Foto: (c) Wilfried Hösl/Bayerische Staatsoper
„Ich bin im Operettenhimmel und schmachte innerlich mit Georg.“
Montagsstück X: „Schön ist die Welt“ von Franz Lehár
Bayerische Staatsoper, München, Live-Stream am 18.01.2021
Operette „Schön ist die Welt“ von Franz Lehár
von Frank Heublein
Ich habe Respekt vor diesem Abend. Operette. Ich fühle mich zu schwermütig dafür. Wenn Sie mir das abnehmen, glauben Sie mir bitte auch, dass diese Aufführung gegen Schwermut hilft.
Buffo! Tuschend beginnt das Orchester diese Operette. Wo sitzt denn das Orchester? Etwa auf der Bühne? Ich habe keine Zeit, mir meinen Kopf darüber zu zerbrechen. Denn der – Rollen-multifunktionale – Erzähler sitzt vor dem musikalischen Klangkörper und erläutert die Situation. Dieser inszenatorische Kniff des Conférenciers macht die Operette handlungsstringent und prägnant.
Prinzessin Elisabeth und Prinz Georg sollen heiraten, arrangiert durch ihre Erziehungsberechtigten, den König und die Herzogin. Doch Prinzessin und Prinz sind beide Freigeister, widersetzen sich diesem Willen, wollen nicht heiraten oder nur der Liebe nach.
Kein Bühnenaufbau, aber spielende Sängerinnen und Sänger: Elisabeth tritt auf, ich nenn sie innerlich gleich Eli. In ihrem ersten Solo „Sag‘, armes Herzchen, sag'“ und „Wie süss muss die Liebe sein“ sehnsüchtelt sie sich in der dritten Person anredend, ganz Prinzessin, „wann kommt der Traum zu dir?“. Julia Kleiter bringt mich als Eli damit innerlich auf Kurs, beherzt, stark und klar ist Ihr Stimme.
Der Erzähler, Pardon! Conférencier Max Hopp hat eine multifunktionale Rolle. Mit Brille Conférencier, mit Monokel König und ohne Sehhilfe ist er Direktor. Schwupp das Monokel aufgesetzt und mit Eliza Boom alias Herzogin Maria Branckenhorst – Tante und Kupplerin der Eli – geschwind ein Techtelmechtel gesungen: „Nur ein Viertelstündchen, so ein kleines Sündchen, wird eine schwache Stund“. Ich höre es, ich stelle es mir vor und bin tief drin im Stück!
Der Conférencier führt Georg ein als strahlend jungen Tenor. Sebastian Kohlhepp singt ebenso: „Schön ist die Welt, wenn sie Dir ein Märchen erzählt“. Bis vor einer Stunde vor Beginn unvorstellbar für mich, jetzt spüre ich: genau das richtige heute!
Eine weitere inszenatorische Finesse folgt: Eli trifft auf Georg. Die beiden spielen zu dem Dialog, den der Conférencier für beide spricht. Eine wunderbar frische Idee. Gefällt mir! Die beiden nähern sich an, Eli spricht von der force majeure (höheren Gewalt), Georg stimmt „Frei und jung dabei“ an, das Orchester tschinderasst wohlbeschwingt dazu.
Der Conférencier ersetzt zugleich alle Szenenwechsel. Geschwind geht es über in die brasilianische Nacht. Mercedes del Rossa und Graf Sascha Karlowitsch gesungen und gespielt von Juliana Zara und Manuel Günther. Ich will mitsingen: „Tropenglut hat ihr Blut“. Großer Pomp, großes Ensemble. Der König entflammt für del Rossa, nicht wissend, dass sein Flügeladjutant Sascha bereits mit diesem Heißblut verheiratet ist.
Der erste Akt endet mit dem auf Eli wartenden Georg, einen zweifelhaften Reim auf den Lippen: „Denn der Jäger ist Optimist, wenn das Wild in der Nähe ist“. So reimte man sich es in den 1930ern zusammen. Heutzutage würde man das zurecht in derlei Situation nicht mehr anbringen können. Doch ich bin im Moment im Operettenhimmel und schmachte innerlich mit Georg „dann kommt der Traum zu mir“.
Eli wandert mit Georg auf ein Bergplateau. Das Bergpanorama wird hinter dem Orchester eingeblendet. Es funkt heftig zwischen den beiden, in den Worten des Conférenciers: Es besteht „besondere Ruhe der Erregtheit“. Heldentenörig singt Sebastian Kohlhepp als Georg das Solo „Liebste glaub‘ an mich“.
Der Conférencier kann auch Radiosendung. Was kann dieser Tausendsassa eigentlich nicht? Eli wird gesucht. Wieder spielen Georg und Eli den vom Conférencier gesprochenen Dialog. Sie lassen sich Wort-bewegen. Eli will zurück ins Hotel. Doch es dräut ein Unwetter. Georg lässt sich zögerlich auf das Wagnis ein.
Keine Dramatik, nur ein paar Takte Suspense. Knapp und schnell entgehen die beiden einer tödlichen Lawine. Die Rettung ist’s, auf die die Operette den Schwerpunkt legt. Die Sterne im Hintergrund funkeln zu „Die Liebe winkt selig mir zu“ und „Jetzt weiß ich’s klar, meine Liebe ist wunderbar.“ Sebastian Kohlhepp und Julia Kleiter zeigen ihre stimmliche Klasse und ihre spielerisch sängerische Lust im Finale des zweiten Aktes mit „Wenn die Liebe will, steh’n die Sterne still“. Die Geige schluchzt dazu. Schwinge ich nur innerlich oder auch physisch gemeinsam mit dem zärtelnden Paar mit?
Eine weitere operettenhaft verhüllte Wahrheit folgt zum musikalischen Marsch zu Anfang des dritten Aktes: „Ja, die Liebe ist brutal und alle Menschen sind ihr ganz egal“. Bedrohlich fängt der Schlussakt also an. Der König versucht sich ans brasilianische Heißblut heranzupirschen – und scheitert, muss gar wahrnehmen, dass Mercedes und Sascha ein Paar sind, was sich in diesem Falle selbstverständlich in einem Duett offenbart.
Der König hat keine Zeit, in Schmach zu versinken oder auf Rache zu sinnen, denn die widerborstige blaublütige Jugend trifft ein und zum bassen Erstaunen von König und Herzogin sind Eli und Georg ein Paar geworden, was Eli im finalen Duett mit Georg einmal mehr im entschlossenen Sopran verliebt bekannt gibt.
Die semikonzertante Aufführung hat entspannt-intensiven Rhythmus, hervorragend gesteuert durch Conférencier Max Hopp. Klug und flott inszeniert. Sehr gelungene Montagabendunterhaltung. Meine anfänglichen Bedenken? Schnell habe ich sie abgestreift und mir es einfach wohl sein lassen. Tut so gut in diesen Zeiten.
Frank Heublein, 20. Januar 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Besetzung
Musikalische Leitung, Friedrich Haider
Inszenierung und Fassung, Tobias Ribitzki
Moderationstexte, Max Hopp
Conférencier/ Der König / Direktor des Hotels des Alpes, Max Hopp
Herzogin Maria Branckenhorst, Eliza Boom
Kronprinz Georg, Sebastian Kohlhepp
Elisabeth Prinzessin von und zu Lichtenberg, Julia Kleiter
Mercedes del Rossa, Juliana Zara
Graf Sascha Karlowitsch, Manuel Günther
Hotelgäste, Eliza Boom, Yajie Zhang, Andrew Hamilton, James Ley