Ist es von Vorteil, wenn man zugleich Komponist und Sänger ist? Kann in dem Fall der Komponist die Partitur sänger-freundlicher gestalten? Und umgekehrt, versteht ein Sänger es dann besser die Ideen des Komponisten umzusetzen? Den meisten ist diese doppelte Begabung nicht gegeben. So sind auch die in diesem Beitrag angeführten Künstler, meistens hauptsächlich wegen einer Gabe im Gedächtnis der Musikwelt geblieben, obwohl sie sich am Komponieren und am Singen versucht haben.
Dieser Beitrag hat keinen wissenschaftlichen Anspruch, sondern zählt nur einige Fakten und Anekdoten aus dem Leben einiger Sänger-Komponisten auf. Bei meiner Auflistung beschränke ich mich auf diejenigen, die eine gewisse Bekanntheit, bzw Berühmtheit als (Opern)Sänger errungen haben. Trotzdem werde ich wahrscheinlich einige Künstler übersehen haben.
von Jean-Nico Schambourg
Im letzten Teil dieses Beitrages begegnen wir ausschließlich Sänger-Komponisten, von denen es eigene Aufnahmen auf Tonträger gibt, zum Teil auch mit ihren eigenen Kompositionen.
Adolf Wallnöfer (1854 – 1946) Sohn war der Sohn von Franz Wallnöfer, der ein bekannter Interpret von Schubert Liedern war. Wallnöfer begann seine Karriere als Bariton (Bühnenpremiere als Graf Luna in Verdis “Trovatore”), wurde dann später zum lyrischen Tenor, um als Heldentenor, vor allem in Wagner-Opern, großen Erfolg zu haben. Wie überhaupt Richard Wagner eine zentrale Rolle in seinem Sängerleben gespielt hat. Mit 18 Jahren beauftragte der Bayreuther Meister ihn als Chordirigent mit der Einstudierung von Beethovens 9. Symphonie, die er selbst bei der Grundsteinlegung des Bayreuther Festspielhauses dirigierte.
Auch später hielt sich Wallnöfer öfters bei Wagner in Bayreuth auf und wirkte bei den Festspielen mit. 1880 wurde er als Sänger in die Operntruppe des “Wandernden Wagner-Theaters” unter der Leitung von Angelo Neumann aufgenommen.
Wallnöfer war aber nicht nur als Sänger aktiv. Er komponierte eine Oper, “Eddystone”, die 1889 unter Karl Muck in Prag uraufgeführt wurde. Gemäß eigenen Angaben umfasst sein Werk außerdem rund 50 Instrumental- und Orchesterwerke, davon sechs Sinfonien, Chorwerke sowie mehr als 150 Lieder, Duette und Terzette. Seine Kompositionen sind aber in Vergessenheit geraten.
Mehr Erfolg mit seinen Kompositionen hatte der nachfolgende Sänger. Der Bariton Jean-Baptiste Faure (1830 – 1914) war einer der bedeutendsten französischen Sänger seiner Zeit. Nach seinem Gesangstudium in Paris debütierte er 1852 an der Pariser Opéra-Comique in “Galatea” von Victor Massé. In den nächsten Jahren sang er dort in einigen Uraufführungen von Werken von u.a. Auber (“Jenny Bell” und “Manon Lescaut”) und Meyerbeer, der auch sein Trauzeuge war (“L’Étoile du Nord” und “Le Pardon de Ploërmel”).
Nach dem Covent Garden in London (1860) machte er ein Jahr später auch sein Debüt an der Pariser Oper. Hier sang er die großen Baritonpartien wie z.B. Don Giovanni, Guillaume Tell, Alphonse XI aus “La Favorite” (siebzigjährig nahm er dessen große Arie auf Zylinder auf), Nevers (“Les Huguenots”) und war auch an mancher Uraufführung beteiligt: Nelusko in “L’Africaine” von Meyerbeer (1865), Posa in “Don Carlos” von Verdi (1867), Hamlet in der gleichnamigen Oper von Thomas (1868). Er trat auch in Italien, in Deutschland, in Baden-Baden und in Belgien auf.
