Schweitzers Klassikwelt 63:„Arabella“ – die letzte gemeinsame Arbeit

Schweitzers Klassikwelt 63: „Arabella“  klassik-begeistert.de

Foto: Dichter und Tondichter in Rodaun 1912 aus „Richard Strauss Hugo von Hofmannsthal Briefwechsel“

Hugo versus Richard, der vierte Teil

von Lothar und Sylvia Schweitzer

Der Erste Weltkrieg ist jetzt bereits neun Jahre vorbei und Hugo von Hofmannsthal kramt in seinen Notizen. „In ihm“ ist ein Szenarium für eine leichte Oper, im Stil des „Rosenkavalier“, aber noch leichter, noch französischer – noch ferner von Wagner. In einer Art Exaltation teilt der Dichter dem Komponisten mit, dass ihm die Figuren der neuen Musikkomödie zudringlich vor der Nase herumtanzen. Er glaubt sogar, dass die Komödie besser als der „Rosenkavalier“ wird. Sie soll dieser Oper, die er auch als Operette (!) sehen kann,  Konkurrenz machen.

Zwei Mädchen (Soprane) können herrliche Rollen werden. Hofmannsthal fühlt sich bemüßigt diese später einmaligen Geschöpfe mit Carmen und Micaëla zu vergleichen, eine sehr glanzvoll, eine mehr sanft und demütig, wie damals das Bauermädchen noch gesehen wurde. Als Liebhaber kämpfen ein Tenorino und ein Bariton. Letzterer kommt aus einer für Wien halbfremden Welt (Kroatien). Der Dichter denkt an Schaljapin. Auf keinen Fall darf die Rolle ein Sänger singen, der als Ochs bekannt ist, damit diese Figur nicht als Kopie des Ochs empfunden wird. Nebenbei bemerkt scheinen die Grenzen zwischen Bass und Bariton bei den beiden Autoren zu verwischen, was uns zu Beginn unsrer Opernerfahrungen auch sonst allgemein zu schaffen machte.

Richard Strauss zeigt Bedenken und hofft, dass seines Librettisten Figuren nicht schon zu feste Gestalt angenommen haben. Er meint, sein Partner hätte als „zärtlicher Autor“ seinen Ochs von Lerchenau überschätzt, und warnt: „Wir sind nicht das Publikum!“ Für die Italiener ist der Ochs von Lerchenau nicht nur uninteressant und langweilig, ja sogar widerlich. (Denselben Eindruck musste ich schon im Familienkreis erfahren. Anm.) Hofmannsthals „Kroate“ lockt keine hundert Leute ins Theater. Das Autorenpaar hätte sich auf den Standpunkt des Publikums zu stellen, für die wir ja Komödie spielen. Es fehlt eine interessante Frauenfigur. Diese wäre nach Strauss die Mutter, in ihre potentiellen Schwiegersöhne verliebt oder ihrer Tochter auf dem Bild so ähnlich sehend, dass sie der Kroate für die Tochter hält. Der Komponist will ernstere seelische Konflikte hineinbringen, die über die gewöhnlichen Lustspielverwicklungen hinausgehen und die Mitwirkung der Musik erst nötig machen.

In einem kurzen Schreiben teilt er Hofmannsthal mit, er habe in der Wiener Hofbibliothek schöne Bände südslawischer Volkslieder und Tänze gefunden. Und Hofmannsthal gibt seinem Tonschöpfer Recht. Eine Frau muss die Mittelpunktfigur sein und niemals der Bariton. Daher der Arbeitstitel: „Arabella oder der Fiakerball“. Er habe von der manches hergebenden Figur des kroatischen Edelmanns so lebhaft gesprochen, dass sein Komponistenfreund sie für die Hauptfigur halten musste. Aber sein Ankommen setzt schon etwas in Bewegung. Unwillkürlich ist unseres Erachtens hier schon eine unvermeidliche Parallelität gegeben.

