Schammis Klassikwelt 25: Die Musen der Komponisten des Bel Canto – Teil 4

Schammis Klassikwelt 25: Sänger-Komponisten der Musikgeschichte – Teil 4  klassik-begeistert.de, 4. Februar 2024

Bild: Portrait von Isabelle Colbran gemalt von Heinrich Schmidt

Ist es von Vorteil, wenn man zugleich Komponist und Sänger ist? Kann in diesem Fall der Komponist die Partitur sänger-freundlicher gestalten? Und umgekehrt, versteht ein Sänger es dann besser die Ideen des Komponisten umzusetzen? Den meisten ist diese doppelte Begabung nicht gegeben. So sind auch die in diesem Beitrag aufgeführten Künstler, meistens hauptsächlich wegen einer Gabe im Gedächtnis der Musikwelt geblieben, obwohl sie sich am Komponieren und am Singen versucht haben.

Dieser Beitrag hat keinen wissenschaftlichen Anspruch, sondern erzählt nur einige Fakten und Anekdoten aus dem Leben einiger Sänger-Komponisten. Bei meiner Auflistung beschränke ich mich auf diejenigen, die eine gewisse Berühmtheit als (Opern)Sänger errungen haben. Sicherlich werde ich dabei einige übersehen haben.

von Jean-Nico Schambourg

Wie angekündigt befasst sich dieses Kapitel mit den Sänger-Komponisten des 19. Jahrhunderts der südlichen Hälfte Europas. Und hier stechen, mit Ausnahme des Tenors Manuel Garcia, vor allem einige große Primadonnen hervor. Sie waren die künstlerischen Musen von Rossini, Bellini, Donizetti und von vielen anderen bekannten und weniger bekannten Komponisten dieser Zeit.

Angelica Catalani (1780-1849) bestand darauf als “La Prima Cantatrice del Mondo” (die führende Sängerin der Welt) bezeichnet zu werden. Sie hatte ihr Debüt mit 16 Jahren am Teatro La Fenice in Venedig gemacht als Lodoiska in der gleichnamigen Oper von Mayr. Der Erfolg war so groß, dass sie gleich in Triest und an der Scala in Mailand Engagements erhielt. Dort sang sie 1801 die Uraufführung von Giuseppe Nicolinis Oper “I Baccanali di Roma”.

 Der Prinzregent von Portugal engagierte sie 1804, um an der italienischen Oper in Lissabon zu singen. Dort komponierte der portugiesische Komponist Marco Portogallo zehn Opern für sie, u.a. “La morte de Semiramide”.

 

In Paris war Napoleon ein großer Verehrer. Als sie 1806 ein Engagement in London antreten sollte, verweigerte er, ihr einen Pass zum Verlassen von Paris ausstellen zu lassen. Als Nonne verkleidet, fand sie trotzdem einen Weg um nach London zu gelangen.

 Hier erreichte sie den Höhepunkt ihrer Karriere und regierte während sieben Jahren als unübertroffene Primadonna. Sie erhielt sagenhafte Honorare. In London sang sie u.a. in der Uraufführung der Oper “La Vestale” von Vincenzo Pucitta (1810). Sie sang Susanna in der Erstaufführung von Mozarts “Nozze di Figaro” (1812), obwohl sie Mozarts Werke nicht besonders mochte. Seine Schreibweise gab ihr nicht die Freiheiten, die ihr erlaubten, ihre Stimme vorteilhaft zu zeigen.

 Von 1814 bis 1817 leitete sie das Théâtre-Italien in Paris. Allerdings führte die katastrophale Verwaltung durch sie und ihren Ehemann schnell zum finanziellen Untergang. Sie bereiste anschließend Europa, bis sie sich 1827 von der Bühne verabschiedete.

 Eine Anekdote erzählt, dass sie auf einer ihrer Reisen in Weimar bei Tisch neben Goethe saß. Auf ihre Frage, wer der junge Mann sei, der so viel Aufmerksamkeit bekam, antwortete man ihr, es handele sich um den berühmten Goethe. Sie fragte daraufhin, welches Instrument er spielen würde. Nachdem man ihr erklärt hatte, er sei kein Musiker, sondern der gefeierte Autor des Werthers, wendete sich die Catalani zu Goethe und verkündete ihm, sie sei eine große Bewunderin seines Werthers. Goethe verneigte sich dankend, worauf Catalani fortfuhr, noch nie hätte sie ein amüsanteres Werk gelesen, das sie so zum Lachen gebracht hätte. Man kann sich die Verblüffung von Goethe bestens vorstellen.