Er gab auch Gesangsunterricht am Pariser Konservatorium. Unter seinen Schülern stachen besonders der Bassist Paul Plançon sowie der Bariton Jean Lassalle hervor.
Faure schrieb einige Salonlieder. Kompositorisch bleibt er aber hauptsächlich durch religiöse Gesänge in Erinnerung. Vor allem “Les Rameaux” (Die Palmen), sowie sein “Crucifix” sind auch heute noch beliebte Werke. Die berühmtesten Aufnahmen davon stammen von Enrico Caruso.
Enrico Caruso & Marcel Journet: “Crucifix” (Faure)
https://youtu.be/DGuVKRSGyxA?si=-hekl5PVPeEbfXpA
Und damit sind wir beim berühmtesten Tenor angelangt, von dem es Tonaufnahmen gibt: Enrico Caruso (1873 – 1921). Sein Sängerleben ist allgemein bekannt, so dass ich mich hier auf seine Tätigkeit als Komponist beschränke. Diese ist allerdings nicht sehr groß. Wahrscheinlich stammen nur zwei Lieder aus der Feder des größten Tenors aller Zeiten: der Walzer “Dreams of Long Ago”, komponiert auf einen Text von Earl Carroll, sowie “Tiempo antico”, für das Caruso auch den Text in neapolitanischer Sprache verfasst hat.
Enrico Caruso: “Dreams of Long Ago” (Caruso)
https://youtu.be/2mZAEywX5_Q?si=Qp8oe3zEqclpHqVd
Enrico Caruso: “Tiempo antico” (Caruso)
https://youtu.be/DB0fGcpQMRY?si=0MDhxaKzpmWGB2gG
Einige weitere Lieder werden manchmal Caruso als Komponist zugeschrieben, stammen aber aus der Feder Anderer. Bei “Adorables tourments” von Richard Barthélemy, Carusos Pianisten, gab dieser wahrscheinlich nur ein Paar Ratschläge. Bei den Liedern “Campane a sera” sowie “Serenata” gilt Caruso als Verfasser der Verse, nicht aber der Musik (siehe Pietro Gargano/Gianni Cesarini: “Caruso, eine Biographie” – Kapitel 19).
Da ist das kompositorische Vermächtnis von Richard Tauber (1891 – 1948), dem “Mann mit dem Monokel”, schon viel größer. Auch sein Werdegang als Sänger ist schon oft und reichlich beschrieben worden: sein Beginn als Mozartsänger, seine dann folgenden Opernerfolge in Dresden, Wien und Berlin sowie in der ganzen Welt, seine Zusammenarbeit mit Franz Lehár, der mehrere Operetten speziell für ihn komponierte, seine unzähligen Schallplattenaufnahmen von Arien, Liedern und Schlagern, seine Filme, seine Flucht vor den Nazis, schlussendlich sein Tod in London nach schwerer Erkrankung.
Als Student schon komponierte Tauber die Oper “Die Sühne”, die allerdings nie aufgeführt wurde. Später widmete er sich dann dem Komponieren leichterer Musik. Seine erste Operette “Der singende Traum” wurde am 31. August 1934 am Theater an der Wien uraufgeführt, hatte aber nur mäßigen Erfolg. Es blieb davon hauptsächlich das Lied “Du bist die Welt für mich” in Erinnerung. Im Gegensatz hierzu wurde seine zweite Operette “Old Chelsea“ (Uraufführung am 21. September 1942 in Birmingham) ein großer Erfolg. Tauber tourte damit zwei Jahre lang durch ganz England. Er schrieb außerdem noch eine Reihe Melodien, die in seine Filme einflossen.
