Kirill Petrenko goes Broadway in Berlin: mit Tschindarassa ins Neue Jahr

Silvester-Konzert, Berliner Philharmoniker, Kirill Petrenko, Diana Damrau  Philharmonie Berlin 

Die allererste Wahl sind die Komponisten Sondheim, Arlen und Waxmann nicht. Es muss, speziell an einem solchen Datum, nicht unbedingt der Kosmos einer Mahler-Symphonie oder ein Werk der Wiener Klassik sein, so viel Tschingderassa aber vielleicht auch nicht. Möglicherweise ist gerade das aber passend für eine Stadt, die alljährlich zu Silvester in ihren Straßen den Ausbruch des Dritten Weltkriegs simuliert.

Philharmonie Berlin © Schirmer
Silvester-Konzert
, Aufführung am 30. Dezember 2019

Berliner Philharmoniker
Kirill Petrenko  Dirigent
Diana Damrau  Sopran

Werke von George Gershwin, Richard Rogers, Leonard Bernstein, Kurt Weill, Stephen Sondheim und Harold Arlen. Zugaben von Frederick Loewe und Franz Waxmann.

von Peter Sommeregger

Es ist schon beinahe eine Tradition bei Spitzenorchestern, die traditionellen Silvester-bzw. Neujahrskonzerte mit ungewöhnlichem Repertoire zu bestreiten. Die Wiener Philharmoniker sind durch ihre Tradition  auf die Strauss-Dynastie und deren musikalische Satelliten festgelegt. Die Staatskapelle Dresden setzt seit einer Weile auf halbszenische Operetten-Verschnitte. Bei den Berliner Philharmonikern variieren die Programme.

Der neue Chefdirigent, Kirill Petrenko, erklärt das erste Silvesterkonzert seiner Amtszeit natürlich zur Chefsache. Wer will es ihm verdenken, dass er beim Programm weitgehend auf ein Open-air-Konzert zurückgreift, das er im Juli 2019 während der Münchner Opernfestspiele mit dem Bayerischen Staatsorchester dirigiert hat?

Es ist durchaus ein Vergnügen, ein Orchester vom Rang der Berliner Philharmoniker ein für sie nicht alltägliches Programm spielen zu hören, ebenso wie es den einzelnen Musikern sichtbar Spaß macht, dem Affen einmal so richtig Zucker geben zu können. Als Solistin hat man die gefeierte Sopranistin Diana Damrau verpflichtet, auch sie ein Garant für den erwünschten Glamour-Faktor. Schon mit der ersten Gesangsnummer aus Richard Rogers‘ Musical Carousel gewinnt sie das Publikum: in apartes Altrosa gewandet bezaubert sie nicht nur stimmlich, auch optisch ist ihre charmante Darbietung sehr ansprechend. Sie wird an diesem Abend noch zwei weitere Roben präsentieren, ein großer Aufwand für insgesamt sechs Gesangsnummern.

Petrenko jagt sein Orchester nach einer Gershwin-Overtüre durch die Symphonischen Tänze aus der West Side Story, danach das Symphonic Nocturne aus Lady in the Dark, und nach zwei weiteren Gesangsnummern stürzt er sich beherzt in Gershwins Tondichtung An American in Paris, bei dem das Orchester tatsächlich alle Register ziehen kann , und beim Publikum berechtigten Jubel auslöst. Als Zugabe singt Diana Damrau noch aus My Fair Lady und Petrenko lässt es mit der Filmmusik aus Taras Bulba, komponiert von Franz Waxmann, noch einmal so richtig krachen. Jubel, Trubel, und nach kurzem, aber heftigem Applaus ist das Spektakel zu Ende.

© Wilfried Hösl

Niemand hat ernsthaft befürchten müssen, Petrenko und die Philharmoniker könnten aus dieser Musik keine Funken schlagen, es sind aber solche, die bereits beim Verlassen des Saals ohne großen Nachhall verpuffen. Nichts gegen die Qualitäten der Kompositionen eines Gershwin und Bernstein, aber in Kombination mit den eher seichten Gesangsnummern markieren sie doch ein Niveau, das dem des Orchesters, des Dirigenten und der Solistin nur bedingt gerecht wird. Diana Damrau, die blendend disponiert aus jeder ihrer Nummern eine kleine Performance macht, hat absolut keine Broadway-Stimme, der Big-Band-Sound des Orchesters deckt sie zeitweise zu, allzu fein ziseliert ist ihre Phrasierung. Und – Hand aufs Herz – die allererste Wahl sind die Komponisten Sondheim, Arlen und Waxmann tatsächlich nicht. Es muss, speziell an einem solchen Datum, nicht unbedingt der Kosmos einer Mahler-Symphonie oder ein Werk der Wiener Klassik sein, so viel Tschindarassa aber vielleicht auch nicht. Möglicherweise ist gerade das aber passend für eine Stadt, die alljährlich zu Silvester in ihren Straßen den Ausbruch des Dritten Weltkriegs simuliert.

Peter Sommeregger, 1. Januar 2020 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

 

 

Ein Gedanke zu „Silvester-Konzert, Berliner Philharmoniker, Kirill Petrenko, Diana Damrau
Philharmonie Berlin “

  1. Sie bringen es auf den Punkt – Chapeau! Diana Damraus Stimme ist inzwischen leider in einem bedenklichen Zustand. Eigentlich habe ich mir das Ganze nur angeschaut und -gehört, weil ich Damraus Hit früherer Tage, Bernsteins „Glitter and be gay“ , hören wollte. Nach diesem Auftritt weiß ich, warum sie sich dieser immensen Herausforderung nicht mehr stellt!

    Dietmar Vollmert

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