 Wie viele Sängerinnen dieser Epoche hat auch Catalani Arien anderer Komponisten in der Unterrichtsszene von Rossinis “Barbiere di Siviglia” eingebracht. Sie soll allerdings als Erste Variationen auf die Arie “Nel cor più non mi sento” aus der Oper “La Bella Molinara” von Paisiello eingebracht haben. Folgt die erste Strophe der Variationen noch Paisiellos Original, so sind die nächsten Variationen echte Show-Stücke für Sopran.

Und damit wären wir bei Rossini angekommen, oder genauer gesagt, bei dessen erster Ehefrau: Isabelle Colbran(1785-1825). Sie war eine spanische Sängerin, die im frühen 19. Jahrhundert als eine der besten Sängerinnen Europas angesehen wurde. In Neapel war sie die “Primadonna assoluta”. Man lobte sie für ihren dramatischen Koloratursopran der sich über drei Oktaven erstreckte. Weniger bekannt ist allerdings, dass sie auch selbst komponiert hat.

Geboren in Madrid als Tochter des spanischen Hofsängers Giovanni Colbran, machte sie 1807 ihr italienisches Debüt in Bologna. Ein Jahr später erfolgte ihr Debüt an der Mailänder Scala. 1811 wurde sie nach Neapel engagiert von Domenico Barbaja, Impresario der königlichen Theater von Neapel, dessen Mätresse sie für eine Zeit wurde. Auch der König von Neapel war ihr sehr angetan. Vor allem am Teatro San Carlo feierte sie unzählige Erfolge in Opern von Mayr, Spontini, Fioravanti, Paer und vielen anderen Komponisten, deren Namen und Werke heute fast gänzlich vergessen sind.

Hier begegnete sie auch Rossini, der 1815 von Barbaja zum Musikalischen Leiter der Oper in Neapel ernannt worden war. Rossini schrieb für sie eine ganze Reihe von Opern, in denen sie jeweils die weibliche Hauptrolle sang: “Elisabetta, Regina d’Inghilterra”, “Otello”, “Armida”, “Mosè in Egitto”, “Ricciardo e Zoraide”, “Ermione”, “La Donna del Lago”, “Maometto”, “Zelmira” und “Semiramide”.

 

Aber auch privat fanden die Beiden zueinander und sie heirateten 1822. Doch die Ehe stand unter keinem günstigen Stern. Rossini bereiste Europa für seine neue Produktionen und begann einige Liebesaffären. Als er 1830 entschloss sich definitiv in Paris niederzulassen, um näher bei seiner Geliebten, der früheren Kurtisane Olympe Pélissier zu sein, kehrte Colbran enttäuscht und verlassen nach Bologna zurück.

 Ihre gesangliche Karriere war schon längere Zeit vorher beendet, nach ihrer letzten “Zelmira”  1824 in London, die ein totaler Misserfolg war. Schon ab 1816 sollen ihre stimmlichen Mittel nachgelassen haben.

 Ihre Tätigkeit als Komponistin ging auf ihre Jugendzeit zurück. So schrieb sie schon mit 14 Jahren sogenannte “Ariette”, die sie der spanischen Königin widmete. Insgesamt veröffentlichte sie vier Bände mit Liedern mit Klavier- oder Harfenbegleitung. Die drei weiteren sind ihrem Gesangslehrer Girolamo Crescentini, der Kaiserin von Russland und dem Prinzen von Beaumarchais gewidmet. Sie schrieb auch Lieder, die sie ihrem Vater widmete, diese sind aber verloren gegangen.

 Die Texte zu ihren Liedern stammen von Pietro Metastasio. Diese kleinen Arien, geschrieben im typischen Stile der damaligen sogenannten “Neapolitanische Schule”, lassen, zum Teil, auf Colbrans eigene vokale Agilität schließen.

 

Joséphine Fodor Mainvielle (1789-1870) wurde zwar in Paris geboren, ist aber schon mit 15 Monaten mit ihren Eltern nach Sankt Petersburg umgezogen. Aufgezogen für die Musik, lernte sie früh Klavier und Harfe spielen und begann auch schnell als Sängerin bekannt zu werden. Sie debütierte 1810 am kaiserlichen Theater in “Le Cantatrici Villane” von Fioravanti.

