Sinnlicher Rausch mit Jonas Kaufmann beim Silvesterkonzert in der Berliner Philharmonie

Silvesterkonzert, Richard Wagner  Philharmonie Berlin, 31. Dezember 2023

Vida Miknevičiūtė, Sopran mit Jonas Kaufmann, Tenor © Monika Rittershaus

„Winterstürme wichen dem Wonnemond“. Wer am Silvesterabend in der Berliner Philharmonie etwa musikalisch beschwingt-beschwipste Champagnerperlen erwartet hat, muss sich zur großen Freude aller Wagner- Enthusiasten mit deutlich ernsterer Opernkost in konzertanter Variante begnügen.

Programm:

Richard Wagner
Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg: Ouvertüre und Der Venusberg

Richard Wagner
Die Walküre: 1. Akt (konzertante Aufführung)

Berliner Philharmoniker
Dirigent: Kirill Petrenko

Vida Miknevičiūtė, Sopran (Sieglinde)
Jonas Kaufmann, Tenor (Siegmund)
Tobias Kehrer, Bass (Hunding)

Philharmonie Berlin, 31. Dezember 2023

von Nicole Hacke

Doch das macht fast gar nichts, denn wenn ein Kirill Petrenko am Dirigentenpult seinen Taktstock erhebt und ein Jonas Kaufmann noch dazu singt, gleicht das einer der zauberhaftesten Metamorphosen, die aus Wagners epischen Kompositionen ein Faszinosum sinnlich explosiver Klangerlebnisse hervorbringt.

Und so steigert sich der festlich stimmende Abend gleich mit der Ouvertüre und dem Venusberg aus Tannhäuser und dem Sängerkrieg auf Wartburg in einen irisierenden Rausch tonaler Ergüsse.

Mit sanfter Hand und einem eindringlich fordernden Gestus erhebt Kirill Petrenko seinen Taktstock. In wogenden Fließbewegungen, kontrolliert und immer mit einer gewissen Portion Pathos umflort, fühlt man sich wie magisch in das Dirigat hineingezogen. Es zieht einen, treibt und erhebt einen und lässt einen für Sekunden in einem Schwebezustand verharren.

Die Musik trägt den Zuhörer auf Händen, während Kirill Petrenko zwischen aufbrausender Manie und entrückter Zärtlichkeit mit oftmals geschlossenen Augen sein Dirigat genießt, in ihm schwelgt und es auf eine Empore strahlender Herrlichkeit erhebt.

Großartig ist der Klang der Berliner Philharmonie, großartig der ebenso explosive Klangzauber, der sich wie funkelnder Sternenstaub in alle tonalen Richtungen absetzt und wie ein sprühendes Feuerwerk fulminant verglüht.

Doch dann bricht er los, der Sturm der Stürme: Jonas Kaufmann betritt die Bühne, geschniegelt im Frack und ganz offensichtlich in herausragend stimmlicher Kondition.

Als Siegmund nach Unterschlupf suchend, in einer unwirtlichen Nacht allein auf weiter Flur, dringt Kaufmanns dunkelsamtige Stimme aus der Kälte der einsamen Natur an die angenehme Oberfläche warmgolden timbrierter Klangfarben.

Strahlend, klar und stentoral begibt sich der Held auf eine gesangliche Reise, die ihn geradewegs in die Arme seiner Schwester Sieglinde treibt.

Mit den Wälse-Rufen beweist der deutsch-österreichische Tenor wieder einmal, wie ausdauernd intensive Legato-Linien gehen, welch langer Atem aus einem Tenor einen Tenorissimo macht und mit welch herrlichen Phrasierungen Kaufmann Wagners melodiöse Poesie florieren lässt.

Einen ganzen bunten Strauß herrlich duftender Blumen breitet Jonas Kaufmann musikalisch farbenreich gesättigt vor dem Zuhörer aus.

Es ist ein Ohrenschmaus, ein einzigartiges Vergnügen mitzuerleben, wie gesund, kraftvoll und strahlend warm die Stimme des Tenors klingt, die noch vor wenigen Monaten schwer angeschlagen, oftmals dumpf und farblos klang.

Bei „Winterstürme wichen dem Wonnemond“ träumt man sich mit der eleganten, dunkelsamtigen Stimme Kaufmanns in mondsüchtige Sphären.

Vida Miknevičiūtė, die sich als Sieglinde an der Seite von Tenor Kaufmann behauptet, strahlt weniger hell und findet auch keinen Zugang zu ausgewogen glatten Registerverblendungen.

Scharf klingt es, wenn die Litauerin sich an den Obertönen laut und Vibrato-stark vergeht. Alle Weichheit, die ihre wirklich betörend perlend klare Mittellage verspricht, wird von ihren überdreht scharf klingenden hohen Tönen verdrängt, was sehr schade und wenig gehörgängig anmutet.

Nichtsdestotrotz gelingt ihr eine schauspielerische Dramatik, die das gesangliche Defizit in den exponierten Tonlagen ein wenig wett macht.

Beeindruckend, da sonor und voluminös satt, ist der Auftritt von Tobias Kehrer, der als Bass eine herausragende „Performance“ abliefert.

Zwar bedauert man im ersten Moment den Ausfall von Georg Zeppenfeld. Doch schon relativ schnell umschmeichelt einen die ozeanisch tiefe Klangwucht des Bassisten, der augenscheinlich auch in seiner Rolle als Hunding vollends aufgeht.

Begeisterungsstürme durchfegen den Saal nach Verklingen des letzten Schlussakkords. Das Publikum lässt tosende Applaus-Salven auf das Orchester, seinen Dirigenten und die Solisten, allen voran Jonas Kaufmann, abfeuern. Verebben will der tosende Beifall lange nicht.

Aber dann gibt es noch eine Zugabe: Mit dem Prelude zu Akt III aus Lohengrin beschließt Kirill Petrenko den fulminanten Abend, der noch lange in Erinnerung bleiben wird.

Nicole Hacke (operaversum.de), 31. Dezember 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

S I L V E S T E R K O N Z E R T , Richard Wagner Philharmonie Berlin, 29. Dezember 2023

Giuseppe Verdi, Otello, Jonas Kaufmann, Ludovic Tézier Wiener Staatsoper, 3. November 2023

Richard Wagner, Parsifal Wiener Staatsoper, 9. April 2023

Richard Wagner, Lohengrin, Roberto Alagna, Vida Mikneviciute, René Pape Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 13. Dezember 2020

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