Schweitzers Klassikwelt 4: Opernzitate

Schweitzers Klassikwelt 4: Opernzitate

„Oft sind es ganz kurze Sätze, die in unseren Sprachgebrauch eingegangen sind und im Anlassfall automatisch gedacht und ausgesprochen werden. Wenn zum Beispiel das Mobiltelefon in Zeiten der Entspannung Töne von sich gibt. „Wer stört mir den Schlaf?“ Oder wenn Enkelsohn Aeneas gefährlich zu tollen beginnt: „Hast du Übermut?“ Er weiß bereits, dass diese ritualisierte Reaktion aus der Oper „Siegfried“ ist, wenngleich der Komponist ihm noch nichts sagt.“

 von Lothar Schweitzer

Während meiner temporären Kanzleitätigkeit im Rahmen des Präsenzdienstes beim österreichischen Bundesheer hatte ich das Glück und Vergnügen einem Chef unterstellt zu sein, der mir Befehle in Form von Zitaten aus Opern erteilte. Ich genoss das Privileg auch dementsprechend antworten zu dürfen. Vorgesetzter und Untergebener waren Opernnarren.

Das hat abgefärbt. Auch heute lassen meine Frau und ich gerne Operntexte in unsere Gespräche einfließen. Bei Gelegenheit auch in familiärem Kreis.  „Geht nur, geht, ich komm gleich nach. – Aus welcher Oper ist das?“ Meine Frage richtete sich an Tochter und Schwiegersohn. Ich flüsterte dem kleinen Enkel (5 Jahre) etwas zu. „Tiefland!“ posaunte Aeneas altklug heraus. Ich hatte bei dem Zitat Paul Schöffler im Ohr.

Man darf die Qualität der Libretti ohne weiteres aus diesem Blickwinkel betrachten. So etwas nennt man den „Sitz im Leben“ der Texte. Sehr oft werden wir im alltäglichen Leben an Sprüche aus dem „Rosenkavalier“ erinnert. So ist die Chance beim Ratespiel 50:50 und viele unsrer Verwandten und Freunde hasardieren und antworten in jedem Fall: „Rosenkavalier.“ Das Sujet ist ja nicht von Hugo von Hofmannsthal, sondern stammt ähnlich wie bei vielen Nestroystücken aus Frankreich. Aber was hat Hofmannsthal sprachschöpferisch daraus gemacht! Das kann begeistern!

„Zwei Stunden noch zu Tisch, wär´ Zeit lang haben.“ Da werde ich verleitet diese Feststellung nicht zu sprechen, sondern zu singen. Für einen Bariton enthält diese Phrase ja keine extreme Tiefe und ist nicht so schwer zu singen; auch außerhalb der Badewanne.

„Nur eigenhändig, insgeheim zu übergeben.“ Auch dieser Satz passt treffend in alltägliche Situationen. Dabei haben wir eine Altstimme im Ohr. Da spreche man noch einmal vom grauen Alltag!

„Such Sie in meiner Taschen meine Brillen. –  Nein: Such Sie nicht!“ Wie oft denken wir an diese Stelle, wenn wir in Momenten unsicher sind, ob wir irgendeine Kleinigkeit so oder so erledigen sollen.

„Wär nicht mein Gusto hier.“ Obwohl wir dafür bewundert werden, uns auf neue Situationen leicht einzustellen, manchmal passt uns auch etwas nicht.

In zunehmendem Alter scheint uns, dass wir die Kongestion bekommen. Ob Einbildungen durch Blutandrang entstehen, wagen wir allerdings zu bezweifeln.

Durch so manche Aufmerksamkeit uns gegenüber wurden wir „durch unversiegte Huld tiefst beschämt“. Da hilft uns dieser Text in Gedanken aus der Verlegenheit und manchmal äußern wir ihn auch, wenngleich ohne der heute nicht mehr verständlichen „unversiegten Huld“. Beeindruckend, wenn sich der Baron mit einem tiefen C verabschiedet. Ein spannender Moment, in dem sich die echten Bässe von den Bassbaritonen distinguieren.

Weniger höfisch, sondern sehr salopp die Aufforderung: „Marschier Er nur indessen.“ Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass die antiquierte Anrede ein humorvoll gemeintes Zitat erkennen lässt.

Aussprüche von Drachen sind eher Männersache. Als ich beim Frühstücksbuffet neben einer etepeteten Dame gut vernehmlich vor mich hinsprach: „Trinken wollte ich, nun fand ich auch Fraß“, zeigte sie sich sehr indigniert.

Oft sind es ganz kurze Sätze, die in unseren Sprachgebrauch eingegangen sind und im Anlassfall automatisch gedacht und ausgesprochen werden. Wenn zum Beispiel das Mobiltelefon in Zeiten der Entspannung Töne von sich gibt. „Wer stört mir den Schlaf?“ Oder wenn Enkelsohn Aeneas gefährlich zu tollen beginnt: „Hast du Übermut?“ Er weiß bereits, dass diese ritualisierte Reaktion aus der Oper „Siegfried“ ist, wenngleich der Komponist ihm noch nichts sagt.      

Wie sich in der Unterwelt eine Gaunersprache entwickelte, die sich häufig aus dem Jiddischen nährte und die die anderen Gäste im Wirtshaus nicht mitbekommen haben, so eignen sich oft Operntexte für Bemerkungen, die nebenan nicht verstanden werden sollen. Als wir einen jungen Mann beobachteten, der mit seinen hartnäckigen Flirtversuchen bei seiner Verehrten abblitzte, sagte ich zu meiner Frau so beiläufig: „Dem Kammerdiener ist heute so weinerlich zumute.“ („Lulu“)

Zu einer Party eingeladen waren wir eben im Begriff vor dem Haustor anzuläuten, da entstieg aus einem Taxi eine Dame mit Gipsbein (österreichisch: Gipshaxn), die offensichtlich dasselbe Ziel hatte und zu den Partygästen gehörte. Deshalb sprach ich sie ungezwungen, ohne Absprache mit Sylvia an: „How easily things get broken.“ Und nach einer kurzen Pause: „Aus welcher Oper?“ „Britten“, antwortete sie prompt.. Wahrscheinlich, weil es nicht viele englischsprachige Opern gibt. Ich erwiderte: „Nein. Leonard Bernstein, Mass.“

Meine Frage war nicht .präzise gewesen. Denn „Mass“ wird vom Komponisten als „ein Theaterstück für Sänger, Musiker und Tänzer“ definiert und nicht als Oper bezeichnet. Während des geselligen Beisammenseins kamen wir dann drauf, dass die Dame Opernsängerin ist. „Da hatten (im Original: hätten) wir uns in einer unerwarteten Situation befunden.“ (Für Anti-Straussianer und alle, die Richard Strauss nicht so gut kennen: aus „Arabella“)

Lothar und Sylvia Schweitzer, 28. April 2020, für
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Lothar und Sylvia Schweitzer

Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de:Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk  im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“

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