Schweitzers Klassikwelt 120: Die Rheintöchter, deren Gesang uns immer bezaubert

Schweitzers Klassikwelt 120: Die Rheintöchter, deren Gesang uns immer bezaubert  klassik-begeistert.de, 6. August 2024

Bronzeskulptur, Gabriele Plössner – Bayreuth

Am Anfang waren es die Sophie (Wilma Lipp), die Cio-Cio-San (Sena Jurinac) und die Brangäne (Hilde Rössel-Majdan), die als Woglinde, Wellgunde und Flosshilde in die Wellen des Rheins in die mythologische Welt abtauchten. Die Flosshilde avancierte in dem ersten Rheingold-Erlebnis im vierten Bild zur warnenden Erdgöttin und Urmutter.

von Lothar und Sylvia Schweitzer

Woglinde (Lotte Rysanek) und Flosshilde (Vera Little) bekamen als „jüngere“ Schwester Wellgunde den Neuzugang im Ensemble der Wiener Staatsoper, Rohangiz Yachmi, die mit der Waltraute in der „Götterdämmerung“ und dem Orpheus in der klassischen Gluck-Oper der Mythologie weiterhin die Treue hielt.

Beim Durchblättern unsrer Programme stießen wir auf ein „Rheingold“ der Bayerischen Staatsoper, in dem die uns von Staats- und Volksoper Wien vertraute Hanny Steffek die Woglinde sang.

In der vorletzten Wiener Produktion des „Vorabends“ 1992 hatten ihren Ärger mit dem Alberich (Franz Josef Kapellmann) drei Rising Stars der Achtzigerjahre. Da war die Woglinde eine Tirolerin mit dem klingenden Namen Gabriele Fontana (vielleicht ihre Vorfahren aus dem einmal zu Tirol gehörenden Trentino stammend) und ebenfalls eine Tirolerin, die leider mit 61 Jahren von uns gegangene Gabriele Sima als Wellgunde, die im Laufe ihrer Zugehörigkeit zur Staatsoper zum Mezzo mutierte.

Gabriele Sima © MUK

Zur Flosshilde wurde die ehemalige Wellgunde Margareta Hintermeier, die kurz darauf als Fricka in die Götterwelt aufstieg. Sie machte auch als Halbschwester Brünnhildes, Waltraute, und als zweite Norn, die das Schicksalsseil von der ersten Norn empfängt und der dritten weiterwirft, weitere Erfahrungen mit Wagners „Ring“.

Bald darauf änderte Woglinde wieder Aussehen und Stimme. Wellgunde und Flosshilde bekamen eine neue Schwester. Ein neuer Star was born: Viktoria Loukianetz, zu der Zeit sowohl Blumenmädchen in Klingsors Reich wie Königin der Nacht. Wir hörten bei ihrer Olympia einen prominenten Opernkritiker in der zweiten Logenreihe hinter uns wohlwollend sagen: „Gruberova ist sie zwar keine, aber …“ In der Wiener Volksoper, dort ihr Vorname Victoria mit c geschrieben, erlebten wir sie dann 2001 als erinnerungswürdige Violetta.

Unser nächster Rheingold-Abend war ein besonders origineller. Von einer Reise zurückkehrend fuhren wir mit dem Taxi an der Oper vorbei und entschlossen uns spontan anhalten zu lassen und den Koffer in der Garderobe abzugeben. Diesmal war die Flosshilde neu. Die Walküre Grimgerde und die Erste Norn war uns von einem Liederabend in bester Erinnerung. Wir ahnten damals noch nicht, dass wir Jutta Geister einige Jahre später für das „Ave Maria“ von Franz Schubert zur Hochzeitsfeier von Tochter Corinna einladen werden.

Von der aktuellen Bechtolf-Inszenierung des „Rings“ gefällt uns „Das Rheingold“ am besten. Jahre sind vergangen und neue Namen werden gefeiert. Tomasz Konieczny bedrängte nun die Rheintöchter, stimmlich so eindrucksvoll, dass es ihm zum Fluch wurde, weil die Wiener, die prinzipiell alles Neue zuerst einmal ablehnen, ihn als Wotan mit schöner „Wotanstiefe“ in der „Walküre“ lange Zeit nicht annahmen.

„Aus dem Nichts heraus ertönt er, der berühmte Urton, dieser einzigartige Es-Dur Urzustand, der großartige Beginn der Tetralogie, bevor der Rhein mehr und mehr zu fließen beginnt.“ Dr. Helmut Christian Mayer, Opera Online

Aus dem Nichts heraus ertönt er, der berühmte Urton, dieser einzigartige Es-Dur Foto: Michael Pöhn, Wiener Staatsoper

Die Woglinde sang ein Liebling von uns: Ileana Tonca. Oft wurde sie gruppendynamisch eingesetzt. Als Echo oder Quellnymphe im Nymphenterzett der „Ariadne auf Naxos“, als Anführerin des Schauspielerquintetts in Cileas „Adriana Lecouvreur“, als verlockendes Blumenmädchen im „Parsifal“, als Erste Magd in Daphne jubelnd mit leuchtendem H´´. So machte sie uns auf größere Aufgaben neugierig, die mit „Werthers“ Sophie und der Zdenka in „Arabella“ für uns in Erfüllung gingen.

Die Wellgunde sang Michaela Selinger, für uns vom Tiroler Landestheater her keine Unbekannte, wo sie in Massenets „Chérubin“ die Titelrolle verkörperte. Flosshilde war Elisabeth Kulman. Sie verließ zu unsrem großen Bedauern bald nach einem traumatischen Probenerlebnis die Bühne und widmete sich mit Liedern, Chansons und Popmusik dem gerade für die jungen Leute geeigneten Cross-Over.

Zweieinhalb Jahre später in der neunten Aufführung dieser Inszenierung blieb uns „Woglinde Tonca“ treu. Wellgunde war jetzt als Einstand Ulrike Helzel, die mit dieser Partie bereits mehrjährige Bayreuth-Erfahrung mitbrachte. Sie beeindruckte uns später in der kleinen, aber spannend in die Handlung einführenden Rolle der Kartenaufschlägerin in „Arabella“ und mit einem pastosen Alt als Valzacchis Begleiterin Annina. Die Flosshilde war jetzt der wohlklingende Alt der Zoryana Kushpler, lexikalisch als Mezzosopran tituliert, die leider seit drei Jahren nicht mehr Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper ist.

Reno die Medel (Kanton Ticino), mündungsfernster Quellbach des Rheins © Wikipedia

Wir schrieben bei den Rheintöchtern immer von Geschwistern. Während die Walküren, wie wir heute wissen, Halbschwestern sind, müssen diese sich als Schwestern gesehen haben, da die Eizelle in der Zeit der Entstehung der Mythen noch unbekannt war. Bei den Rheintöchtern geht es noch sagenhafter zu. Sie sind mutterlos und haben nur den Vater Rhein.

 

Lothar und Sylvia Schweitzer, 6. August 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.

Lothar und Sylvia Schweitzer

Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk  im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“

Schweitzers Klassikwelt 119: Was bewegt uns, eine Oper anzuschauen oder überhaupt erst kennen zu lernen? klassik-begeistert.de 23. Juli 2024

Schweitzers Klassikwelt 118: Wir sind Massenet-Fans klassik-begeistert.de, 9. Juli 2024

 

Schweitzers Klassikwelt 117: Lebten wir Opernfans in unsrer Gymnasialzeit in einem Elfenbeinturm? Oder: Wozzeck versus Carmen klassik-begeistert.de, 25. Juni 2024

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert