Schweitzers Klassikwelt 116: Unsere Opernabende mit Neil Shicoff

Schweitzers Klassikwelt 116: Unsere Opernabende mit Neil Shicoff  klassik-begeistert.de, 11. Juni 2024

Neil Shicoff,  http://media.laopera.com

Es handelt sich um eine Sternstunde, wenn sich ein Künstler mit einer so stimmungsvollen Arie wie Werthers „Pourquoi me réveiller“ eindrucksvoll einführen kann.

von Lothar und Sylvia Schweitzer

Aber ein Segen kann zum Fluch werden, wenn man nach vielen wundervollen Abenden einen Sänger so in den Himmel hebt, dass vergessen wird, dass er dem Roméo seine irdische Stimme leiht.

In konventionellen Rollen als leidenschaftlichen Liebhaber oder Freiheitshelden haben wir ihn selten erlebt.

Es waren die innerlich Zerrissenen, die Außenseiter und Sonderlinge, die Zwielichtigen, aber auch die skrupulösen und nachdenklichen Typen, denen er Gestalt und Profil gab. Zwei seiner Paraderollen waren der Dichter und Fantast Hoffmann in „Les contes d’Hoffmann“ und der in die Gemeinschaft des Fischerdorfs nicht integrierbare Peter Grimes, der gleichnamigen, weniger populären Oper.

Autogramme von oben nach unten: Eliane Coelho, Fabio Luisi, Neil Shicoff

Ein Antiheld ist sein Eléazar aus Halévys „La Juive“. Letztendlich siegen seine Rachegelüste und seine Ziehtochter wird zum unschuldigen Opfer. Unheimlich wird uns, wenn wir merken, dass seine Gefühle zu seiner Ziehtochter doch keine väterlichen sind. Den alten Captain Vere plagen an seinem Lebensabend Gewissensbisse, ob er die Exekution eines rechtmäßigen Todesurteils des Kriegsgerichts auf seinem Schiff nicht doch hätte verhindern sollen. Shicoffs Vortrag der Arie des etwas weltfremden Dichters Lenski aus Tschaikowskis „Eugen Onegin“ blieb unser Vorbild und Maßstab für alle weiteren Tenöre.

Dornröschen © Hilde Langen, Raffael Verlag

Nie war Shicoff an der Wiener Staatsoper als Calaf in der „Turandot“ eingesetzt. Das ursprünglich persische Märchen ist mit dem „Dornröschen“ weitläufig verwandt. Aber der Prinz schlägt nicht eine Bresche in die Dornenhecke.

Gegen Ende seiner Bühnenlaufbahn sang Shicoff als Gast der Volksoper den Calaf eher als intellektuellen Grübler. Es war unsre letzte Begegnung mit einem Künstler, der uns gerade mit nicht alltäglichen Partien sehr ans Herz gewachsen war.

Lothar und Sylvia Schweitzer, 11. Juni 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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