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Bruno Walter sagte über Ethel Smyth: „Sie hatte eine flammende Seele. Sie brannte ununterbrochen, ob sie komponierte, ob sie schrieb […], ob sie als Suffragette agitierte, ob sie in einer Art Kimono ein Orchester dirigierte oder ob sie sich unterhielt.“
von Peter Sommeregger
In Zeiten, in denen praktisch keine Position, kein Amt oder Beruf einer Frau verwehrt würde, lohnt ein Blick auf die Komponistin Ethel Smyth, die als Kind des 19. Jahrhunderts lebenslang um Anerkennung und Erfolg ringen musste.
Geboren am 22. April 1858 in eine Familie der oberen Mittelschicht wuchs Ethel in der Grafschaft Kent auf. Sie soll ein trotziges, eigenwilliges Kind gewesen sein, dem es erst mit großer Mühe gelang, den Eltern ein Musikstudium in Leipzig abzutrotzen. Dieses Studium war zu dieser Zeit für ein Mädchen äußerst ungewöhnlich, bestenfalls als Musiklehrerin hätte sie es später nutzen können. In Leipzig waren allerdings bereits auch Frauen für den Kompositionsunterricht zugelassen, und das war das eigentliche Ziel von Ethel Smyth: Komponistin zu werden.
Zunächst war die Studentin vom Leipziger Konservatorium enttäuscht. Sie vermisste die Ernsthaftigkeit des Unterrichts, hatte aber Gelegenheit, in Leipzig bedeutende Persönlichkeiten wie Clara Schumann, Edvard Grieg und Johannes Brahms kennenzulernen. Von dem kinderlosen Ehepaar Herzogenberg wurde sie nicht nur unterrichtet, sondern beinahe wie ein Pflegekind aufgenommen. Mit Elisabeth von Herzogenberg entwickelte sich über die Zeit ein Liebesverhältnis, das von deren Ehemann entweder nicht bemerkt, oder aber toleriert wurde. Als Ethel 1882 für eine Weile nach Florenz zog, sorgte sie dort für das Ende der Ehe von Elisabeths Schwester Julia Brewster und deren Ehemann Henry, der sich nämlich in die eigentlich lesbisch veranlagte Ethel verliebte. Erst in späteren Jahren gab sie dessen Werbung nach.
Erfolge als Komponistin ließen auf sich warten. Ihre auf Deutsch geschriebenen Balladen, Texte und Lieder stießen in ihrer britischen Heimat auf Unverständnis. Einen ersten Erfolg konnte sie mit ihrer Messe in D erzielen, der sogar das Wohlwollen von George Bernard Shaw fand. Ihr von der deutschen Spätromantik stark beeinflusstes Werk umfasste die verschiedensten Gattungen, von der Kammermusik bis zur Oper.
Ihre erste Oper „Fantasio“ wurde 1898 am Weimarer Hoftheater uraufgeführt; Smyth verbrannte später aber die Noten des Werkes. An der Hofoper Berlin hatte 1902 ihre Oper „Der Wald“ Premiere, die später auch in London und sogar an der Metropolitan Opera New York gespielt wurde- als erstes Werk einer Komponistin in den Annalen dieses Hauses.
Trotz zunehmender Anerkennung ihrer Werke blieb Ethel Smyth eine höchst streitbare Person. Sie schloss sich in ihrer Heimat der Bewegung der Suffragetten an, die vehement für die Rechte der Frauen kämpften.
Im Jahr 1914 sollten zwei Opern von Smyth an Deutschen Bühnen aufgeführt werden, in München „The Wreckers“ von Bruno Walter, der Smyth und ihre Kompositionen schätzte. Der Ausbruch des 1. Weltkrieges im August 1914 verhinderte allerdings diese Aufführungen. In ihrer britischen Heimat hatte sie dagegen wachsenden und nachhaltigen Erfolg, dort wurden ihr auch zahlreiche Ehrungen zu Teil. Bereits 1910 erhielt sie die Ehrendoktorwürde der Universität von Durham, der noch zwei weitere folgten. Im Jahr 1922 ernannte sie König George V. zum Dame Commander of the British Empire.
Als ihr Gehör im Alter nachzulassen begann, betätigte sie sich zunehmend literarisch, verfasste einige autobiographische Werke. 1940 erschien ihre Autobiographie „What Happened Next“ in London und New York.
Zu ihrem 75. Geburtstag wurde sie umfassend geehrt, zum Abschluss dirigierte Sir Thomas Beecham in der Royal Albert Hall ihre Messe in D in Anwesenheit von Königin Mary.
Zurückgezogen starb Ethel Smyth am 8. Mai 1944 in ihrem Landhaus in Woking, Surrey.
Leider konnte sich ihr Werk außerhalb Englands nie wirklich durchsetzen, immer wieder gibt es Versuche, auch ihre Opern wieder aufzuführen. Es gäbe viel Interessantes zu entdecken, aber auch die Tonträger-Industrie macht bis heute einen Bogen um die Werke von Ethel Smyth. Erst in den letzten Jahren erschienen CDs mit ihren Kompositionen. Vielleicht finden sich ja unter den inzwischen zahlreichen Dirigentinnen Streiterinnen für eine Wiederbelebung ihres reichen Oeuvres.
Bruno Walter sagte über Ethel Smyth: „Sie hatte eine flammende Seele. Sie brannte ununterbrochen, ob sie komponierte, ob sie schrieb […], ob sie als Suffragette agitierte, ob sie in einer Art Kimono ein Orchester dirigierte oder ob sie sich unterhielt.“
Peter Sommeregger, 21. April 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.
Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen’. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.
Ethel Smyth war auch eine leidenschaftliche Golferin. Nachdem sie gestorben und eingeäschert war, wurde ihre Asche, wie sie es verlangt hatte, in den Wäldern neben ihrem Golfclub verstreut.
Yehya Alazem