Der Herzschlag der Musik: Simone Rubino nimmt das SHMF-Publikum mit auf eine faszinierende Percussion-Reise von Bach bis in die Gegenwart

Schleswig-Holstein Musik Festival (SHMF), „Bach on Drums“, „Bach on Drums“,   Lübeck, Schuppen C, 9. Juli 2019

Foto: Simone Rubino © Marco Borggreve
Lübeck, Schuppen C, 9. Juli 2019
Schleswig-Holstein Musik Festival (SHMF)

Simone Rubino, Percussion
„Bach on Drums“

von Guido Marquardt

Viel gewagt – und viel gewonnen: Simone Rubino landet mit einem fulminanten Percussion-Abend mitten in Herz, Bauch und Hirn des Publikums. Und schlägt einen großen Bogen von Bach bis ins 21. Jahrhundert. Kultur, Entertainment und Wissensvermittlung mit ganz viel Charme und Witz: Viel mehr kann ein Konzert nicht bieten.

Es passiert immer mal wieder, dass bei einem Orchesterabend die Damen und Herren an den Percussion-Instrumenten den größten Beifall abräumen. Das kann verschiedene Gründe haben: Bewunderung des Publikums für den sichtbar hohen körperlichen Einsatz, Beleg für die auch durch Laien leicht feststellbare Effektivität der Schlaginstrumente oder vielleicht auch gelegentlich Dankbarkeit dafür, mittels kräftiger Trommelschläge aus einem leichten konzertanten Dämmerschlaf gerissen worden zu sein.

Ungewöhnlicher ist da schon ein Solokonzert für Percussion – erst recht dann, wenn die Musik Johann Sebastian Bachs im Mittelpunkt steht. Der Italiener Simone Rubino, bereits mit Mitte zwanzig vielfach preisgekrönt, sorgte nun mit seinem Konzert in Lübeck (und noch mal am Folgetag in Altenhof) dafür, dass die SHMF-Komponistenretrospektive zu Bach um eine bemerkenswerte Facette erweitert wurde.

Das Zentrum des Programms bildete Bachs Suite für Violoncello solo Nr. 3 in C-Dur. Und zwar in einer Bearbeitung für Marimba von Eduardo Egüez. Rubino spielte alle sechs Sätze der Cellosuite also auf diesem Holz-Schlaginstrument, jeweils abwechselnd mit Werken aus dem 21. und dem späten 20. Jahrhundert, die auf verschiedensten Percussion-Instrumenten dargeboten wurden.

Warum diese Verbindung? Nun, Rubino gab sich in mehreren Zwischen-Moderationen recht auskunftsfreudig. So betonte er nicht nur Bachs herausragende Stellung in der Musikgeschichte, sondern nannte ihn auch „einen der ersten Jazz-Improvisatoren“ und eine unerschöpfliche Ideenquelle auch für neue und neueste Musik. Die Bearbeitung und Interpretation der Cello-Suite für Marimba sollte ausdrücklich keine Klangimitation anstreben, sondern eine eigene Ausdrucksform gemäß den Spezifika dieses Instruments mit seinem Umfang von fünf Oktaven darstellen. Wie beim Klavier ist dabei die linke Hand für den Bass, die rechte hingegen für die Melodieführung zuständig.

Rubino spielte die sechs Suitensätze an der Marimba durchgängig mit Filzklöppeln, jeweils zwei in jeder Hand. Der warme, erdige Klang des Instruments passte vorzüglich zur Bach-Musik. Über alle Register hinweg funktioniert die Polyphonie sogar besser als beim Cello, vergleichbar fast mit den Violine-Solowerken von Bach, aber eben mit dem wesentlich weicheren Klangbild der Marimba. Beeindruckend war dabei auch, mit welch hoher Sensibilität Rubino die Lautstärke dosierte – so spielte er etwa die Sarabande als erstes Stück nach der Pause ganz besonders leise und zart. Insgesamt entfaltete die Suite eine beinahe meditative, wundervoll beruhigende Wirkung, ohne auch nur eine Sekunde zu langweilen.

Bei den moderneren Werken fuhr Rubino eine enorme Bandbreite an Instrumenten und Stilrichtungen auf. Im ersten Stück, den „Asventuras“ von Gerassimez, wurde auf der kleinen Trommel eindringlich vorgeführt, wie vielfältig die Ausdrucksmittel bereits mit einem einzigen Instrument sein können. Per Hand oder mit Stöcken, am Rand oder im Zentrum, im schnellen Wirbel oder Schlag für Schlag akzentuiert, mit dem Besen oder mit weicheren Klöppeln: Geradezu lehrbuchhaft zeigte Rubino, dass auch eine kleine Trommel die ganze Welt ausmachen kann. Es muss nichts fehlen in einem Werk für Solo-Instrument.

