„Die tote Stadt“, Wiener Staatsoper Bühnenbild: Wolfgang Gussmann Foto: Michael Pöhn
von Lothar und Sylvia Schweitzer
Wenn der Witwer Paul in Korngolds wunderschöner Oper zum Schluss singt: „Ein Traum hat meinen Traum zerstört.“, so klingt das für sich allein betrachtet ernüchternd und enttäuschend, würde man nicht die vorhergehende Handlung kennen. Wobei eine Enttäuschung als Ende einer Täuschung schmerzhaft, aber zu bejahen wäre. „Harre mein in lichten Höhen“ geht es später weiter, was ein erlösendes, erhebendes Gefühl aufkommen lässt, doch der Nachsatz hat wieder einen bitteren Beigeschmack: „Hier gibt es kein Auferstehn.“ Wird Paul die Tatsache des frühen Todes seiner Marie jetzt auf andere Weise leben und er-tragen? Wird er aus der sinnbildlichen „toten Stadt“ ausziehen? Oder wird Paul gar unter gesünderen Voraussetzungen eine neue Partnerschaft eingehen können? Wir sind an einer Fortsetzung dieser Oper eigentlich nicht interessiert, denn wir befürchten eine Banalisierung und zweifeln, ob ein derartiger Höhepunkt wie in Korngolds Werk noch einmal erreicht werden kann. Das Offen-Bleiben ist in dem Fall das geeignetste Stilmittel. Trotzdem kann man von einer Katharsis sprechen.
Der Opern- und Theaterregisseur Yval Sharon lehnt eine Botschaft, eine Aus-Sage eines Stücks überhaupt ab. Man beachte unsere durch den Bindestrich hervorgehobene teils negative Doppel(be)deutung dieses Worts! Dies scheint die im heutigen Lebensgefühl verankerte charakteristische geistige Haltung zu sein. Befremdet hat uns da eine Osterpredigt über das im Lukas-Evangelium aufgezeichnete Ereignis in Emmaus. Der Inhalt der Predigt bestand nur aus Fragezeichen und wir fragten uns, warum dann die Jünger noch in der Nacht eilig aufbrachen, um in Jerusalem ihr Erlebnis zu erzählen.
„Die Glasmenagerie“ wird von Tennessee Williams im Untertitel als „Ein Spiel der Erinnerungen“ bezeichnet. Auf Drängen der Mutter lädt Sohn Tom für seine leicht körperbehinderte, introvertierte Schwester Laura einen jungen Mann aus seiner Firma ein. Gedankenlos wählt Tom einen Kollegen aus, zu dem Laura große Sympathie entwickelt, aber von dem sich am Ende des Besuchs herausstellt, dass er vor seiner Hochzeit steht. Laura versinkt in Depression. Als seine Mutter Tom schwere Vorwürfe machte und ihn „zum Mond schickt“, geht er nicht zum Mond, wie er im Epilog allein auf der Bühne erzählt, aber er verließ die vaterlose Familie auf Nimmerwiedersehen und scheut eine Heimkehr. Er gesteht oft mit Wehmut an seine Schwester denken zu müssen, wie sie das Leben wohl besteht. In dieser Melancholie steckt ein poetischer Reiz.
Im Original ruft am Ende des Stücks Tom in Gedanken seiner romantisch verträumten Schwester zu: „Heutzutage wird die Welt von Blitzschlägen erleuchtet! Blas deine Kerzen aus, Laura – und so – leb wohl…!“ Und man sieht, wie Laura die Kerzen in ihrem Heim ausbläst. Es stieß bei uns zunächst die erste Verfilmung 1950 auf Widerstand. Hier wird, den Autor gleichsam ergänzend, gezeigt, wie der Besuch doch ein heilsamer war und sie sich seither mit vielen jungen Männern trifft. Ist das Ausblasen der Kerzen so gemeint? Nach Jahrzehnten zeigen wir für diese lebensbejahende Bearbeitung mehr Verständnis. Eigentlich eine Gegenströmung zu einem unverbindlichen Offenlassen. Tennessee Williams war übrigens bezüglich dramaturgischer Veränderungen seiner Werke, wie wir des Öfteren gemerkt haben, sehr großzügig.
Das Leben geht auch nach einem so genannten Happy End weiter. Schikaneder wollte seinen Erfolg mit der „Zauberflöte“ durch einen zweiten Teil ausschlachten. Das Paar Tamino-Pamina sollte deshalb weiter durch die Königin der Nacht und Monostatos gefährdet bleiben. Auch Goethe, der am Weimarer Hoftheater die Oper herausbrachte, schrieb eine Zeit an einer Fortsetzung. Doch das Genie Mozart ist ihnen abhanden gekommen.
Und ob sich Mozart trotz einer Andeutung im Text der letzten Szene so sicher war, dass für Donna Anna und Don Ottavio die Hochzeitsglocken läuten werden?
Dank der RegisseurInnen wird auch bei noch so bekannten Opern der Ausgang unsicher. Wir haben uns durch sie überzeugen lassen, dass die in „Così fan tutte“ durch Spiel zustande gekommene Paarung die richtige ist, also Fiordiligi und Ferrando bzw. Dorabella und Guglielmo besser zusammen passen.
Wie Tatjana Gürbaca in der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf „Salome“ von Richard Strauss ausgehen lässt, ist nachzulesen in „Klassik begeistert“, Zu finden unter „Salome März 2020“.
Nach David Pountney sucht Eva in den „Meistersingern von Nürnberg“ (Leipzig 2021) das Weite, da es ihr mit dem verbürgerlichten Stolzing zu eng wird. Kirill Serebrennikov lässt im neuen Wiener „Parsifal“ am Ende nicht den Gral rot glühen, sondern das Tageslicht als Zeichen der Freiheit in Gefängnismauern hereinleuchten.
Lothar und Sylvia Schweitzer, 8. August 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Lothar und Sylvia Schweitzer
Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“