Schweitzers Klassikwelt 113: Vom Mitglied des Opernstudios zum Ensemblemitglied Teil I

Schweitzers Klassikwelt 113: Vom Mitglied des Opernstudios zum Ensemblemitglied Teil I  klassik-begeistert.de, 30. April 2024

Die zweite Generation des Opernstudios 2022/2023 – 2023/2024 © Michael Arivony

Mit dem Beginn der Amtszeit von Bogdan Roščić als Direktor und Philippe Jordan als Musikdirektor 2020/21 hat die Wiener Staatsoper ein Opernstudio gegründet, um herausragende Gesangstalente zwei Jahre lang gezielt und praxisnahe zu fördern. Dies ermöglicht eine frühe und intensive Beziehung zur nächsten SängerInnengeneration und ist eine Herausforderung für das Haus, sich mit fundamentalen Fragen zu einer umfassenden Ausbildung singender DarstellerInnen auseinanderzusetzen.

von Lothar und Sylvia Schweitzer

Lassen wir Zahlen sprechen. Die ersten zwei Vergleichszahlen irritieren. Von ca. eintausend Bewerbungen wurden dreizehn MitgliederInnen ausgewählt. Diese hatten in der anberaumten Zeit 646 Auftritte in 126 Rollen. Einstudiert wurden 234. Ab 1. Mai 2023 wurden Bewerbungen ab der Spielzeit 2024/25 angenommen. Voraussetzung eine abgeschlossene Gesangsausbildung und ein Geburtsdatum nach dem 1. Januar 1994! Was bedeutet, dass außer vielleicht bei Spätberufenen eine Bühnenpraxis vorausgesetzt wird.

Wir stellen Ihnen hier KünstlerInnen vor, die der ersten Generation des neugegründeten Opernstudios angehört haben und die wir mehrmals auf der Bühne beurteilen konnten. Manche Vitae verschweigen auch nicht die Härten dieses Berufs.   Beginnen wir mit den Damen!

Aurora Marthens © Peter Mayr

Aurora Marthens ist gebürtige Finnin. Sie ist Erstplatzierte des Helsinki Liedwettbewerbs 2015 und des Timo Mustakallio-Gesangswettwerbs am Savonlinna-Opernfestival 2017. Beim Glyndebourne Opera Cup 2018 erreichte sie das Halbfinale. Timo Mustakallio war ein finnischer Tenor, der in Italien und in Deutschland unter dem Künstlernamen Timo Callio auftrat und auf das heldische italienische Fach spezialisiert war. Er war Ensemblemitglied an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf-Duisburg, dann an der Staatsoper von Stuttgart mit Gastspielen in München und Nürnberg sowie an skandinavischen Opernbühnen. Zuerst wirkte er bei den Opernfestspielen auf der Burg Savonlinna mit und übernahm später deren Leitung. Als Mäzen stiftete er dann diesen Wettbewerb.

Während ihrer Mitgliedschaft im Opernstudio lernten wir sie zunächst im „Rosenkavalier“ kennen. Im Unterschied zu unsren anderen Rezensionen dieser Oper wiesen wir damals auf die reiche Palette interessanter Stimmcharaktere in dieser Oper hin, deren mehr oder weniger lange Bühnenpräsenz wir ebenso gern erwarten wie die unserer Lieblinge in den Hauptpartien. Deshalb begannen wir bei dieser Besprechung mit den Kleinpartien, die für diese „Komödie für Musik“ einen so lebendigen Rahmen bilden oder mit einem kulinarischen Vergleich ausgedrückt die Würze ausmachen. Bei Aurora Marthens lobten wir ihren großen Einsatz als Modistin, so dass sie im Gewimmel des Levers einen besonderen Typ darstellte. Anfangs der nächsten Spielzeit im Herbst bedauerten wir bei „Nabucco“, dass Verdi für die kleine Partie der Schwester des Hohepriesters keine interessanten musikalischen Passagen geschaffen hatte.  Und trotzdem gelang es Marthens, von ihrem Talent Zeugnis abzulegen.

Übergreifend wurde sie auch als Ensemblemitglied weiter als Drittes Blumenmädchen in Klingsors Zaubergarten und in den Rollen der Berta (Il barbiere di Siviglia) und der Kammerfrau (Macbeth) eingesetzt. Die Pamina in zwei Zauberflöte-Vorstellungen für Kinder ragt aus ihren jetzt neu hinzugekommenen Rollen heraus. Wir erlebten sie als neues Ensemblemitglied in einer kleinen, aber feinen Partie, in die sie aber noch hineinwachsen muss. Ihr Echo in der „Ariadne“ wünschen wir uns noch zarter, verklingender.