Richard Tauber: “Du bist die Welt für mich” (Tauber: “Der singende Traum”)
https://youtu.be/EehMgGH_uzQ?si=3C8BuEN26MnUKYtv
Richard Tauber: “My Heart and I” (Tauber: “Old Chelsea”)
https://youtu.be/ulFK9n0mxlw?si=GQDjTMgG27_66wEy
Der Italiener Tito Schipa (1888 – 1965) wurde als größter “tenore di grazia” seiner Zeit angesehen. Nach seinem Debüt 1911 am Theater von Vercelli sang er an kleineren Häusern in Italien. 1913 gastierte er erstmals in Buenos Aires. Sein großer Durchbruch kam ein Jahr später in Rom mit Puccinis Oper “Tosca”. Von da an ging es mit seiner Karriere steil bergauf: 1915 La Scala in Mailand, wo er mit der Rolle des Wladimir in “Prinz Igor” von Borodin debütierte; 1916 Monte Carlo, wo er in der Uraufführung von Puccinis “La Rondine” den Ruggero sang; ab 1919 dann die USA, mit zuerst Chicago (1919-1932) und später die MET in New York (1932-35 und 1941).
Er nahm unzählige Arien und Schlager auf und spielte auch in einigen Filmen mit. Seine Nähe zum Faschistenführer Achille Starace brachte ihm später dann manche Schwierigkeiten.
Schipa war sehr populär in Süd-Amerika. Ab 1927 sang er regelmäßig am Teatro Colón in Buenos Aires. Während diesen Aufenthalten entwickelte sich seine Liebe zum Tango, von denen er manchen auf Tonträger verewigte. Sechs dieser Melodien stammen aus der Feder von Tito Schipa selbst. “Esperanza” schrieb er 1932 für den Film “Tre hombres en frac” (“Drei Männer im Frack”), in dem er selbst mitspielte.
Außerdem komponierte Schipa auch Kirchenmusik, darunter ein “Ave Maria” und eine dreistimmige Messe, Lieder in neapolitanischer, spanischer Sprache und im Dialekt von Lecce, seiner Geburtsstadt, und eine Operette “Principessa Liana”, die 1929 in Rom uraufgeführt wurde, wenige Tage nach der Geburt seiner zweiten Tochter Liana.
Tito Schipa: “Barcarola veneziana” (Schipa: “Principessa Liana”)
https://youtu.be/rM0Fn_1Y6eY?si=qIgdqIhrjnYHAgey
Nicht nur geographisch, auch stimmlich kommt Peter Dawson (1882-1961) aus “Down Under”. Der australische Bass-Bariton trat allerdings ab 1902 vornehmlich in England auf, wo er als bester Sänger seiner Zeit galt. Dawson sah sich selbst als “Volkssänger” und war vor allem auf dem Konzertpodium aktiv. Die Opernbühne sah und interessierte ihn weniger. “Zu viel Arbeit für zu wenig Bezahlung” (“Too much work for too little pay”) soll er hierzu angemerkt haben. Viele der von ihm interpretierten Lieder wurden mit seiner Person identifiziert, z.B. “The Floral Dance” (Katie Moss), “On the Road to Mandalay” (Speaks), “Roses of Picardy” (Haydn Wood).
Dawson war auch überaus aktiv im Tonstudio: über 3.500 Aufnahmen von Arien aus Opern und Konzert sowie Liedern. Die ersten Aufnahmen machte er dabei zum Teil unter mehreren Pseudonymen: Frank Danby für leichte Lieder, Will Strong für Varieté-Lieder und Hector Grant für schottische Lieder.
Auch als Komponist benutzte er manches Pseudonym. So komponierte er viele Lieder unter den Namen J.P. McCall, Evelyn Byrd, Peter Allison, Denton Toms, Charles Weber, Arnold Flint, Gilbert Mundy, Geoffrey Baxter und Alison Miller. Er vertonte mehrere Gedichte von Rudyard Kipling: “Boots” und “Route Marchin’” gehörten dabei zu den beliebtesten.
Peter Dawson: “Route Marchin’” (McCall/Dawson)
https://youtu.be/3LJYS2XHU6I?si=HgzLWjpXKC4b5YXl
Aus der heutigen Zeit stechen zwei Sänger hervor, die sich auch dem Komponieren widmen. Der erste, Robert Holl (*1947) nimmt dabei eine ganz spezielle Position ein. Schon als Sänger hat er sich eher dem Lied als der Oper verschrieben. Er gilt als einer der größten Lied-Interpreten unserer Zeit. Besonders das deutsche und das russische Repertoire haben es ihm angetan. Zahllose Liederabende und Schallplattenaufnahmen zeugen von seinem riesigen Engagement für diese Kunstform.