Richard Strauss mit Ehegattin Pauline Strauss-de Ahna und Sohn Franz, wenige Jahre nach 1900 © Richard-Strauss-Institut Garmisch

Für Hofmannsthal jedoch bleibt Arabella die Hauptfigur. Diesmal keine Frau, sondern ein junges Mädchen, aber ein sehr reifes, wissendes, durchaus Herrin der Situation und eine durchaus moderne Figur. Ein Typ von jungen Frauen, welcher jetzt interessiert. Man muss eine neue Mode kreieren helfen, sonst ist man ein schlechter Schneider. Hofmannsthal verweist auf Bernard Shaw, ja sogar seine Heilige Johanna ist eine von ihnen. Und eine Hauptfigur schafft man nicht durch die Menge des Textes, sondern vor allem durch die Stellung, die man ihr innerhalb des Stücks gibt. Deshalb versteht der Dichter die Kritik der Dresdner Premiere des „Rosenkavalier“ im Berliner Tagblatt nicht, es sei schade, dass er in so ungeschickter Weise diese einzige sympathische Figur des Stücks zur Episodenfigur herabgedrückt hat. Denn jedes Wort mehr wäre ganz überflüssig. Die Mutter soll eine recht hübsche Frau sein, er könnte sich zwar vorstellen, dass sie in die Verehrer der Töchter ein bisschen mitverliebt ist. Eine originelle, für die ganze Handlung sehr notwendige Persönlichkeit, aber sie in ernste Liebesszenen mit Resignation zu verstricken, würde eine halbe Marschallin aus ihr machen.

„Richard Strauss Hugo von Hofmannsthal Briefwechsel“

Hofmannsthal verwirft in dem seitenlangen Brief auch den Gedanken der lockeren Form, eine Bilderreihe an Stelle von drei Akten, durch den Film in Mode gekommen. Dies eignet sich für „Manon“, einem Roman entnommen, oder für den „Wozzeck“, halb psychologisches Gemälde, halb Kriminalgeschichte. Er nimmt sich in dem Fall den Zweiten Akt vom „Rosenkavalier“ als Vorbild: Gespannte Erwartung, zeremoniöse Feierlichkeit, leichte Konversation, Buffoszenen, lyrische Momente, Skandal und Durcheinander, wieder Behaglichkeit, eins aus dem anderen entspringend.

Und Hofmannsthal liebt auch nicht die Zwischenspiele. Er ist der Schiffsbauer, der Wind, der in die Segel blasen muss ist dann die Musik von Richard Strauss.

Den Dichter erschreckt hat auch die Idee eines Balletts auf südslawischer Grundlage. Wichtig ist, dass alles richtig ist. Richtiges  Wien von 1860, genau wie der „Rosenkavalier“ einen Teil seiner Wirkung daraus zieht, dass alles richtiges Wien von 1740 ist. Dafür bekommt Hugo von Hofmannsthal von uns spontanen Applaus. Der Librettist denkt den Fiakerball selbst unsichtbar. Bloß mischen sich die Figuren hier und da in den Ball, um dann wieder zurück zu kommen. Die Tanzatmosphäre soll durch das Aufblitzen eines Tanzrhythmus  angedeutet werden, während vorne das Parlando und das Sentimental-Lyrische vorherrschen. Die Handlung soll ja nicht auf ein Offenbachsches Finale hinausführen.

Drei Tage darauf, am Christtag, kristallisiert sich in einem Brief Hofmannsthals an Strauss Folgendes heraus: Das Hauptmotiv, die jüngere Schwester, die in einen Verehrer der älteren Schwester sich umso heftiger verliebt, je schlechter die ältere diesen behandelt, und die schließlich, um den Gekränkten zu trösten, ihm im Namen der Älteren in einem verdunkelnden Zimmer flüsternd zu sich einlädt, wird zum Spannungsmotiv und überlässt als Hauptmotiv der älteren Schwester Arabella den Vortritt, die versehrt von Zynismus und Resignation bereit ist eine öde Vernunftehe einzugehen und für die sich auf einmal der unwahrscheinlichste Freier präsentiert.

Trotz vieler namhafter Sopranistinnen, die wir in Wien, Hamburg und Glyndebourne erlebt haben, wenn das Thema dieser Strauss-Oper behandelt wird, haben wir immer Lisa Della Casa vor Augen. Das ist jetzt schon über sechzig Jahre her, aber wohl dank ihrer Ausstrahlung und den wunderbaren Aufnahmen von Foto Fayer, Wien.

