„Lohengrin“ Unter den Linden: Trash von der Resterampe

Richard Wagner, Lohengrin, Roberto Alagna, Vida Mikneviciute, René Pape  Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 13. Dezember 2020

Die völlige Abwesenheit von ästhetisch ansprechenden Bildern, Kostümen und Requisiten macht die dreieinhalb Stunden dauernde Aufführung zu einer wahren Prüfung. Der Schwan ist den ganzen Abend nur als kleine Origami-Papierfigur präsent, in dem schlampig-salopp gekleideten Roberto Alagna begegnet man eher einem in die Jahre gekommenen latin lover als einem Wagnerhelden. Warum hat die Staatsoper das sich und uns angetan?

Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 13. Dezember 2020
arte-Livestream zeitversetzt

Foto: Monika Rittershaus (c)

Lohengrin
romantische Oper von Richard Wagner
Roberto Alagna (Lohengrin)
Vida Mikneviciute (Elsa von Brabant)
René Pape (Heinrich der Vogler )
Martin Gantner (Friedrich von Telramund)
Ekaterina Gubanova (Ortrud)
Adam Kutny (Heerrufer des Königs)

Inszenierung Calixto Bieito
Dirigent Matthias Pintscher
Bühnenbild / Ausstattung / Bauten Rebecca Ringst
Kostüme Ingo Krügler

von Peter Sommeregger

Während der gefühlten Ewigkeit, die Daniel Barenboim bereits die Berliner Staatsoper Unter den Linden leitet, haben die Werke Richard Wagners seit Beginn Hochkonjunktur. Jede seiner gängigen zehn Opern wurde in der Ära Barenboim bereits mehrfach neu inszeniert. Paradoxerweise fällt regelmäßig jede dieser Neuproduktionen erheblich schlechter aus, als die vorangegangene. Mit einem derartigen künstlerischen Tiefpunkt wie dem neuen „Lohengrin“ in der Regie Calixto Bieitos hatte man aber nun doch nicht gerechnet.

Man hätte gewarnt sein können: der seinerzeit genialische und provokante Bieito ist inzwischen nur noch provokant, sein Talent ist ihm offenbar in den letzten Jahren abhanden gekommen. Das ist eigentlich inzwischen Allgemeinwissen, zur Intendanz der Lindenoper hat es sich aber noch nicht herumgesprochen. Also kam das Publikum – Pandemie-bedingt – nur per Livestream in den zweifelhaften Genuss einer Inszenierung, die der Regisseur lange nach seinem künstlerischen Offenbarungseid ablieferte.

Im ersten Moment denkt man, der Sender hätte das Band vertauscht, und man sähe den Mitschnitt einer Probe in Zivil in einem frühen Stadium der Produktion. Weit gefehlt, das  Ambiente eines nüchternen Gerichtssaales der Gegenwart mit Protagonisten in Straßenkleidung ist beabsichtigt, garantiert gleichzeitig aber auch eine ästhetische Abwertung. Die Aktionen des deutlich reduzierten Chores sind ein gutes Beispiel für Bieitos Unfähigkeit, schlüssige Charakterisierungen zu erarbeiten. Im weiteren Verlauf der Handlung müssen sich die Choristen selbst als Clowns schminken und Grimassen schneiden, allen voran der Heerrufer von Adam Kutny, dem die Rolle des Oberclowns zugedacht ist, und der leider etwas knödelig textunverständlich singt.

Die Elsa von Vida Mikneviciute kann mit einem schön gesungenen Traum Elsas punkten. Martin Gantners Stimmvolumen für den Heldenbariton Telramund reicht aus, aber ein wenig mehr Substanz hätte man sich doch gewünscht. Die beiden entscheidenden Aktionen des ersten Aufzuges finden nicht wirklich statt: Lohengrins Ankunft erfolgt durch einen misslungenen Lichteffekt, danach steht der etwas schmuddelige Schwanenritter einfach im Raum. Der Zweikampf mit Telramund fällt ebenfalls aus, stellvertretend haben sich ein paar Choristen die Hemden ausgezogen und sich mit Blut beschmiert. Das Zusammenspiel von Chor, Orchester und Solisten kommt im Finale des ersten Aktes ein paar mal ziemlich durcheinander, störend nimmt man die kleine Chor-und Orchesterbesetzung wahr, die natürlich auch dem Virus geschuldet ist.