So nimmt auch unter seinen eigenen Kompositionen das Kunstlied einen obersten Platz ein. Holl hat seit 1969 eine ganze Reihe von Texten verschiedenster Schriftsteller und Poeten vertont, die allermeisten in Form des klassischen Liedes, darunter auch den Zyklus “Frühlingsreise, Zyklus für Bariton und Klavier” (1987).
Robert Holl: “Frühlingsreise ohne Sonne: O nimm mich auf, du Waldeseinsamkeit” (Holl)
Mehr über die Kompositionen von Robert Holl erfährt man auf seiner sehr aufschlussreichen Internetseite: https://www.robertholl.at/.
Der letzte Sänger-Komponist dieses Beitrags ist der Tenor Daniel Behle (*1974). Spielt Mozart eine zentrale Rolle in seinem Opernrepertoire, so kann man ihn in den letzten Jahren vermehrt auch in Wagner-Partien erleben. Aus David aus den Meistersingern ist in der Zwischenzeit ein Schwanenritter geworden. Aber auch im Konzert und in Liederabenden ist er tätig.
Bei all seiner Vielseitigkeit als Sänger ist es nicht verwunderlich, dass er sich auch ans Komponieren wagt. Und wie bei seiner sängerischen Tätigkeit, wo er von Lied bis Oper über Oratorien, Operette und Schlager, schon alle Richtungen auf CD besungen hat, ist er auch als Komponist breitgefächert.
Eine ganze Reihe seiner Kompositionen sind rein instrumentaler Natur, die meisten davon für Blechbläser. Aber auch Werke für die menschliche Stimme hat er komponiert, wie man auf seiner Internetseite sehen kann (https://www.danielbehle.de/en.html).
Seine bisher letzte Komposition ist die Operette “Hopfen und Malz”, die 2023 in Annaberg am Eduard-von-Winterstein-Theater zur Uraufführung kam. Dass Behle sich auch auf dem Bereich der “leichten” Musik auskennt, konnte man schon vorher auf einigen seiner CDs hören, nicht zuletzt auf der seiner Geburtsstadt gewidmeten CD “Mein Hamburg”. Sein dem FC St. Pauli gewidmetes Lied ist dabei, genauso wie die besungene Fußballmannschaft, “erste-bundesligareif”!
Daniel Behle: “FC St. Pauli” (Behle)
https://youtu.be/mDPaRBZ0w8M?si=kUdkrJmbnRVsNjxf
Jean-Nico Schambourg, 18. Februar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Schammis Klassikwelt (c) erscheint regelmäßig am Sonntag.
Jean-Nico Schambourg, Jahrgang 1959. Gehört einer weltlichen Minderheit an: Er ist waschechter Luxemburger! Und als solcher war es normal, Finanzwirtschaft zu studieren. Begann seine berufliche Karriere bei der Kriminalpolizei, ehe er zur Staatsbank und Staatssparkasse Luxemburg wechselte. Seit jeher interessiert ihn jede Art von Musik, aber Oper wurde seine große Liebe. Er bereist ganz Europa, um sich bekannte und unbekannte Opern und Operetten anzuhören. Nebenbei sammelt der leidenschaftliche Hobbykoch fleißig Schallplatten über klassischen Gesang (momentan ungefähr 25.000 Stück). Sang in führenden Chören in Luxemburg, verfolgt seit einigen Jahren aber ausschließlich eine Solokarriere als Bass. Sein Repertoire umfasst Lieder und Arien in zwölfSprachen. Unter der Bezeichnung “Schammilux Productions” organisiert er selbst jährlich zwei bis drei Konzerte. Perfektionierte sein Singen in Meisterkursen mit Barbara Frittoli, Jennifer Larmore sowie Ramón Vargas, organisiert von “Sequenda Luxembourg”, einer Organisation zur Förderung junger Sängertalente, geleitet von seiner Gesangslehrerin Luisa Mauro. Neu auf klassik-begeistert.de: Schammis Klassikwelt, regelmäßig am Sonntag.