Schweitzers Klassikwelt 9: EIN ÜBERRASCHENDER OPERNABEND

Schweitzers Klassikwelt 9: EIN ÜBERRASCHENDER OPERNABEND

von Lothar und Sylvia Schweitzer (14. Juli 2020)

Warum ich Taormina nach einer Stunde wieder verlassen habe, ist mir heute nicht ganz klar. In Schlagern der Fünfzigerjahre des vorigen Jahrhunderts nach unsrem heutigen Geschmack kitschig besungen hatte ich mir diese Hügelstadt anscheinend anders vorgestellt. Ich setzte mich ins Auto und fuhr weiter und kam vom Regen in die Traufe, in die zweitgrößte Stadt Siziliens mit grauen Häusern und viel Lärm, nach Catania. Ich suchte ein Hotel auf, wo es durch einen hochoffiziellen Empfang gerade noch mehr Wirbel gab. Verdrossen und erschöpft schloss ich mich in mein Zimmer ein und gab mich einem „sonnellino“ hin.

Am späten Nachmittag wachte ich auf, wagte mich etwas besser gestimmt wieder hinaus und hatte vor, einen kleinen Spaziergang zu machen. Als ich eine schmale Gasse überquerte, fiel mir auf, dass diese auf einen Platz mündete, wo sich ein theaterartiges Bauwerk befand. Natürlich interessierte mich das und neugierig bog ich links ab, ging die Gasse vor und sah, wie im ersten Stock des Gebäudes Leute in von großen Kronleuchtern erhellten Pausenräumen wandelten.

© trip wolf

Es handelte sich um das Teatro Massimo Bellini, gespielt wurde an dem Abend „La Bohème“. Die Kassa war geschlossen, denn nach dieser Pause folgte bereits das vierte Bild. Lire-Scheine wechselten von meiner Hand in die Hand eines Billeteurs, ich wurde in einen sich verdunkelnden Saal mit den typischen roten Stoffbezügen geführt. Der Auftrittsapplaus für den Dirigenten und die Musiker setzte ein, der Vorhang hob sich. Vor zehn Minuten hätte ich mir nicht träumen lassen in eine Atmosphäre einzutauchen, in der ich mich so sehr daheim fühle. Nach der Mantelarie war ich glücklich, gemeinsam mit dem Auditorium klatschen zu können. Die anfangs so streng wirkende Stadt verlor an Fremdheit und Unnahbarkeit.

Am nächsten Vormittag suchte ich noch einmal den Ort der schönen Erinnerung auf. Die Mimì war Lydia Marimpietri gewesen. Ein Jahr später las ich an einem Samstag nachmittags auf der Kulturseite einer Zeitung den kleinen Vermerk, dass an dem Abend Lydia Marimpietri in „La Bohème“ in der Wiener Staatsoper einspringt und sprang auf, um mir eine Karte zu sichern. Eine warme, innige Stimme war an dem Abend zu hören. Es wäre nicht fair, alle Interpretinnen der Mimì an der Freni oder der Netrebko zu messen. Mit Signora Marimpietri hatte ich einen passenden Maßstab gefunden.

© Italy Villas

Jahrzehnte später saßen meine Frau und ich wieder im Teatro Massimo Bellini und man spielte wieder „La Bohème“. Diesmal sahen wir alle vier Bilder in einer Länge von fast 5 Stunden, als wären es „Die Meistersinger“. Grund dafür war ein Teilstreik des technischen Bühnenpersonals. Die Umbaupausen zogen sich endlos. Gruppenweise verließen Leute den Saal und die Oper. Wir harrten in dem Haus mit der schönen Erinnerung aus.

Lothar und Sylvia Schweitzer, 14. Juli 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk  im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“

Lothar und Sylvia Schweitzer

Beitragsbild: Von Berthold Werner – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=23362786

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