Von expressiv zarter Klangschönheit bis zu kataraktdonnerndem Getöse ist alles dabei

Silvesterkonzert 2024, Philharmonie Lemberg, Gudni A. Emilsson, Dirigent  Bremer Konzerthaus Die Glocke, 31. Dezember 2024

Die Glocke Bremen © Ullrich Altmann und Patric Leo

Silvesterkonzert 2024

Mit einem derart begeisternden Konzert dürften am Ende eines wahrhaft ereignisreichen Jahres nicht nur die Erwartungen der eingangs erwähnten Zuhörer vollends erfüllt worden sein.

Giuseppe Verdi: Ouvertüre aus „Die Macht des Schicksals“

Felix Mendelssohn Bartholdy:  Konzert für Violine und Orchester e-Moll op.64

Antonín Dvořák: Sinfonie Nr.9. op.95 „Aus der Neuen Welt“

Philharmonie Lemberg
Marko Komonko Violine
Gudni A. Emilsson  Dirigent

Bremer Konzerthaus Die Glocke, Großer Saal, 31. Dezember 2024

von Dr. Gerd Klingeberg

Zu Weihnachten das Weihnachtsoratorium, zum Neujahr wie gewohnt ein Johann-Strauß-Walzer. Aber welche Musik passt denn am besten zu einem Silvesterkonzert? Nun ja, man wünsche sich Musik, die plastische Bilder hervorruft. Allzu klassisch ernst dürfe es natürlich nicht sein, eher gefällig, heiter optimistisch. Und gerne etwas Bekanntes. So und so ähnlich höre ich einige Konzertbesucher neben mir bei einer Diskussion über das, was sie erwarten.
Die eingangs von der Philharmonie Lemberg vorgetragene Ouvertüre zu Giuseppe Verdis melodramatischer Oper „Die Macht des Schicksals“ passt allerdings nicht so ganz in dieses Raster. Von Beginn an faszinieren indes die markanten Ausführungen des Orchesters mit einem gehörigen Maß an aufwühlender Spannungsintensität, Dramatik und, zum Ende hin, mit ausgeprägtem Pathos.

Deutlich sanfter lässt es Dirigent Emilsson bei Mendelssohns meisterhaft komponiertem Violinkonzert angehen. Der selbstsicher auftretende Geiger Marko Komonko positioniert sich mit kraftvoll energischem Strich und breitem, tragfähigem Klang seines Instruments als souverän aufspielender Solist. Das Tempo des Kopfsatzes ist einigermaßen forsch, mitunter drängend, wirkt aber dank präziser Spielweise niemals übertrieben. Unter dem umsichtigen Dirigat erweist sich das Orchester dazu als durchweg optimal an den Solopart angepasster Klangkörper. Nur gelegentlich deutet Komonko ein Rubato an; die Kadenz überzeugt hingegen mit intensiver Farbigkeit.

Vom „Lied ohne Worte“ zum Turbo-Modus

Der hochromantische Mittelsatz schließt sich ruhig fließend an. Expressive Klangschönheit steht orchestral und solistisch im Vordergrund. Da hätte man sich anfangs noch ein bisschen mehr an Süße und Wehmut, an wohligerem Schwelgen in feinsten Harmonien gewünscht. Es dauert halt etwas, bis die Energie des 1. Satzes bei den Ausführenden abgebaut scheint – aber dann, ab etwa Satzmitte, ist es soweit: Man kann Mendelssohns Komposition in ihrer ganzen Poesie als wunderschönes „Lied ohne Worte“ ausgiebig genießen.

Für den Allegro-Finalsatz schaltet Emilsson nach der kurzen, noch bedächtigen Einleitung auf Turbo-Modus. Mit Bravour und wirbelndem Bogen nimmt Komonko leichthändig die zahllosen schnellen Figurationen und Läufe, ganz ohne jedwede Abstriche hinsichtlich einer präzisen Ausführung. Nur kurz dauert die vermeintliche Ruhe vor der Coda, dann folgt ein grandios strahlender Schluss.

Als Zugabe hat Komonko die „Recuerdos de la Alhambra“ (F. Tárrega) parat. Das original für Solo-Gitarre komponierte Stück ist violinistisch eine krasse Herausforderung. Akkurat gelingt Komonko zwar jeder Ton, aber die komplexe Aktion der mit fünf Gitarristenfingern zu erfolgenden Anschläge lässt sich bogentechnisch nur mit ziemlich häufig kratzigem Ansatz imitieren. Trotzdem: Chapeau für die geigerische Höchstleistung, die vom Publikum dann auch mit frenetischem Beifall bejubelt wird.

Ein zum Dahinschmelzen schönes Largo

Für den engagierten Violinisten ist der Einsatz damit überraschenderweise noch nicht beendet: Für Antonín Dvořáks Neunte sitzt er an seinem angestammten Konzertmeisterpult. Tatsächlich ist hier auch jede Streicherstimme vonnöten. Denn bei der „Neuen Welt“ spielt das Orchester, das sich bei Mendelssohn in Abstimmung zum Solisten bisweilen noch eher zurückhaltend gegeben hat, jetzt seine dynamische Bandbreite auch seitens Bläsern und Pauke in extenso aus. Emilsson setzt dazu auf großformatige Spannungsbögen und eine gut durchstrukturierte Gestaltung, die vor allem auch die vielen Anleihen an amerikanische Musik deutlich herausgestellt.

Zum ausgemachten Clou wird erwartungsgemäß der Largo-Satz. Schon der hymnisch-pathetische Blechbläser-Start mit nachfolgend sehr sensibel angegangener Streicherpartie geht unter die Haut. Und beim lyrisch-elegischen Englischhorn-Solo könnte man glatt dahinschmelzen vor Rührung, scheint es doch, als würde die Zeit stehenbleiben bei diesen wunderschön aquarellös nachgezeichneten Klangfarben und Naturtönen. Ein kurzes wuchtiges Zwischenfortissimo weckt kurzzeitig die Gemüter, um gleich darauf zurückzukehren zur melodiösen Melancholia: Besinnliche Momente vom Feinsten, die erfreulicherweise (auch das darf mal betont werden!) wie auch während des gesamten Konzerts nicht durch Applaus zwischen den Sätzen unterbrochen werden.

Der Kontrast zum zackig markanten, vorsichtig drängenden Scherzo kommt dadurch optimal zum Ausdruck. Und auch mit dem sogar noch kontrastreicheren letzten Satz Allegro con fuoco kann das Orchester überzeugen. Da scheint es mitunter kataraktdonnernd wie bei den Niagarafällen zuzugehen, dann wiederum sorgen geradezu kontemplativ zart plätschernde Motive für kurze Atempausen, bis das Orchester in Bündelung sämtlicher Stimmen mit einem schier alles hinwegfegenden tsunamitosenden Fortissimo den imposanten Schlussakzent setzt.

Mit einem derart begeisternden Konzert dürften am Ende eines wahrhaft ereignisreichen Jahres nicht nur die Erwartungen der eingangs erwähnten Zuhörer vollends erfüllt worden sein.

Dr. Gerd Klingeberg, 1. Januar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Neujahrskonzert 2025 (Vol. 3), die 1. Frau, Muti / Wiener Philharmoniker klassik-begeistert.de, 1. Januar 2025

Neujahrskonzert 2025, Wiener Philharmoniker, Riccardo Muti Musikverein Wien, Goldener Saal, 1. Januar 2025

Neujahrskonzert (Vol. 2), Wiener Philharmoniker, Riccardo Mutti klassik-begeistert.de, 1. Januar 2025

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