1812 heiratete sie Mainvielle, einen Schauspieler am Théâtre-Français im Dienste des russischen Hofes. Als der russische Kaiser Alexander ausländische Künstler aus dem Ensemble vertrieb, kam Joséphine Fodor nach Stationen in Stockholm und Kopenhagen nach Paris, wo sie 1814 an der Opéra-Comique debütierte, mit mittelprächtigem Erfolg. Sie besaß nicht die klare Artikulation, die französische Werke erfordern. So wechselte sie 1816 an das, von Angelica Catalani geführte, Théâtre-Italien. Angesichts derer Misswirtschaft, zog es sie bald nach London, wo sie in der dortigen Erstaufführungen von Rossinis “Elisabetta, Regina d’Inghilterra” und “Barbiere di Siviglia” auftrat. Als sie 1819 diese Oper in Venedig sang, komponierte Rossini für sie die Arie “Ah, s’è ver che in tal momento”.

 

1819 kehrte sie an des Théâtre-Italien zurück, wo sie in “Il Matrimonio Segreto” von Cimarosa, “Don Giovanni” von Mozart, “Il Barbiere di Siviglia” und “La Gazza Ladra” von Rossini auftrat.

 Aufgrund von gesundheitlichen Problemen ging sie danach nach Neapel. Nach ihrer Genesung sang sie dort Rollen, die Rossini für die Colbran komponiert hatte (Desdemona, Semiramide, Zelmira) und kreierte weitere 20 neue Opern. Im August 1825 sang Fodor die letzte Vorstellung von “L’Inganno Felice” von Rossini in Neapel. Einige Tage später komponierte sie die kurze Kantate “Mes Adieux à Naples”. In dieser Zeit schrieb sie auch eine weitere kurze Arie “Nell’ alto della Notte” auf einen eigenen Text.

 Bei einer “Semiramide” im folgenden Dezember in Paris versagte ihre Stimme. Sie wollte sich danach eigentlich zurückziehen, kam aber 1829 wieder nach Neapel auf die Bühne. In den Saisons 1829 und 1830 sang sie dort “Il Barbiere di Siviglia”, “Semiramide”, “Le Siège de Corinthe” und “Comte Ory”. Sie bleib bis 1831 in dieser Stadt, wo sie Gesangsunterricht gab und “Soirées musicales” veranstaltete, wo sie manchmal von Donizetti am Klavier begleitet wurde.

 1857 veröffentlich sie ihre “Réflexions et conseils sur l’art du chant” (Gedanken und Ratschläge zur Gesangskunst).

 Als im Dezember 1825 Joséphine Fodor Mainvielle in Paris in der Premiere von “Semiramide” die Stimme versagte, übernahm Giuditta Pasta (1797-1865) die Titelrolle ab der nächsten Aufführung im Januar 1826. Der Premiere war schon ein langer Streit zwischen den beiden Diven vorausgegangen, da jede sich berufen fühlte, die Titelrolle der Pariser Erstaufführung zu singen. Rossini hatte vergeblich versucht den Streit zwischen beiden zu schlichten, indem er die Rolle des Arsace auf die Stimmmittel der Pasta hatte umschreiben wollen. Später sprach Rossini dann über Giuditta Pasta als “la vera Semiramide” (die wahre Semiramis).

Geboren als Giuditta Negri, gab sie ihr Debüt 1816 als Baronesse Isabella in Scappas Oper “Lopez de Vega” im Karneval 1816 am Mailänder Teatro degli Accademici Filodrammatici. Zur selben Zeit heiratete sie den Juristen und Tenor Giuseppe Pasta, dessen Namen sie fortan trug. Danach arbeitete sie einige Jahre lang an diversen italienischen Theatern. Durch den Komponisten Ferdinando Paer wurde sie an Catalanis Théâtre-Italien in Paris vermittelt, wo sie als Donna Elvira in Mozarts “Don Giovanni”, als Giulietta in Niccolò Antonio Zingarellis “Giulietta e Romeo”, sowie als Rosina in “Il Principe di Taranto” von Paer auftrat.

 Von da an entwickelte sich eine überwältigende Karriere mit großen Erfolgen in ganz Europa, wobei London, Paris, Neapel und Mailand ihre bevorzugten Häuser waren. Für sie schrieben zahlreiche Komponisten Opern, u.a. Bellini (“La Sonnambula”, “Norma”, “Beatrice di Tenda”), Donizetti (“Anna Bolena”, “Ugo, Conte di Parigi”), Pacini (“La Schiava in Bagdad”, “Niobe”), Mercadante (“Emma d’Antiochia”).

