Hugo versus Richard 1. Teil
Im Gedenken an Franz und Alice Strauss sowie Willi Schuh, ohne deren Herausgabe des Briefwechsels zwischen den beiden „Giganten“ wertvolles Wissen verloren gegangen wäre.
von Lothar und Sylvia Schweitzer
Die beiden Einakter „Salome“ und „Elektra“ sahen wir Gymnasiasten als Gespann, wobei unser Musiklehrer Paul Lande, der uns acht Jahre lang begleitete, immer wieder betonte hier Impressionismus, dort Expressionismus. Das scheint von Anfang an nicht bestimmt gewesen zu sein. Nach Oscar Wildes „Salome“ war Richard Strauss an einer Zusammenarbeit mit Hofmannsthal interessiert, aber nicht an seiner fertigen Bühnendichtung über die Atridentochter. Er schlug Hofmannsthal vor, ein Drama über die legendäre, altorientalische Königin oder Heldin Semiramis zu schreiben, weil ihm Elektra zu ähnlich seiner Prinzessin Salome wäre, wofür jedoch dem Dichter der nötige Anstoß fehlte.
Über das rein Literarische hinausgehend versuchte er Richard Strauss zu überzeugen, dass bei aller äußeren Ähnlichkeit (in beiden Titeln ein Frauenname, zwei Einakter, die im Altertum spielen) die Farbenmischung eine andere ist: „Bei der Salome so viel purpur und violett in einer schwülen Luft, bei der Elektra dagegen ein Gemenge aus Nacht und Licht, schwarz und hell.“ Und der Dichter erhoffte sich durch die Musik noch eine Steigerung seiner poetischen Kraft am Ende des Dramas.
Während urheberrechtliche Schwierigkeiten zwischen dem Musikverlag des Komponisten und dem Fischer Verlag mit seinem für eine Oper nicht adaptierten Textbuch zu lösen waren, auf die Gefahr hin, dass es doch zu keiner Zusammenarbeit für eine Oper „Elektra“ kommen könnte, lancierte Strauss andere Themen. Er fragte an, ob Hofmannsthal Calderóns „Tochter der Luft“ (Semiramis) gelesen hätte, und schrieb begeistert über Friedrich Rückerts „Saul und David“: „Seit ich Rembrandts Saul und David gesehen, verfolgt mich der Stoff, ich kann ihn aber nicht selbst gestalten. Aber der Schöpfer der tanzenden Elektra könnte es!“
Im Spätsommer 1906 zwitscherten es die österreichischen Zeitungen: Richard Strauss arbeitet am Drama „Elektra“ von Hugo von Hofmannsthal, der dem Komponisten gegenüber beteuerte, an der Indiskretion keine Schuld zu haben. Zwei Tage vor dem Heiligen Abend 1907 schrieb Strauss an Hofmannsthal über seine geänderte Meinung. Sie könnten Aigisth doch nicht ganz weglassen. Er gehört unbedingt mit zur Handlung und muss mit erschlagen werden, auch vor den Augen des Publikums, wenn es nicht möglich ist, ihn früher nach Hause zu bringen, so dass er unmittelbar nach Klytämnestra erschlagen wird. Auf dieses Unmittelbare legte Richard Strauss großen Wert. Wenn nach dem Mord von Klytämnestra die Mägde (wörtlich vulgärdeutsch „die ganzen Weiber“) gelaufen kommen, dann verschwinden, dann nach dem zweiten Mord an Aigisth mit Chrysothemis wieder ankommen, sind das für den Komponisten „zu stark gebrochene Linien“. „Eine doppelte Kurve sollte sich in eine einfache Kurve auflösen.“
Lesen wir heute im Textbuch des Fürstner Musikverlags nach, so finden wir „das Herumschwirren der Mägde wie geängstigte Fledermäuse“ (Hugo von Hofmannsthal) doch nach dem Tod der Klytämnestra und vor der Ermordung von Aegisth. Würde man uns nach dieser Szenenfolge fragen, wir wären außer Stande, bloß aus der Erinnerung trotz zahlreicher beeindruckender Elektra-Erlebnisse darüber Auskunft zu geben.
Eine Opernfassung von Hofmannsthals Komödie „Cristinas Heimreise“ kam nicht zustande. Richard Strauss hatte seine Bedenken. Hofmannsthal wollte sein Werk zuerst als Lustspiel laufen lassen. Aber wäre es gut gewesen, eine Komödie, die auf eine Pointe zugespitzt ist, vor der Opernpremiere als Lustspiel abzunützen? Strauss hielt den Stoff für ein gesprochenes Stück für zu dünn. Und wenn dem Lustspiel kein Erfolg beschieden ist, weil der Dichter bereits mit einem Auge nach der Oper geschielt hat, bedeutet dies ein Hemmnis für den Komponisten.
In einem Brief aus Weimar vom 11.II.1909 überraschte Hugo von Hofmannsthal seinen „lieben Herrn Doktor“, dass er hier an drei ruhigen Nachmittagen ein frisches Szenar einer Spieloper gemacht hat. Soviel verrät er: Drastische Komik in Gestalten und Situationen, eine fast pantomimisch durchsichtige Handlung, Gelegenheit für Lyrik und Scherz. „Cristinas Heimreise“ war ad acta gelegt.
Richard Strauss-Kenner werden jetzt schon wissen, um welche Geburtsstunde es sich hier handelt. Aber alle Opernfreunde sind eingeladen mehr darüber im geplanten zweiten Teil zu erfahren.
Lothar und Sylvia Schweitzer, 19. April 2022, für
klassik-begeistert.de und Klassik-begeistert.at
Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Lothar und Sylvia Schweitzer
Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“
Richard Strauss, Salome Teatro alla Scala, Milano, Live-Stream vom 20. Februar 2021