der Oper bezeichnet. So schrieb er das erste Werk, das heute als Oper bezeichnet wird, “Dafne” (um 1597), und auch die erste bis heute erhaltene Oper, “Euridice” (1600), die, wie bei Caccini bemerkt, zur Hochzeit von Maria de’ Medici mit Heinrich IV. von Frankreich aufgeführt wurde. Es ist ein dramatisches Pastoral, vollständig gesungen, in dem neuen Stil, dem “stile rappresentativo” oder monodischen Stil. Peri selbst trat dabei als Sänger auf.

Peri schrieb eine Reihe Opern, oft in Zusammenarbeit mit anderen Komponisten. Weiter komponierte er auch viele andere Stücke für verschiedene Hofunterhaltungen. Wirkte sein Opernstil im Vergleich zu jüngeren Komponisten wie Claudio Monteverdi ziemlich altmodisch, so war sein Einfluss auf diese trotzdem groß, da er den dramatischen Gesangsstil der frühbarocken Oper entwickelt hatte.

Pietro Antonio Cesti (1623-1669), heute vor allem als italienischer Komponist des Barock bekannt, war auch Sänger (Tenor) und Organist. Schüler von Carissimi, wurde er als “der berühmteste italienische Musiker seiner Generation” bezeichnet.

Im Jahr 1633 trat er als Sänger und Organist in Kirchen der Toskana auf. Mit dem Ziel, Priester und Kirchenmusiker zu werden, trat er 1637 dem Franziskanerorden bei. Während seines Aufenthalts in Volterra wandte er sich, unter dem Einfluss der Medici-Familie,  mehr der weltlichen Musik zu. Im Jahr 1650 gerieten dann Cestis Berufung als Franziskanermönch und sein Erfolg als Sänger und Opernkomponist in Konflikt. Er sang in drei sehr erfolgreichen Opern in Lucca. Als das Oberhaupt seines Klosterordens von seinen Opernaufführungen erfuhr, wurde er wegen seines “unehrenhaften und unregelmäßigen Lebensstils” gerügt. 1652 wurde er Mitglied des Hofes von Ferdinand Karl, Erzherzog von Österreich, in Innsbruck. 1660 war er Mitglied des päpstlichen Chores von Papst Alexander VII. und als Sänger erreichte sein Ruhm seinen Höhepunkt. 1666 wurde er Vizekapellmeister in Wien.

Arie: “Intorno all’idol mio” (Orontea)

Die berühmtesten seiner Opern sind “La Dori” (Innsbruck, 1657), ”ll Pomo d’Oro” (Wien, 1668) und “Orontea” (1656). “Il Pomo d’Oro” wurde für die Hochzeit Kaiser Leopolds I. im Jahr 1666 in Wien geschrieben. Cesti war auch Komponist von Kammerkantaten. Seine Opern zeichnen sich durch den reinen und zarten Stil ihrer Lieder aus, die jedoch eher für Kammerkonzerte als für die Bühne geeignet sind. Er schrieb im Belcanto-Stil des 17. Jahrhunderts und seine Kompositionen waren stark von seiner Karriere als professioneller Sänger beeinflusst.

Johann Mattheson (1681-1764) war ein deutscher Opernsänger (Tenor), Komponist, Kantor und Musikschriftsteller. Er stand schon mit 9 Jahren auf der Bühne der Hamburger Oper, sang im Chor der Oper und trat mit 15 Jahren als Solist in Frauenrollen auf. Nach dem Stimmwechsel sang er als Tenor an der Oper am Gänsemarkt. Er trat dort in 15 Jahren mehr als 2000 Mal in ungefähr 65 Opern auf, darunter in mehreren seiner eigenen Kompositionen. Er komponierte 8 Opern, 24 Oratorien, so wie Kantaten, Orchesterwerke und Kammermusik.

Boris Goudenow: “Hochbeglückte Zeiten”, Leitung: Andrea Marchiol (cpo)

Mattheson verband eine enge, wenn auch schwierige Freundschaft mit Georg Friedrich Händel, weil sie öfters Streit wegen entgegengesetztem Musikverständnis hatten. Auch konnte Mattheson nie aus dem Schatten von Händel heraustreten. 1704 sang er die Rolle des Antonius in seiner Oper “Die unglückselige Cleopatra” unter der Leitung von Händel am Cembalo. Nach dem Selbstmord des Antonius, Mitte des dritten Aktes, wollte Mattheson das Cembalo selbst spielen, doch Händel widersetzte sich. Es kam daraufhin zum Duell und Händel verdankte sein Leben einem Metallknopf an seinem Mantel, an dem der Degen von Mattheson abrutschte. Die beiden versöhnten sich anscheinend allerdings recht schnell, denn im folgenden Jahr sang Mattheson in Händels Opern in Hamburg. Im selben Jahre beendete er seine Karriere als Tenor.

Regula Mühlemann: “Mein Leben ist hin” (Arie der Cleopatra):

Für mehr Informationen über Johann Mattheson, verweise ich auf den Artikel von Dr Andreas Ströbl erschienen am 26.05.2020 auf diesem Blog: „Stets hab’ ich (ob mir ward geflucht) das Beste der Musik gesucht“ – das Universalgenie Johann Mattheson.

Zusammen mit der Archäologin Dana Wick hat Andreas vor einigen Jahren auch im Hamburger Michel eine Ausstellung zu Johann Mattheson geplant, kuratiert und eingerichtet.

Jean Nico Schambourg, 14. Januar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Teil 2 „Die Kompositionen der Kastraten“ können Sie hier auf klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at am Sonntag, 21. Januar 2024, lesen.

Schammis Klassikwelt (c) erscheint regelmäßig am Sonntag.

                                                                                                         

Jean-Nico SchambourgJahrgang 1959. Gehört einer weltlichen Minderheit an: Er ist waschechter Luxemburger! Und als solcher war es normal, Finanzwirtschaft zu studieren. Begann seine berufliche Karriere bei der Kriminalpolizei, ehe er zur Staatsbank und Staatssparkasse Luxemburg wechselte. Seit jeher interessiert ihn jede Art von Musik, aber Oper wurde seine große Liebe. Er bereist ganz Europa, um sich bekannte und unbekannte Opern und Operetten anzuhören. Nebenbei sammelt der leidenschaftliche Hobbykoch fleißig Schallplatten über klassischen Gesang (momentan ungefähr 25.000 Stück). Sang in führenden Chören in Luxemburg, verfolgt seit einigen Jahren aber ausschließlich eine Solokarriere als Bass. Sein Repertoire umfasst Lieder und Arien in zwölfSprachen. Unter der Bezeichnung “Schammilux Productions” organisiert er selbst jährlich zwei bis drei Konzerte. Perfektionierte sein Singen in Meisterkursen mit Barbara Frittoli, Jennifer Larmore sowie Ramón Vargas, organisiert von “Sequenda Luxembourg”, einer Organisation zur Förderung junger Sängertalente, geleitet von seiner Gesangslehrerin Luisa Mauro. Neu auf klassik-begeistert.de: Schammis Klassikwelt, regelmäßig am Sonntag.

Portrait: Johann Mattheson klassik-begeistert.de

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