 

Im Sommer 1825 in Paris sang sie die Rolle der Corinna in der Krönungsoper für Karl X., “Il Viaggio a Reims” von Rossini, von dem sie auch Tancredi, Semiramide, Elisabetta Regina d’Inghilterra, Elcìa in “Mosè in Egitto”, Zelmira”, Desdemona in “Otello” sang. Bei einer Aufführung letzterer in London in der Saison 1827-1828 übernahm sie sogar die, für einen Tenor geschriebene, Titelrolle und überließ die Desdemona ihrer Kollegin Henriette Sontag.

 Als Komponistin hat sie allerdings nur ein Lied hinterlassen: auf den Text “Invito alla campagna” des italienischen Poeten Gabriele Rossetti, schrieb sie im Juli 1850 ein kleines Lied, das sie ihrer Tochter Clelia widmete.

 Viel mehr als Komponistin als Giuditta Pasta, trat Caroline Ungher Sabatier (1803-1877) hervor. In der Operngeschichte zählt sie als eine der bekanntesten und gelehrtesten Primadonnen ihrer Zeit. Sie verfügte über eine vom tiefen A bis zum hohen A dehnbaren Altstimme, die ihr in einer gewissen Periode ihrer Karriere ermöglichte auch Sopranrollen zu singen.

Ihr Operndebüt gibt sie 1821 am Kärntnertortheater in Wien als Dorabella in Mozarts “Così fan tutte” neben Henriette Sontag und Joséphine Fodor. Danach folgten Auftritte in “Nozze di Figaro“, “Il Matrimonio Segreto”, Webers “Freischütz”. Zum großen Erfolg geriet ihre Interpretation der Titelrolle des “Tancredi”

 Mit der Sopranistin Henriette Sontag sang sie auch die Erstaufführungen von Beethovens “Missa solemnis” und seiner “Neunten Symphonie”. Hier hat sie am Ende des Scherzos und des finalen Chorsatzes den völlig tauben Komponisten zum jubelnden Publikum hingedreht.

 1825 folgte sie dann dem Impresario Domenico Barbaja, der ihr dramatisches Talent erkannte und förderte, ans Teatro San Carlo nach Neapel. Während den nächsten 14 Jahren triumphierte sie in Italien u.a. mit Opern von Rossini (“Barbiere di Siviglia”, “Elisabetta, Regina d’Inghilterra”, “Otello”, “L’Italiana in Alger”, “Semiramide”), von Bellini (“Norma”, “La Straniera”, “Il Pirata”). Viele Komponisten, wie Bellini, Pacini, Mercadante, Coccia, usw schrieben für sie Opernrollen.

 Zu ihrem Lieblingskomponisten aber wurde Gaetano Donizetti, der für sie Marietta in “Il Borgomastro di Saardam”, Antonina in “Belisario”, die Titelrollen in “Parisina” und “Maria di Rudenz” komponierte. Außer diesen Rollen, trat sie noch in vielen anderen Werken Donizettis mit großem Erfolg auf.

Außerhalb Italiens konkurrierten Paris, Dresden, Wien miteinander, um sie zu engagieren. Als sie 1843 von der Bühne zurücktrat, umfasste ihr Repertoire über 100 verschiedene Rollen.

 Als sehr gebildete Frau, hatte sie von jeher eine Zuneigung zu der Kunstgattung Lied. Der Kontakt in jungen Wiener Jahren zu Franz Schubert (er war ihr Korrepetitor bei Dorabella), ihre Liebschaft mit dem deutschen Poeten Nicolaus Lenau, sowie ihre Heirat (1841) mit dem französischen Schriftsteller und Philanthropen François Sabatier, der Goethes “Faust” und Schillers “Wilhelm Tell” ins Französische übersetzt hatte, förderten sicherlich dieses Interesse. Sie komponierte Lieder zu Texten vieler deutscher Poeten (Schober, Goethe, Heine, Rellstab, Ruckert, usw), vertonte aber auch Verse einiger französischer Poeten (Lamartine, Sabatier, George Sand).

 

Jean-Nico Schambourg, 4. Februar 2024, für
klassik-begeistsert.de und klassik-begeistert.at

PS: Beim Verfassen dieses Kapitels, habe ich mich vom Notenbuch “Une voce poco fa… ovvero le musiche delle primedonne rossiniane” von Patricia Adkins Chitti, die auch musikalisch hier vertreten ist, leiten lassen.

Teil 5 können Sie hier auf klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at am Sonntag, 10. Februar 2024 lesen

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