Ein halbes Jahr später räsoniert Richard Strauss: Ein guter Operntext, von dem damals ohne Übertitelung oder Tablets noch gut ein Drittel der Worte verloren ging, bedarf des Bildhaften. Hofmannsthal beginnt wieder einmal von seiner „Arabella“ zu schwärmen, wo die Weite des halb-slawischen Österreich mit seinen unberührten Eichenwäldern in eine Wienerische Komödie hereintritt. Das erinnert uns an Grillparzers „Libussa“ und des Dichters romantische Vorstellung des Slawentums als Urkraft einer kulturellen Erneuerung.

Kopfzerbrechen macht noch das Persönlichkeitsbild der Arabella und des Mandryka aus Kroatien, Schimmel und Tugendbold, der am Ende des zweiten Akts schuldig werden muss, damit einem vor einem bösen Ausgang ernstlich bange wird. Und soll Arabella für das Publikum spürbar einmal wirklich Matteo geliebt haben? Es war anfangs auch daran gedacht, den von den Eltern ausgesuchten  Bauunternehmer  im letzten Akt als derb komische Figur auftreten zu lassen und einem vom Gefolge Mandrykas als Spion im zweiten Akt als Tenorbuffo eine größere Rolle zu erteilen, was, nicht gleich bewusst, eine jämmerliche Kopie des Valzacchi gewesen wäre. Auch will Hofmannsthal die Zahl der Figuren nicht häufen, dafür die gegebenen Figuren vielfältig gegeneinander wenden, aber nicht zu viel neue Kombinationen, sonst wird´s wie ein übermöbliertes Zimmer. Als Vorbild gilt ihm Shakespeare, bei dem sich jedes Motiv charakterologisch auslebt.

Mit dem kroatischen Brauch des Reichens eines Glases mit Wasser als Einverständnis kann sich Richard Strauss lange nicht anfreunden. Hofmannsthal meint dazu, natürlich könnte man anstelle der Zeremonie den bis dahin aufgesparten Verlobungskuss setzen. Aber das Entgegentragen des vollen Glases die Stiege herab hat eben mimische Vorteile.

Mandryka darf auf keinen Fall als Horcher dastehen. Matteo soll den von Zdenko überreichten Brief als endgültigen Abschied fürchten. So weicht er aus und Zdenko muss ihm nachgehen und den Brief ihm aufdrängen. Diese Szene hat dann etwas so Auffälliges, dass er durch den sonderbaren Vorgang unwillkürlich näher tritt und die Worte hört: „Es ist der Schlüssel zu Arabellas Zimmer.“

Der Dichter äußert dem Komponisten seine musikalische Vorstellung. Während im „Rosenkavalier“ die Stimme nur dem im Orchester zentrierten Leben sich einflicht, auftauchend und untertauchend, aber nach seinem Gefühl nie ganz souverän, nie ganz Träger, so stellt er sich jetzt vor das Entscheidende der Singstimme zu geben, so wie etwa auch im „Freischütz“.

Richard Strauss hatte noch keinen musikalischen Anfang gefunden, sich für die Figuren noch immer nicht erwärmt und glaubt das Ganze vor sich haben zu müssen, um in den ersten Akt hinein zu kommen. Er findet die Schwester Zdenka als die einzige halbwegs interessante Figur. Die Eltern interessieren wenig. Vielleicht müsste „Arabella“ tragisch enden, Mandryka sich nach den Worten Zdenkas erschießen und Arabella reicht dem Sterbenden das Glas Wasser.

Hofmannsthal räumt ein, in der Haltung Arabellas in der Begegnung mit Matteo im ersten Akt liegt noch etwas Irreführendes. Das positive Urteil vieler Leute war für ihn aufbauend, ist jedoch nebensächlich, kompetent für den Text ist nur der, der ihn zu komponieren hat.

