von Peter Sommeregger
Es ist wohl nur Zufall, geschah auch in unterschiedlichen Jahren, aber es mutet seltsam an, dass fünf Tenöre der internationalen Spitzenklasse jeweils an einem 8., 9. oder 10. September starben. Sie alle verdienen, dass man sich ihrer erinnert.
Peter Anders hatte bereits vor dem zweiten Weltkrieg eine große Karriere als Opern-, Operetten- und Liedsänger, sang in Hamburg, Berlin, Dresden sowie bei den Festspielen von Salzburg und Edinburgh. Nach den Kriegsjahren entwickelte sich seine Stimme zum heldischen Fach, für 1955 war sein Debüt in Bayreuth in Aussicht genommen. Anfang September 1954 erlitt er einen schweren Autounfall, an dessen Folgen er am 10. September 1954 im Hamburger Hafenkrankenhaus starb. Seine letzte Ruhe fand er auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Seine zahlreichen Plattenaufnahmen haben die Erinnerung an ihn bis heute lebendig erhalten.
Jussi Björling, der 1911 geborene schwedische Tenor, begann seine Karriere bereits mit weniger als 20 Jahren und stieg rasch zum Star auch außerhalb Schwedens auf. Mehr als zwanzig Jahre lang war er einer der großen Stars der New Yorker Met. Schon frühzeitig machte ihm eine erblich bedingte Herzerkrankung zu schaffen, aber wie sich herausstellte beeinträchtigte auch ein Alkoholproblem die Gesundheit des Sängers. Zahlreiche Schallplatten, aber mehr noch Mitschnitte von Aufführungen der Met zeigen Björling als den größten lyrischen Tenor seiner Zeit, nicht wenige Kenner halten ihn bis heute für den Allerbesten. Nimmt man z.B. den Mitschnitt des „Maskenballs“ von 1940 an der Met, ist man geneigt, sich diesem Urteil anzuschließen. Die DECCA plante eine Einspielung dieser Oper mit Björling und der ebenfalls schwedischen Sopranistin Birgit Nilsson. Als Björling zum ersten Termin im Studio alkoholisiert erschien, wurde er durch Carlo Bergonzi ersetzt, was erst Jahrzehnte später bekannt wurde. Viel zu früh, mit gerade einmal 49 Jahren starb der Tenor am 9. September 1960. Auch bei ihm sind es die Schallplatten, die ihn unsterblich gemacht haben.
Wolfgang Windgassen, der 1914 geborene Heldentenor, für Jahrzehnte Star in Bayreuth, aber auch an fast allen internationalen Bühnen speziell für Wagner-Partien eingesetzt, hatte in seinem Vater Fritz sein großes Vorbild. Fritz Windgassen war zwar nur eine eher regionale Größe, aber seine guten Gene scheint er dem Sohn vererbt zu haben. Wie bei seinem Vater wurde die Stuttgarter Oper sein Stammhaus, aber Gastspiele führten ihn in die ganze Welt. Für lange Zeit war er der Wagner-Tenor schlechthin, alle Fachkollegen mussten sich an ihm messen lassen. Georg Solti verpflichtete ihn als Siegfried für seine inzwischen legendäre Einspielung des „Ring des Nibelungen“. In Stuttgart trat er häufig zusammen mit seiner Ehefrau Lore Wissmann auf. Es ist bedauerlich, dass diese vorzügliche Sopranistin leider nie ganz aus dem Schatten ihres berühmten Mannes getreten ist. Windgassen war noch aktiv, als er am 8. September 1974, gerade 60 Jahre alt, einen tödlichen Herzinfarkt erlitt. Kein Sänger hatte wie er das Neu-Bayreuth Wieland Wagners geprägt.
Alfredo Kraus, der 1927 auf Gran Canaria geborene große spanische Tenor, Sohn einer spanischen Mutter und eines österreichischen Vaters, wollte ursprünglich Ingenieur werden, und entschloss sich erst später zu einem Gesangstudium. Das erklärt sein relativ spätes Debüt als Sänger mit fast dreißig Jahren. Danach machte er aber schnell Karriere. London, Mailand, Venedig waren wichtige Stationen auf seinem Weg zum Weltruhm. Fachleute rühmten die Qualität seines lyrischen Tenors, den er nicht nur in der Oper sondern erfolgreich auch in Zarzuelas einsetzte. Er schien sich selbst in fortgeschrittenem Alter noch immer zu steigern, selbst seine Auftritte jenseits seines 70. Geburtstages wurden zurecht gefeiert. Kraus schien die ewige (stimmliche) Jugend gepachtet zu haben. Dann erkrankte er aber an Krebs, und starb am 10. September 1999 in Madrid. Seine berühmteste Aufnahme ist der Mitschnitt einer „Traviata“ mit Maria Callas in Lissabon, die als „Lissaboner Traviata“ Schallplattengeschichte schrieb.
Johan Botha, 1965 in Südafrika geboren, studierte und debütierte noch in seiner Heimat, nahm danach allerding Engagements an verschiedenen kleineren deutschen Opernhäusern an, wo er sich ein solides Repertoire an Partien erarbeitete. Nach erfolgreichen Auftritten in Paris und an der Mailänder Scala wurde ab Mitte der 1990er Jahre die Wiener Staatsoper seine künstlerische Heimat. Hier trat er in praktisch sämtlichen seiner zahlreichen Partien auf, wurde 2003 zum bisher jüngsten Österreichischen Kammersänger ernannt. Botha war Gast an praktisch allen bedeutenden Opernhäusern der alten und der neuen Welt und avancierte zu einem der gesuchtesten Tenöre der Welt, als er 2015 an Leberkrebs erkrankte. Der Sänger unterzog sich zwar noch einer intensiven Behandlung, starb aber am 8. September 2016 in Wien. Sein kräftiger Heldentenor ist auf zahlreichen Mitschnitten der Wiener Staatsoper erhalten, die Lücke, die er hinterließ ist bis heute nicht wirklich geschlossen.
Peter Sommeregger, 8. September 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Ladas Klassikwelt (c) erscheint jeden Montag.
Frau Lange hört zu (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.
Hauters Hauspost (c) erscheint jeden zweiten Donnerstag.
Radek, knapp (c) erscheint jeden zweiten Donnerstag.
Pathys Stehplatz (c) erscheint jeden zweiten Donnerstag.
Daniels Antiklassiker (c) erscheint jeden Freitag.
Spelzhaus Spezial (c) erscheint jeden zweiten Samstag.
Der Schlauberger (c) erscheint jeden Sonntag.
Ritterbands Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Sonntag.
Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen’. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.