von Lothar Schweitzer
Soll ich mir in der Wiener Volksoper Ermanno Wolf-Ferraris Oper „Die vier Grobiane“ anhören, die mir nur vom Opernführer her ein Begriff war, oder wieder einmal meine Verdi-Lieblingsoper „Rigoletto“ in der Wiener Staatsoper? Ich entschied mich für die zweite Option. Ich wollte Herbert Lackner als Sparafucile kennenlernen.
Von den früheren Rigoletto-Abenden war ich verwöhnt. Es standen immer Bariton-Krösusse auf der Bühne: Aldo Protti, Piero Cappuccilli. Für mich war Aldo Protti ein Erlebnis, als ich, von der Schallplatte her schon von ihm begeistert, ihn zum ersten Mal auf der Bühne der Wiener Staatsoper erleben konnte. Cappuccilli hörte ich zum ersten Mal in der Arena von Verona, aber in einem geschlossenen Haus kam er noch viel mehr zur Geltung. Im ersten Akt nach der Verwandlung wünschte ich mir bei „Pari siamo“ sehnsuchtsvoll Piero Cappuccilli anstelle von Kostas Paskalis zurück. Auch Herbert Lackners großes F bei seinem ersten Abgang hatte enttäuscht. Es war nicht mit dem Ton eines Fagotts zu verwechseln wie bei Walter Kreppel in den früheren Aufführungen.
Während der Herzog inkognito in das Haus seines Hofnarren eindrang, rechnete ich mir aus, dass ich in der Pause vom Ring zum Gürtel wechseln könnte und noch zum zweiten Teil der „Vier Grobiane“ zurechtkäme. Doch als Rigoletto verzweifelt seine Tochter im Haus sucht, rief Paskalis – entgegen der Anweisung in der Partitur – so herzzerreißend nach seiner Gilda, dass ich mich entschloss zu bleiben. Wenn ein Künstler mich so zu ergreifen versteht, muss etwas dahinterstecken. Ich blieb also.
Nach der Pause: Paskalis beginnt mit „Cortigiani …“. Auf der Bühne sehe ich nur mehr verschwommen die Höflinge stehen, in meinem Kopf erscheint eine belebte Gasse, vielleicht in Venedig, ein alter Mann schiebt einen Karren mit Obst, eine Horde übermütiger junger Burschen stürzt sein Gefährt um, er beginnt laut zu schimpfen. Auf Distanz analysiert, ich muss bei diesem Sänger etwas falsch gehört haben. Seinen Rigoletto sollte ich als ausgeprägten Charakterbariton verstehen, und ich darf keinen Vergleich mit anderen Interpreten zulassen.
Beim Bühnentürl. Paskalis erscheint. Eine kleine, alte Frau, ich ahne, sie hat schon viele Rigoletto-Aufführungen in ihrem Leben gesehen, tritt zu ihm hin und fasst stumm – mit ihren Händen beiderseits seinen Kopf tätschelnd.
Lothar Schweitzer, 21. April 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
wikipedia.de schreibt:
„Kostas Paskalis (* 1. September 1929 in Levadia, Griechenland; † 9. Februar 2007 bei Athen) war ein griechischer Opernsänger. Er galt in den 1960er- und 1970er-Jahren als einer der besten Baritone der Welt.
Paskalis studierte Klavier am Konservatorium in Athen, nahm gleichzeitig Gesangsstunden und debütierte 1951 an der Athener Oper in der Titelrolle von Verdis Rigoletto, die eine seiner glanzvollsten Partien bleiben sollte. 1958 sang er zum ersten Mal an der Wiener Staatsoper, der er während seiner internationalen Karriere immer treu blieb. Weitere Bühnenerfolge hatte er an der Mailänder Scala, am Royal Opera House Covent Garden in London und an der Metropolitan Opera New York. Er gastierte aber auch oft bei den Festspielen in Glyndebourne und wirkte 1966 an der Uraufführung von Hans Werner Henzes Die Bassariden bei den Salzburger Festspielen mit.
Paskalis glänzte insbesondere im italienischen dramatischen Fach, so als Marquis Posa in Verdis Don Carlos, als Graf Luna im Trovatore (Troubadour) sowie als Rigoletto und Nabucco, aber auch als Scarpia in Puccinis Tosca und als Tonio in Leoncavallos Pagliacci (Der Bajazzo).
Seine kraftvolle, dunkel timbrierte Stimme fühlte sich am wohlsten in der Mittellage, in der Höhe musste nicht selten forciert werden. Das robuste Organ war für Mozarts Don Giovanni, den er gleichwohl immer wieder sang, nicht flexibel genug, und für den Escamillo in Bizets Carmen, der zu seinen wichtigsten Partien zählte, nicht tief genug. Doch technische Mängel wurden durch seine imposante darstellerische Präsenz und leidenschaftliche Gestaltungskunst stets wettgemacht.
Kostas Paskalis war mit der Sopranistin Marina Krilovici verheiratet. Er wurde zum Kammersänger der Wiener Staatsoper ernannt und wirkte in den 1980er Jahren als Intendant der Athener Oper. Seit Beendigung seiner Bühnenlaufbahn unterrichtete er in Wien Nachwuchssänger. Er wohnte in Kifissia, Athen.“
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Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de:„Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“