Die „Esegesi“ von Roberto Bocca dagegen sind tatsächlich ein explizit von Rubino beim Komponisten mit Blick auf Bach bestelltes Werk. Gerade im Vergleich mit der Marimba ist – bei vergleichbarem Grundaufbau und Spieltechnik – der Unterschied im Klangbild interessant: Das Vibraphon klingt naturgemäß härter und schärfer, die Töne hallen auch länger nach. Zugleich ist dieses Instrument recht verbreitet in Jazz-Combos. Die „Esegesi“ belegten mit ihren Synkopen und den zart angedeuteten lateinamerikanischen Rhythmen, wie kurz der Weg von Bach zu dieser Art von Musik tatsächlich sein kann.

Rubinos Performance zu Casey Cangelosis „Bad Touch“ hingegen demonstrierte, dass der Italiener auch bei Ensembles wie der „Blue Man Group“ reüssieren könnte: Zu einer Klangcollage aus dem Off wurden bei kompletter Verdunklung mittels Luminiszenzeffekt lediglich seine Hände bzw. Handschuhe in blau sowie ein Stock in rot sichtbar gemacht. Neben der perfekten Synchronität von Rubinos Bewegungen zum eingespielten Ton überzeugte dabei vor allem die Beweisführung, wie stark die Wechselwirkung unserer Sinne ist, wie sehr das, was wir hören, auch von dem beeinflusst wird, was wir sehen und umgekehrt.

Verblüffend auch der Effekt von Tan Duns „Water Concerto“ – keine Händel-Huldigung, sondern tatsächlich ein Werk, bei dem die Tonerzeugung mit und durch zwei große Wasserschalen deutlich macht, auf wie kreative und zugleich natürliche, im Grundansatz nahezu kindliche Weise Rhythmus transportiert werden kann. Man muss das vermutlich erlebt haben, um es zu verstehen.

A propos kindlich: Rubino wurde bei diesem Stück ziemlich nass. Er nahm das mit einer Mischung aus Überraschung, Peinlichkeit und Stolz – und mit viel Humor, der überaus ansteckend wirkte. Das zog sich durch das ganze Konzert, eine überaus wohltuende Mischung aus professioneller Hingabe und einer ganz lockeren Näherungsweise. Auch im Publikum gab es an verschiedenen Stellen immer mal wieder kleine Lacher, doch waren diese nie Ausdruck von Ignoranz oder Häme, sondern stets eher von freudiger Verblüffung über die Originalität des Dargebotenen. Von Schwellenangst vor zeitgenössischer Musik keine Spur!

Beinahe tranceartige Zustände mit extrem rhythmisch durchgezeichneten Strukturen brachten die Werke des Japaners Maki Ishii und des Griechen Iannis Xenakis. Insbesondere bei Xenakis‘ „Rebonds b“ servierte Rubino dem Publikum einen ungeheuer dynamischen Groove mit enormer Sogwirkung. Neben Drums kamen hier auch Klanghölzer zum Einsatz, die dann quasi auch die Brücke zurück zum Marimbaphon schlugen.

Beweisführung gelungen: „Der Rhythmus ist wie ein Puls – und ohne Puls keine Musik“, hatte Rubino festgestellt. Das Spiel mit Bewegung, mit Taktwechseln, Tonverschiebungen und dem Zusammenklang von Bass und Melodie; all dies verband sich auf anschauliche Weise in den Werken von Bach bis Xenakis. Auf Rubinos Erstlings-Veröffentlichung „Immortal Bach“ (2017) kann man sich einen Eindruck davon verschaffen, die Abfolge der Stücke folgt dem Muster des SHMF-Konzertprogramms, wenn auch bei den modernen Werken mit einigen Unterschieden.

Eine wahrlich zauberhafte Zugabe beschloss dann diesen Konzertabend: Rubino spielte auf der Marimba das erste Präludium aus Bachs Wohltemperiertem Klavier und sang dazu ohne Text (!) das „Ave Maria“ nach Gounod. Nicht nur, dass seine Stimme das sauber und peinlichkeitsfrei transportierte – er forderte auch das Publikum ausdrücklich auf, sich ihm anzuschließen. Und selbst wenn es bei den meisten eher bei einem leisen Summen blieb, schuf Simone Rubino damit doch an diesem Abend eine Klanggemeinschaft, die alle Gäste dieses Konzerts mit einem wunderbaren Gefühl auf den Heimweg entließ. „Ach, war das schön“, „Ganz toll“ und ähnliche Einschätzungen bestimmten die Eindrücke ebenso wie viele, sehr viele lächelnde Gesichter. Mille Grazie, Signore Rubino!

Guido Marquardt, 11. Juli 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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