Sommereggers Klassikwelt 108: Beethoven 10 - der künstlichen Intelligenz fehlt leider das Genie

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Wer ein bedeutendes musikalisches Ereignis erwartet hatte, wurde enttäuscht.

Das Cover des Albums „Ludwig van Beethoven X – The AI Project © Bild: Modern Recordings/BMG/Warner

von Peter Sommeregger

Anlässlich des Beethovenjahres 2020 sollten die von Beethovens Hand stammenden Skizzen für eine 10. Symphonie mittels künstlicher Intelligenz bearbeitet und zu einem aufführbaren Werk komprimiert werden. Die Pandemie hat dieses Vorhaben um ein Jahr verschoben, aber inzwischen wurde das „Werk“ vom Beethovenorchester Bonn unter Dirk Kaftan der Öffentlichkeit vorgestellt.

Wer ein bedeutendes musikalisches Ereignis erwartet hatte, wurde enttäuscht. Das aus nur zwei Sätzen, nämlich Scherzo und Rondo, bestehende Fragment stützt sich auf Beethovens originale Handschrift, ein Computer, den man vorher mit zahlreichen Kompositionen des Meisters „gefüttert“ hatte, versuchte nun mit Hilfe der künstlichen Intelligenz Beethovens Intentionen nachzuspüren und diese Skizzen zu einem Ganzen zusammen zu fügen.

Tatsächlich klingt das, was man hören kann, stilistisch eindeutig nach Beethoven. Vergeblich wartet man aber auf ein markantes Motiv, eine musikalische Idee. Das Scherzo plätschert etwas belanglos dahin, das kann unmöglich die Idee des Schöpfers von neun Symphonien gewesen sein, den man schon allein für das kapriziöse Scherzo seiner 9. Symphonie lieben müsste. Im als Rondo bezeichneten Satz hört man plötzlich auch eine Orgel, deren Auftauchen doch etwas unmotiviert klingt. Sicher haben im späten 19. Jahrhundert Komponisten wie Gustav Mahler das Spektrum der verwendeten Instrumente erweitert, aber das war lange nach Beethovens Zeit.

Es ist fast beruhigend, dass diese gut 20 Minuten künstlicher Beethoven in keiner Weise überzeugen können. Bei allem Fortschrittsglauben und der Neugier auf die Möglichkeiten, die uns die künstliche Intelligenz in der Zukunft erschließen wird, hier fehlt entschieden das Genie, und das kann die KI nicht ersetzen.

Die Komplettierung von unvollendet hinterlassenen Werken großer Komponisten zieht sich schon lange durch die Musikgeschichte. Zumeist haben die Witwen der Komponisten versucht, kompetente Vollender zu finden, nicht immer erfolgreich. Die Witwe Carl Maria von Webers fand in Gustav Mahler den Mann, der Webers letzte Oper „Die drei Pintos“ vollendete, einen Platz im Repertoire konnte sich das Werk aber im Gegensatz zu Webers anderen Opern nicht erobern.

Mahler selbst hinterließ bei seinem Tod eine unvollendete 10. Symphonie, deren Komposition aber weit fortgeschritten war. Namhafte Komponisten lehnten aber das Angebot von Mahlers Witwe Alma ab, das Werk zu vollenden. Das von Mahler fertig gestellte Adagio wird regelmäßig aufgeführt, aus den Skizzen und Entwürfen für die restlichen Sätze haben mehrere Musikwissenschaftler spielbare Fassungen erstellt. Jene des englischen Musikwissenschaftlers Deryck Cooke wird tatsächlich von Zeit zu Zeit aufgeführt, aber ob sie in dieser Form den Ansprüchen Gustav Mahlers genügt hätte, muss bezweifelt werden.

Ein sehr spezieller Fall ist auch der Versuch, Anton Bruckners neunte und letzte Symphonie, deren vierter Satz vom Komponisten nur in Skizzen existiert, zu vervollständigen. Bruckner hatte bis zum letzten Tag seines Lebens um die Vollendung dieser „dem lieben Gott“ gewidmeten Symphonie gerungen. Schwierigkeiten bereitete ihm der Plan, die in d-moll stehende Symphonie in C-dur enden zu lassen, worüber ihn seine Kräfte verließen. Die heute von Zeit zu Zeit aufgeführte Fassung des vollendeten Finales stammt von einer ganzen Reihe von Musikwissenschaftlern und ist als Samale-Mazzuca-Phillips-Cohrs-Version bekannt.

In der letzten Konsequenz fehlt aber all diesen verdienstvollen Versuchen der Funke des Genies. Und den werden Wissenschaftler und künstliche Intelligenz (hoffentlich) nie ersetzen können .

Peter Sommeregger, 12. Oktober 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Beethovenfest 2021, Ludwig van Beethoven, Symphonie Nr. 9 d-Moll op. 125 mit dem Schlusschor über Friedrich Schillers Ode »An die Freude« (1822–24) World Conference Center Bonn, 20. August 2021, Saal New York

Daniels Anti-Klassiker 7: Ludwig van Beethoven, Sinfonie Nr. 9 in d-Moll „Ode an die Freude“ (1824)

 

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