Für alle ist etwas dabei: "Die Liebe zu drei Orangen" in der Komischen Oper Berlin

Sergej Prokofjew, Die Liebe zu drei Orangen,  Komische Oper Berlin

Foto: Ivan Turšić (Truffaldino) © Monika Rittershaus
Komische Oper Berlin,
27. Oktober 2018
Sergej Prokofjew, Die Liebe zu drei Orangen

von Gabriel Pech

Ansagen vor Opernbeginn sind nie ein gutes Omen – so auch diesmal. Leider sei der Prinz „sehr kurzfristig und sehr vollständig“ ausgefallen, heißt es. Der Spielleiter selbst, Werner Sauer, werde für ihn einspringen. Dieser kennt zwar jede Bewegung des Darstellers auswendig, ist aber kein Sänger. Für den Gesang ist anderweitig gesorgt: Ein Kollege aus der Deutschen Oper, Thomas Blondelle, wird sich dessen annehmen. Allerdings spielen sie das Stück in der Deutschen Oper auf Französisch (original wäre Russisch), und diese Textfassung wird der spontan besorgte Tenor auch singen, während der Rest des Ensembles weiterhin auf Deutsch singt. Die Verwechslungskomödie beginnt also bereits, bevor die erste Musik erklungen ist.

Lustigerweise geht der Notfallplan ganz gut auf. Werner Sauer spielt diesen Prinzen überzeugend und charmant. Es ist gut zu erkennen, dass er alles genau so spielt, wie er es den Darstellern vormachen würde – übrigens hat Bertolt Brecht seinerzeit genau diesen Duktus von seinen Schauspielern verlangt. Das verstärkt den Effekt der Verfremdung und damit den Eindruck, ständig ein offenes, theatrales Spiel vor sich zu sehen. Wir betrachten aus einem gewissen Abstand, wie sich der Prinz auf der Suche nach seiner großen Liebe in diese Märchenhandlung verstrickt.

Der Tenor Thomas Blondelle steht indessen, wenn er etwas zu singen hat, am Pult vor der Bühne. Seine Stimme ist sehr sanft, butterweich und bis in die Höhen durchgehend von einer überzeugenden Stabilität geprägt. Wahrscheinlich um sich selbst besser zu hören, hält er sich leider fast durchgehend die Hand an sein Ohr – damit de facto vor seinen Mund. Das ist gewiss der Spontaneität und Aufregung geschuldet, zerstört aber trotzdem das Bild und wirkt unprofessionell. Nichtsdestotrotz überzeugt er stimmlich mit einem hohen emotionalen Einfühlungsvermögen.

Die Hauptakteure dieser Oper sind aber zweifelsohne die Darstellerinnen und die Darsteller des Ensembles. Hier setzt es sich zusammen aus Mitgliedern des Ernst Senff Chors und Chorsolisten und Komparsen der Komischen Oper Berlin. Sie sind überhaupt der wichtigste Bestandteil dieses Abends: Sie simulieren das Publikum, welches darüber streitet, ob sie nun eine Tragödie, eine Komödie, etwas Lyrisches oder doch etwas sinnfrei Lustiges sehen wollen. Gleichzeitig kommentieren sie die Handlung und greifen an mancher Stelle sogar ein.

Überwältigend ist die Präsenz jedes einzelnen Ensemblemitglieds. Eine solch stabile schauspielerische Leistung sieht man bei Opernchören anderorts nur selten und auch Prokofjews kontrastreiche Partitur meistern sie gekonnt. Nicht umsonst hat die Komische Oper Berlin bereits zweimal den Titel „Opernchor des Jahres“ bei der Kritikerumfrage der Opernwelt davontragen können – ganz zu schweigen von der zweimaligen Verleihung des Titels „Opernhaus des Jahres“.

Bei den Drei Orangen kann man erahnen, woher dieser ganze Wirbel kommt und wie diese Inszenierung vor zwei Dekaden wieder aus der Versenkung geholt wurde. Seitdem ist die energiereiche Oper fest im Repertoire des Hauses verankert. Deshalb sind auch die Sängerinnen und Sänger routiniert und entspannt.

Svetlana Sozdateleva besticht mit einem ausladenden Sopran. Sie lässt die böse Zauberin Fata Morgana wie eine Königin der Nacht erklingen. Ihre Stimme ist stark dramatisch geprägt, worunter die Textverständlichkeit der gebürtigen Russin manchmal aber zu leiden hat.

Ihren Gegenspieler, den guten Zauberer Celio, spielt Philipp Meierhöfer. In dieser Rolle darf er wieder sein komödiantisches Talent unter Beweis stellen, wenn der Zauberer gegen Fata Morgana im abstrusen Kartenspiel verliert und damit das Schicksal des guten Prinzen scheinbar besiegelt wird. Sein Bass ist dabei stets klar und definiert, jedes Wort ist klar verständlich.

Ebenfalls als Spaßmacher tritt Ivan Turšić als Truffaldino auf. Er besitzt einen stringenten Tenor, der ihm eine gute Präsenz verleiht. Er versteht es, den Prinzen aus seiner Melancholie zu reißen, und auch das Publikum mag ihn.

Melancholie mag sich beim Publikum aber sowieso nicht einstellen. Denn aus dem Orchestergraben erklingt Prokofjews mitreißende Musik, von der sich unter anderem John Williams für seinen Star Wars-Soundtrack hat inspirieren lassen. Beachtet man die Ähnlichkeit von Parade of the Ewoks und Prokofjews Marsch aus den Drei Orangen, könnte man boshaft beinahe sagen John Williams hat sich einfach nur bedient.

Der Generalmusikdirektor Ainārs Rubiķis interpretiert die Partitur besonders schmissig, die volkstümlichen Elemente werden gut hervorgehoben.

Auch die Inszenierung des deutschen Regisseurs Andreas Homoki unterstützt diese Kurzweiligkeit. Nicht nur Werner Sauer hat dabei die benötigte Einstellung auf die Bühne gebracht, sondern auch die anderen Sängerinnen und Sänger sind Teil dieser geistreich humorvollen Geschichte. Das Abstruse des Märchens wird in den Vordergrund gerückt und zelebriert.

So kann sich jeder das mitnehmen, was er von diesem Abend braucht: Sei es ein unterhaltsames Opernerlebnis mit schmissigen Ohrwürmern, ein geistreicher Kommentar auf die interdisziplinären Gattungsdiskussionen der Oper oder aber ein französisch singender Tenor mit Hand vor dem Mund.

Gabriel Pech, 30. Oktober 2018, für
klassik-begeistert.de

Musikalische Leitung, Ainārs Rubiķis
Inszenierung, Andreas Homoki
Spielleitung, Werner Sauer
Bühnenbild, Frank Philipp Schlößmann
Kostüme, Mechthild Seipel
Dramaturgie, Werner Hintze
Chöre, David Cavelius
Licht, Franck Evin

Fata Morgana, Svetlana Sozdateleva
Celio, Philipp Meierhöfer
Der König, Jens Larsen
Der Prinz, Thomas Blondelle (singt), Werner Sauer (spielt)
Prinzessin Clarice, Maria Fiselier
Leander, Günter Papendell
Pantalone, Dominik Köninger
Truffaldino, Ivan Turšić
Prinzessin Linetta, Marta Mika
Prinzessin Nicoletta, Georgina Melville
Prinzessin Ninetta, Mirka Wagner
Smeraldine, Karolina Gumos
Die Köchin, Philipp Meierhöfer
Farfarello / Der Herold, Samuli Taskinen
Chorsolisten der Komischen Oper Berlin, Ernst Senff Chor Berlin

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