Meine Lieblingsoper (52): "Salome" von Richard Strauss

Meine Lieblingsoper (52): „Salome“ von Richard Strauss

Birgit Nilsson, Mirella Freni, Edita Gruberova, Plácido Domingo, Luciano Pavarotti: Der Hamburger Mediziner und Klassik-Connaisseur Dr. Ralf Wegner hat die großen Weltstars der Opernwelt seit Ende der 1960er-Jahre alle live erleben dürfen: vor allem in der Staatsoper Hamburg, die in den 1970er-Jahren noch zu den weltbesten Opernhäusern zählte und sich heute um Anschluss an die deutsche und europäische Spitze bemüht. Begeben Sie sich in ein wunderbares Stück Operngeschichte und reisen Sie mit in eine Zeit, die scheinbar vergangen ist.

von Ralf Wegner

Wenngleich die Salome nicht meine erste erlebte Oper war, so blieb von der am 15. Juni 1963 gesehenen Aufführung mein ältester Opernzettel erhalten. Die häufiger in modernen Werken eingesetzte, 2011 im Alter von 86 Jahren verstorbene Sopranistin Helga Pilarczyk sang und spielte die Salome so eindrucksvoll, dass ich mir diese Oper in den Folgejahren häufiger ansah.

Helmut Melchert war ein bühnendramatisch wirkungsvoller Herodes, Edith Langs ausgeprägtes Vibrato fiel als Herodias nicht mehr so ins Gewicht. Dafür waren Jochanaan und Narraboth mit dem bereits zwei Jahre später im Alter von nur 49 Jahren verstorbenen afroamerikanischen Bariton Lawrence Winters und dem damals 39jährigen, häufig unterschätzten Tenor Heinz Hoppe hervorragend besetzt. Winters verfügte über eine strahlkräftige und farbenreiche, von einem leichten flirrenden Vibrato umschlungene Stimme mit glanzvoller Höhe von berauschender Schönheit, wie ich sie später nur selten wieder gehört habe. Hoppe war einer der wenigen herausragenden Besetzungen des Narraboth, daneben sind nur noch Wieslaw Ochmann und Dovlet Nurgeldiyev hervorzuheben.

Helga Pilarczyk, Helmut Melchert, Edith Lang, Lawrence Winters, Heinz Hoppe

Im Laufe der Zeit hörte ich etwa ein Dutzend Vertreterinnen der Hauptpartie, darunter zweimal die damals schon hochberühmte Anja Silja (1972 in Paris, 1980 in Hamburg), 2002 trat sie in Hamburg noch einmal in dieser Oper auf, allerdings in der undankbaren Rolle der Herodias. Felicia Weathers war ebenfalls eine großartige Salome (1969 in Berlin). Die damals erst 25 Jahre alte, nach meiner Erinnerung von der Statur her eher zarte lyrische Sopranistin überzeugte mit nicht erwarteter stimmlicher Strahlkraft und leuchtender farbintensiver Höhe. Sie gehört zu den Sängerinnen, die nicht eigentlich berühmt waren oder wurden, deren stimmliche Größe sich aber für immer in das Gedächtnis der Zuschauer eingeschrieben hat.

Auch Gwyneth Jones (1973) und Grace Bumbry (1975) hörte ich in Hamburg als Salome sowie Leonie Rysanek (1973), bei der man sich fragte, wie sie wohl den Schleiertanz absolvieren würde. Sie entblätterte sich nicht, sang dafür aber überwältigend.

Zwischen den beiden Auftritten Anja Siljas 1980 als Salome und 2002 als Herodias wurde Salome in Hamburg entweder selten gespielt oder schwächer besetzt. Erst Inga Nielsen (2002) und Susan Antony (2006) beeindruckten wieder als Salome. Unter der Intendanz von Simone Young sang Hellen Kwon diese Partie. Ich hörte sie 2011 und 2014, sie überwältigte darstellerisch und fesselte stimmlich von der ersten bis zur letzten Minute. Kwons Stimme klang strahlend, in der Höhe aufblühend und ohne jede Schärfe. Ihr Gesang und ihre kongruente, auch physisch bemerkenswerte Darstellung traf mitten ins Herz und erschütterte die Seele.

Felicia Weathers, Anja Silja

Als Herodes lieferte der Tenor Günter Neumann eine fast tiefenpsychologische Studie des innerlich zerrissenen, zwischen Heidentum und Gottesglauben schwankenden Tetrarchen ab (1995-2006). Auch die Herodias war recht oft hochkarätig besetzt, so neben den bereits erwähnten Sängerinnen Silja und Kwon Mignon Dunn (1971), Astrid Varnay (1973) Helga Dernesch (1980) oder Hanna Schwarz (1995-2006). Letztere hatte 1973 bereits den Pagen gesungen. Neben Lawrence Winters bleiben mit der Partie des Jochanaan noch Ingvar Wixell (1971), Donald McIntyre (1975), Andrzej Dobber (2011) und Wolfgang Koch (2016) zu erwähnen.

Zur Oper: Die Handlung ist morbide wie sonst wohl in keiner anderen Oper, die faszinierende Komposition hilft darüber hinweg. Die Geschichte basiert auf dem Markus-Evangelium über den Tod Johannes des Täufers. Gustave Flaubert nahm sich des Themas mit einer Herodias-Erzählung (1877) an, auf die wiederum Oscar Wilde (1891) zurückgriff. Strauss (1905) modifizierte das Stück und konzentrierte sich stärker auf das ambivalente Seelenleben der Protagonistin. Sich Hineinzufühlen gelingt aber kaum, Salome bleibt als Mensch zumindest mir unter der berauschenden, überformenden Komposition verborgen. Sätze wie „Die das Innere der Heldin offenbarende Metaphorik ist eine apotheotische Beschwörung der Jungfräulichkeit“ (Horst Fritz, Programmheft der Hamburgischen Staatsoper, 1995) oder „Im ganzen wäre es angebracht, Salome als Ausdruck einer musikalischen Idee des Dyonysisch-Musikalischen zu betrachten, als Feier des tragisch-dionysischen Zustandes, den man zu Beginn unseres Jahrhunderts in vielerlei künstlerischer Gestalt beschwor“ (Wolfgang Krebs, s.o.) bleiben mir fremd. Verständlicher ist da schon Alfred Kerrs (s.o.) Anmerkung über Strauss‘ Komposition: „Das Stahlgerüst Wildes umkleidet er mit Leuchtgestein und vielen Dolden. Also: Wilde enthüllt, Strauss umhüllt. Wilde spart; Strauss spendet“. Und diese Umhüllung ist wirklich genial und verdrängt das Morbide dieser Oper.

Ralf Wegner, 7. Dezember 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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