Das Jahr 1929 begann vielversprechend. Hofmannsthal schreibt am Neujahrstag an Strauss, wie sehr es ihn gefreut hat, dass der zweite und der dritte Akt Gefallen gefunden haben, und will den Expositionsakt mit den beiden in Harmonie bringen. Er schwärmt von der Schenker-Angerer als Octavian, die er für die Zdenka im Auge behält – und nicht eine Sängerin der Sophie.  Doch bald musste Hofmannsthal seitens des Komponisten wieder eine Abkühlung feststellen. Strauss wünscht sich mehr Lyrik und im ersten Akt eine große kontemplative Soloszene der Arabella. Es vergehen einige Wochen, bis die Gestalten für Hofmannsthal wieder volles Leben bekommen, um den ersten Akt jetzt zusammen zu bringen. Er sieht ein, dass es nicht genügt, dass sich alles Tun und Reden der Anderen um Arabella dreht, sie muss sich selbst offenbaren und es muss eine Szene mit einem Mann sein, nur nicht mit dem elegischen, chancenlosen Matteo. Aber dem schwülen-gewittrigen Wetter Anfang Juli und seiner ererbten Überempfindlichkeit gegen das Atmosphärische gibt er die Schuld, dass die Änderungen des ersten Akts nicht so schnell vorangehen.

Beim Aufeinandertreffen von Arabella und Mandryka im Ballakt verteidigt Hofmannsthal die von Strauss als naiv kritisierte Eröffnung der Konversation mit: „Was führt Sie dann hierher?“ Arabella weiß um seine Gesinnung, er ist unsicher, wie sie seine Werbung aufnehmen wird. An ihr als Dame liegt es, das Gespräch zu beginnen. Soll sie denn anfangen, sie hätte gehört, dass er sie heiraten will?  Ihre gestellte Frage ist nicht naiv, wohl aber kokett, denn für einen Lebemann und Salonlöwen wirkt er zu ernst. Das Ziel des Dichters musste sein die beiden Personen möglichst schnell nicht auf einem opernhaft trivialen Weg von Liebe reden zu lassen und lyrisch zu werden.

Am 6. Juli des Jahres zeigt sich Richard Strauss schon sehr beruhigt. Einzig und allein Arabella muss den ersten Akt mit einem längeren Monolog aus dramaturgischen Gründen schließen. Der zweite Aktschluss gehört dem Mandryka, der dritte dem Paar. Stoff dafür wäre ein Abschiedsbrief an Matteo, Gedanken an die Szene mit ihrem Verehrer Graf Elemer und an ihren ersten Eindruck vom Mandryka, Vergleiche, Unsicherheit. Nach reinen Dialogszenen soll man dem Publikum eine solche Erholung gönnen, dem Komponisten die Gelegenheit geben sich lyrisch auszubreiten und der Sängerin allein zu singen. In seinem letzten Brief vier Tage darauf bringt Hofmannsthal in einem kurzen Schreiben die Erfolgsmeldung, das Mögliche sei geschehen, besonders in der Szene der Schwestern aus dem Dialogischen ins Lyrische überzugehen.

Am 13. Juli nahm sich Hofmannsthals Sohn Franz das Leben, Am 15. Juli, dem Tag des Begräbnisses, erlag der Dichter einem Schlaganfall. Das an dem Tag einlangende Telegramm ist von ihm nicht mehr geöffnet worden. Es lautete: „Erster Akt ausgezeichnet. Herzlichen Dank und Glückwünsche. Treu ergeben  Dr. Richard Strauss“

Lothar und Sylvia Schweitzer, 31. Mai 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.

Lothar und Sylvia Schweitzer

Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk  im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“

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2 Gedanken zu „Schweitzers Klassikwelt 63: „Arabella“
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  1. Liebe Schweitzers
    ein interessanter Beitrag, man bekommt direkt Lust, sich diese Oper wieder einmal anzuschauen. Zuletzt war das bei uns 2014, mit Camilla Nylund , davor mit Anja Harteros, und früher mit Arlene Saunders, Gundula Janowitz und Lucia Popp als Arabella. Es muss aber schon eine herausragende Sopranistin sein, sonst wird es schnell langweilig. Denn das inhaltliche Interesse an dieser Oper ist bei mir durchaus begrenzt. Ich stimme zu, es ist ein wunderschönes Foto von Lisa della Casa. Leider durfte ich sie nie erleben.
    Ihr Ralf Wegner

    1. Lieber Herr Kollege!
      Herzlichen Dank für die lieben Worte! Die Harteros haben wir in Hamburg erlebt, leider nie die Janowitz. Uns rührt besonders das Verhältnis Matteo – Zdenka.
      Ihre Schweitzers

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