Marco Armiliato (Musikalische Leitung) © SF/Marco Borrelli
Manchmal wünscht man sich „Regietheater“. Vor allem, wenn bei Verdis „Simon Boccanegra“ nichts wirklich zündet. Marco Armiliatos Dirigat verläuft auf Flatline. Die Oldschool-Inszenierung kommt nicht richtig vom Fleck. Der Gesang haut in Summe auch nicht aus den Socken. Fast symbolisch gehen im Orchester-Graben der Wiener Staatsoper die Lichter vorzeitig aus.
Giuseppe Verdi, Simon Boccanegra
Wiener Staatsoper, 11. April 2024
von Jürgen Pathy
Man sieht es, doch man glaubt es kaum. Bei Verdis „Simon Boccanegra“ blättert selbst Marco Armiliato in der Partitur. Sonst dirigiert der 57-jährige Italiener eigentlich alles aus dem Kopf. Ob das ein Grund dafür ist, warum nichts wirklich zündet, wäre reine Spekulation. Armiliato erweist sich zwar als „Advokat der Partitur“, irgendwie fehlt aber jegliches Feuer. Kaum Amplituden nach oben oder unten, alles irgendwie monotoner Gleichklang. Im Krankenhaus wäre der Patient damit tot.
Ein halber Kaufmann ist nicht die volle Miete
Auf der Bühne vermisst man ebenfalls das Spektakel. Freddie De Tommaso hat zwar eine Stimme, die teilweise an Jonas Kaufmanns erinnert. Überhaupt im tiefen Register, wenn alles etwas in den Gaumen rutscht. Zur feinen Klinge eines Kaufmann fehlt aber noch eine gehörige Portion. Überhaupt in puncto Darstellung, Phrasierung und geschmeidiger Linienführung über alle Register hinweg. Die Stimme hat Potenzial, keine Frage. Immer wieder blitzen hohe Töne auf, bei denen man sich denkt: Vielleicht wird der 30-jährige Italo-Brite gerade zurecht so gehypt. Doch auf das gewisse Etwas, das die Großen alle vereint, bin ich noch nicht gestoßen.
Ebenso wenig bei Federica Lombardi, auf die Direktor Bogdan Roščić große Stücke zu legen scheint. Bereits bei Mozart fließt nicht immer alles aus einem Guss, als Amelia wirkt aber jede Phrase hart erkämpft. Leicht und geschmeidig, Wohlfühlfaktor also, der geht von dieser Sopranstimme an diesem Abend nicht aus. Auch, wenn ihr das Publikum zum Ende einhellig zu Füßen liegt.
Nur die tiefen Stimmen überzeugen
Zum Glück führen drei andere einen leichteren Kampf. Kwangchul Youn überzeugt als Fiesco mit kräftigem Bass. Ein Patrizier, dem man seine Oberschichts-Attitüde mit jeder Faser abkauft. Ensemblemitglied Clemens Unterreiner erwischt auch einen hervorragenden Tag. Als Paolo, der am Ende seinen Herrscher Boccanegra vergiftet, beweist der mal wieder seine Vielseitigkeit. Dynamisch, kraftvoll, ein Heldenbariton, der mit viel Einsatz auf die Bühne stürmt.
Bariton Daniel Luis de Vicente erfüllt seine Aufgaben als Titelfigur mit Bravur. Eine sonore Stimme, mit knackigem Timbre, die aber etwas vielschichtiger gestalten könnte. Mehr als nur ein solides Gespann der tiefen Stimmen also.
Insgesamt reißt das alles dennoch nicht vom Hocker. Darüber täuscht auch eine einzelne Hysterische nicht hinweg. Im Parkett, ganz vorne, Reihe vier, rechts außen eher – ein Platz, den Sänger gerne Freunden oder der Familie zuschanzen. Rund 20 Euro statt 220 Euro. Den deutlich verfrühten Szenenapplaus teilt der Rest des Publikums weniger euphorisch.
Die Regie wirkt ebenso farblos. Oldschool, klassisch. Alles finster, statisch, kaum Personenführung. Roben in dunklen Erdfarben. Eine typische Vorlage für Oper im klassischen Sinne: Keine Ablenkungen, dezenter Rahmen, vor auf die Rampe und singen. Idealer Steilpass diesbezüglich von Regisseur Peter Stein – wenn von der Bühne und aus dem Graben mehr kommen würde.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 13. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Strauss, Der Rosenkavalier Wiener Staatsoper, 30. März 2024
Gioachino Rossini, Guillaume Tell, Wiener Staatsoper, 13. März 2024
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