Stephanie Maitland © Peter Mayr

Die schottische Altistin Stephanie Maitland debütierte in der Zeit ihrer Zugehörigkeit zum Opernstudio u.a. als Erste Magd (Elektra), als beide Anninas (La Traviata, Der Rosenkavalier), als Rheintochter Flosshilde und als Walküre Rossweiße. Nachher fand sie ihre Heimat in der Wiener Volksoper, wo wir ihren pastosen Alt zum ersten Mal als Amme Jolanthes bewunderten. Es tat uns jetzt leid, sie nicht schon als Botin Annina im Haus am Ring gehört zu haben. An der Volksoper bekam sie Gelegenheit, sich als Prinz Orlofsky, als Page in „Salome“, als Stiefschwester der Cenerentola und als Sentas Amme Mary zu profilieren. Überrascht stellen wir fest, dass Maitland im Spielplanarchiv der Wiener Staatsoper in dieser Saison hauptsächlich mit Richard Strauss wieder aufscheint. Als Erste Magd in „Elektra“ bzw. als Stimme von oben und eine Stimme der Ungeborenen in „Die Frau ohne Schatten“. Neuerdings auch als Blumenmädchen im „Parsifal“. Mit dem Wiener Staatsballett trat sie als Altsolistin in beiden Häusern auf. Am Ballettabend „Es tanzt der Mond im weißen Hemd“ der Wiener Volksoper hatte die Schottin Lieder im ungarischen Original nach der Musik von Ligeti zu singen und wurde manchmal von Pfeifen und Schilfgeigen begleitet.

 Johanna Wallroth © Peter Mayr

Von Finnland über Schottland zurück nach Schweden. Erst nach ihrer Ausbildung an der Swedish Royal Ballet School widmete sich Johanna Wallroth gänzlich dem Gesang und studierte an der Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien. Kleine Partien zu Beginn einer Laufbahn haben auch ihre Tücken. Das Bauernmädchen Gianetta in „L’elisir damore“ soll zunächst im Verein mit dem Chor unaufdringlich und zugleich deutlich auszunehmend singen. In den wenigen solistischen Auftritten hörten wir bei Johanna Wallroth eine ansprechende Stimme, der jedoch noch einiges an Substanz fehlte. Sechs Tage später in „Don Carlos“ wahrlich eine himmlische Stimme, die nur leider nicht vom Beleuchtungskranz des oberen ehemaligen Bereichs des Lusters als Stimme vom Himmel erklang. Wenn Wallroth ein Dreivierteljahr später im Prolog von „L’incoronazione di Poppea“ als Fortuna die Tugend verspottet, sie sei ohne Altäre und Gläubige aus der Mode gekommen, was stark an unser Zeitalter der Säkularisierung erinnert, vermittelte sie stimmlich zu wenig Temperament. Voriges Jahr war sie bloß im März in den ersten sieben Vorstellungen der Neuproduktion von „Le nozze di Figaro“ als Barbarina dabei. Während der Probenzeit sang sie auch einmal wieder die Gianetta. Sie wurde als Barbarina dann vom Mitglied des Opernstudios Miriam Kutrowatz abgelöst. Der Datenbank Operabase zufolge sind dieses Jahr ihre Termine hauptsächlich auf europäische Konzertsäle (auch in der Elbphilharmonie Hamburg) aufgeteilt.

Isabel Signoret © Peter Mayr

Wenn wir im vorigen Absatz das Streitgespräch zwischen Fortuna und der Tugend beschrieben haben, so ist inhaltlich der lachende Dritte Amor, Isabel Signoret, ebenfalls eine Kollegin aus dem Opernstudio. Im „Rigoletto“ treffen sich dann neben Johanna Wallroth (Gräfin von Ceprano) und Isabel Signoret (Giovanna) zwei weitere Kollegen: Michael Arivony und Hiroshi Amako als die Höflinge Marullo und Borsa. Nach dem Sprung ins Ensemble freuten wir uns über einen weiteren erinnerungswürdigen Pagen der Herodias. Zuletzt bildete sie als Amando mit der bereits arrivierten Maria Nazarova als Amanda in Ligetis „Le Grand Macabre“ ein bezauberndes Liebespaar.

Lothar und Sylvia Schweitzer, 30. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Im zweiten Teil am Dienstag, 14. Mai 2024, werden wir Ihnen drei männliche Hoffnungen vorstellen:

Den Madegassen Michael Arivony, den US-Amerikaner Erik van Heyningen, auch warum er Frankfurt Wien vorgezogen hat, und den Japaner Hiroshi Amako, zwei Baritone und einen Tenor.

Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.

Lothar und Sylvia Schweitzer

Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk  im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“

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