Schweitzers Klassikwelt 77: Werden wir Opern untreu?

Schweitzers Klassikwelt 77: Werden wir Opern untreu?  klassik-begeistert.de, 13. Dezember 2022

Wiener Volksoper Foto: Barbara Pálffy

Sie war für uns in den Anfängen der Siebzigerjahre eine „Kultoper“. Wir versäumten zeitweise keine Aufführung und waren es zwei Abende in der Woche. Wir lebten mit den Figuren unsrer Lokalmatadore mit, die keine international gefeierten Stars waren, teilweise aber auch in Opernhäusern unsrer Nachbarn Deutschland und Schweiz auftraten.

von Lothar und Sylvia Schweitzer

Ja, es war an der Wiener Volksoper. Als wir vor einigen Jahren an der Volksopernkasse Karten für die „Adriana“ an der Wiener Staatsoper kauften, war es der Dame am Schalter nicht bewusst, dass fast ein halbes Jahrhundert vor dem Haus am Ring „Adriana Lecouvreur“ bereits hier an der Volksoper aufgeführt wurde.

Was fanden wir an dem simplen Eifersuchtsdrama so anziehend, in dem letzten Endes die Heldin des Stücks durch einen Kuss eines vergifteten Blumenstraußes stirbt, was ohne Hinzutun beim Eisenhut wirklich passieren könnte?

Blauer Eisenhut (Aconitum napellus)

Wir analysieren: Die Musik hat es uns angetan, so dass wir nicht Marilyn Zschau als die berühmte Schauspielerin Adriana Lecouvreur sehen wollten, sondern für uns wurde die Lecouvreur zur Zschau.

Fast drei Jahrzehnte vergingen. Eine erste Wiederbegegnung mit „Adriana Lecouvreur“ fand an der berühmten Mailänder Scala statt.

Scala di Milano Foto: Servus TV

Doch welche Distanziertheit trotz untadeliger Aufführung!

Und wie erlebten wir nach weiteren vierzehn Jahren Unterbrechung dieses Werk in der Erstinszenierung an der Wiener Staatsoper? Das Orchester der Wiener Staatsoper unter der Leitung von Evelino Pidò   brachte uns die schwelgerischen und lyrischen Seiten der „Adriana Lecouvreur“ wieder nahe. Wir können zumindest unsere „jugendliche“ Begeisterung von damals   wieder verstehen. Aber für unsre Top Fourteen (siehe Schweitzers Klassikwelt 43) reicht es nicht mehr. An Angela Gheorghiu schätzten wir ihre Piano- und Mezzavoce-Kultur. In der siebenten Aufführung dieser Inszenierung hat sich dann das ideale Paar gefunden: Anna Netrebko und Piotr Beczała. Und ebenbürtig mit viel Metall und Dramatik die hoheitsvolle Fürstin von Bouillon der Mezzosopranistin Elena Zhidkova.

Das Zwischenspiel im zweiten Akt, während dessen Adriana mit sich kämpft ihr dem geliebten Maurizio gegebenes Versprechen zu halten und die ihr rätselhafte, unbekannte Dame hinter der Tür im Nebenzimmer zu schützen, wenn sie unruhig und im Zwiespalt hin- und hergeht, ist unsre Lieblingsstelle. Leider gelang es in den von uns jetzt besuchten Aufführungen nicht, die Stimmung, die in der Musik liegt, auf die Bühne zu übertragen, obwohl sich unter Evelino Pidò und Asher Fisch dieser Teil musikalisch Opernerlebnissen nähert, die in unsrer Erinnerung an die ersten Eindrücke von „Adriana Lecouvreur“ etwas idealisiert wurden.

Lothar und Sylvia Schweitzer, 13. Dezember 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Schweitzers Klassikwelt 43: Unsere Top Fourteen

Francesco Cilea: Adriana Lecouvreur, Deutsche Oper Berlin, 4. September 2019

Francesco Cilèa, Adriana Lecouvreur, Anna Netrebko, Piotr Beczala, Elena Zhidkova, Wiener Staatsoper

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