Monika Rittershaus (c)

Der zweite Aufzug kommt praktisch ohne Bühnenbild aus, eine drehbare Tribüne ist der Schauplatz, und ähnlich uninspiriert wird zumeist an der Rampe agiert. Beim Gang zum Münster erscheint Elsa in einem Brautkleid, das sie später ausziehen wird, um es vor dem Kirchgang wieder anzuziehen. Der nun endgültig zum Clown gewordene Heerrufer erscheint mit einer monströsen Hochzeitstorte, an der zuerst Elsa knabbert, bevor sie zum Aktschluss von der frustrierten Ortrud zerstört wird.

Der dritte Aufzug bringt keinerlei Lichtblick in die optische Ödnis der Inszenierung. Lohengrins und Elsas Hochzeitsnacht nimmt ihren negativen Verlauf auf einer IKEA-Couch, nach dem eingetretenen Beziehungs-Gau wechselt die Szenerie wieder in den Gerichtssaal aus dem ersten Aufzug. Hier muss der Schwanenritter nun seine Identität preisgeben, und Roberto Alagna muss beweisen, dass er dieser Rolle gewachsen ist. Ein Ausfall ist seine Leistung nicht, aber gegen Ende des Abends werden erhebliche stimmliche Verschleißerscheinungen hörbar, wie der Sänger sie  auch bei der kürzlichen Scala-Eröffnung in Milano offenbarte. Auch die Damen Mikneviciute und Gubanova geraten deutlich an ihre vokalen Grenzen. Selbst René Pape, dem die Regie eine Parkinson-Erkrankung aufbürdet, klingt als König Heinrich in der Höhe eng.

Monika Rittershaus (c)

Warum Daniel Barenboim die Chefsache Wagner diesmal Matthias Pintscher am Pult überlassen hat, ist nicht bekannt. Pintscher zieht sich durchaus gut aus der Affäre, optimal ist das Zusammenspiel zwischen Bühne und Graben allerdings nicht.

Die völlige Abwesenheit von ästhetisch ansprechenden Bildern, Kostümen und Requisiten macht die dreieinhalb Stunden dauernde Aufführung zu einer wahren Prüfung. Der Schwan ist den ganzen Abend nur als kleine Origami-Papierfigur präsent, in dem schlampig-salopp gekleideten Alagna begegnet man eher einem in die Jahre gekommenen latin lover als einem Wagnerhelden. Warum hat die Staatsoper das sich und uns angetan?

Peter Sommeregger, 14. Dezember 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Jonas Kaufmann, it’s Christmas!, der Tenor singt 42 Weihnachtslieder klassik-begeistert.de

 

 

 

2 Gedanken zu „Richard Wagner, Lohengrin, Roberto Alagna, Vida Mikneviciute, René Pape
Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 13. Dezember 2020“

  1. Lieber Herr Sommeregger,

    wieso schauen Sie sich überhaupt moderne Inszenierungen an und muten uns dann andauernd Ihre negativen und bösartigen Kritiken zu?

    Lassen Sie sich doch von den Festspielen in Erl fest als Kritiker anstellen und schreiben nur noch positiv über die Ihnen gefallenden Fellinszenierungen. Mit Hörnern!

    Da würde uns allen viel erspart werden.

    Viele Grüße

    Ulrich Poser

  2. Anscheinend zweifelt Calixto Bieito an der Aussagekraft der von Wagner geschaffenen Oper „Lohengrin“ in der heutigen Zeit. Mir geht es so mit dem „Tannhäuser“.

    Lothar Schweitzer

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