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von Peter Sommeregger
Man will es gar nicht glauben: die zierliche, quirlige Reri Grist, die ab den 1960er Jahren das Opernpublikum Europas, später auch ihrer Heimat USA verzauberte, wird heute unglaubliche 90 Jahre alt. Nachdem sie aber an einem 29. Februar geboren wurde, könnte sie ihr Alter theoretisch durch vier dividieren.
Geboren in New York wurde sie am Queens College ihrer Heimatstadt ausgebildet, nachdem sie bereits als Kind in Musicalproduktionen am Broadway aufgetreten war. Ein entscheidender Moment für ihre Karriere war 1957 die Mitwirkung an der Uraufführung von Leonard Bernsteins „West Side Story“, in der sie die Rolle der Consuelo verkörperte und das Lied „Somewhere“ kreierte. Bernstein behielt sie im Auge und spielte später mit ihr Gustav Mahlers 4. Symphonie ein. Dies führte wiederum dazu, dass Igor Strawinsky sie für eine Aufführung und Platteneinspielung seiner „Le Rossignol“ verpflichtete.
Ab 1959 nahm Grist Engagements in Europa an, so trat sie an der Kölner Oper auf, ehe sie ein festes Engagement am Zürcher Opernhaus einging. Mit ihrem glockenhellen lyrischen Sopran und ihrer fulminanten Technik der Koloratur eroberte sie schnell Publikum und Kritiker. Ihr Engagement war das erste für eine afro-amerikanische Sängerin an einem europäischen Opernhaus. In Zürich sang Reri Grist bis 1966 eine breite Palette lyrischer Sopranpartien von Mozart, Richard Strauss, Donizetti und vielen anderen.
Im Jahr 1963 hatte sie mit der Zerbinetta in Strauss’ Oper „Ariadne auf Naxos“ einen sensationellen Erfolg an der Wiener Staatsoper, mit der sie über 25 Jahre verbunden blieb. In dieser Zeit hatte ich das Glück, die Sängerin häufig zu hören und war, wie das gesamte Wiener Publikum, nicht nur von der Qualität ihres Gesanges, sondern auch von dem spitzbübischen Charme und ihrer Bühnenpräsenz begeistert. Die Salzburger Festspiele erlebten sie ebenfalls als Zerbinetta und in verschiedenen Mozart-Partien unter Karl Böhm, der sie auch zu verschiedenen Schallplattenaufnahmen heranzog. Erneut unter Leonard Bernstein war sie in Wien 1968 als Sophie im „Rosenkavalier“ zu hören, eine Partie, die sie später auch an der Metropolitan Opera unter Karl Böhm sang, nachdem sie dort 1966 als Rosina in Rossinis „Barbier von Sevilla“ erfolgreich debütiert hatte. Damals mussten sich amerikanische Sänger noch in Europa durchsetzen, ehe man sie an die ehrwürdige Met berief.
Ein zweites europäisches Standbein für Reri Grist wurde die Bayerische Staatsoper in München, wo sie von 1965 bis 1983 regelmäßig auftrat. Ihr größter Erfolg dort wurde die Aminta in Richard Strauss’ „Schweigsamer Frau“, die auch als Plattenmitschnitt erhalten ist. 1976 verlieh man ihr in München den Titel „Bayerische Kammersängerin“.
Nach ihrem Rückzug von der Bühne im Jahr 1991 begann Reri Grist eine umfangreiche Lehrtätigkeit, zuerst in Bloomington, USA, später an der Hochschule für Musik und Theater in München. Grist war Mitglied in zahlreichen Jurys und kümmerte sich aktiv um den Sängernachwuchs.
Sie ist verheiratet mit Dr. Ulf Thomson, einem Musikmanager, mit dem sie eine 1968 geborene Tochter hat. Das Ehepaar lebt in Hamburg.
Reri Grist bezaubert mit der Unverwechselbarkeit ihres lyrischen Timbres, ihrer hohen Musikalität und Präsenz, die selbst auf ihren Schallplatten zu erleben ist. Eine ganze Reihe von Gesamtaufnahmen ihrer Glanzrollen bewahrt ihre Stimme auch für die Zukunft.
An ihrem 90. Geburtstag gehen herzliche Glückwünsche an die Künstlerin nach Hamburg!
Peter Sommeregger, 1. März 2022, für
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Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen’. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.
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