Sommereggers Klassikwelt 148: Wer kennt noch Christina Deutekom?

Sommereggers Klassikwelt 148: Wer kennt noch Christina Deutekom?  klassik-begeistert.de

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von Peter Sommeregger

In den Monat August fallen sowohl der Geburtstag (28. August 1931) als auch der Todestag (7. August 2014) der holländischen Sopranistin Christina Deutekom. Höchste Zeit, wieder einmal an die Sängerin zu erinnern, die eine außergewöhnliche internationale Karriere hatte, an der sich aber auch die Geister schieden.

Die als Christine Engel in Amsterdam geborene Künstlerin nahm nach ihrer Heirat 1952 den Familiennamen ihres Ehemannes an. Nach dem Ende ihres Gesangsstudiums trat sie zunächst in kleineren Rollen auf, angeblich war es die große Elisabeth Schwarzkopf, die auf Deutekom aufmerksam wurde, als diese sich vor einer Vorstellung mit der Arie der Königin der Nacht einsang.

Diese Partie wurde ab 1963 zum ersten Markenzeichen der Sängerin, weltweit ist sie damit aufgetreten, und die Erfolge öffneten ihr die Türen zu den großen Opernbühnen der Welt. Sie erarbeitete sich schnell ein umfangreiches Repertoire, das durchaus Partien einschloss, die jenseits ihres Faches als dramatischer Koloratursopran lagen. Neben einer Reihe von Rollen in Mozart-Opern glänzte sie auch in Partien Verdis, Puccinis und Komponisten von Belcanto-Opern. Daneben bediente sie auch das leichtere Fach, als Operetten-Sängerin hatte sie eine erfolgreiche Konzert-Karriere.

Im Jahr 1974 eröffnete sie an der Seite Plácido Domingos die Saison an der Metropolitan Opera New York als Elena in Verdis Vespri Siciliani, ab dem Ende der 1960er Jahre gab es kaum ein großes Opernhaus, an dem sie nicht erfolgreich aufgetreten ist.

Der Philips-Konzern, der damals noch ein eigenes unabhängiges Schallplatten-Label betrieb, ergriff freudig die Gelegenheit, eine einheimische Künstlerin gebührend herauszustellen. Neben Gesamtaufnahmen von frühen Verdi-Opern waren es hauptsächlich die Aufnahmen von Operetten-Liedern die sich gut verkauften. Georg Solti besetzte sie als Königin der Nacht in seiner ersten Zauberflöten-Aufnahme, allerdings hatte Deutekom zu diesem Zeitpunkt große Konkurrenz in ihrem Fach. Es war die Zeit, in der Montserrat Caballé, Katia Ricciarelli und Ileana Cotrubaş den Schallplatten-Markt beherrschten. Damit gab sich aber der große Kreis von Deutekom-Fans nicht zufrieden, Aufnahmen vom Graumarkt machten zahlreich die Runde. So wurden gleich mehrere Mitschnitte von Norma und Lucia di Lammermoor veröffentlicht, bei denen Christina Deutekom keine Konkurrenz fürchten müsste.

Die Technik der Sängerin war eigenwillig, böse Zungen bezeichneten ihre Koloraturen als Indianergeheul, Fakt ist, dass ihre Stimme hervorragend ausgebildet war und sogar dramatische Partien wie die Turandot mühelos meisterte. Bis heute stellen Hardcore-Fans YouTube-Videos der Sängerin online, wobei das ansprechende Timbre und die Treffsicherheit ihrer Spitzentöne bemerkenswert ist.

Ein Manko war während ihrer gesamten Karriere der Mangel an schauspielerischem Talent und eine wenig glamouröse Erscheinung. Aber was nützt die Anmutung eines Hollywood-Stars, wenn Stimme und Vortrag nichts Interessantes bieten? Als Künstlerin hat die Deutekom hohe Maßstäbe gesetzt, die vielen Clips auf YouTube beweisen es, ebenso die Schallplatten-Aufnahmen. Mein persönlicher Favorit sind ihre Norma aus San Francisco und ihre Fiordiligi in der Così fan tutte aus Venedig.

Ab den 1980er Jahren hatte die Sängerin vermehrt gesundheitliche Probleme, obwohl ihre Stimme nichts von der ursprünglichen Qualität verloren hatte. Nach und nach zog sie sich von der Bühne zurück, trat bevorzugt nur noch in Konzerten auf. Im Jahr 2004 erlitt sie einen Schlaganfall, nach dem sie sich völlig zurückzog. 2014 starb sie in ihrer Heimatstadt Amsterdam.

Die Beschäftigung mit ihren Aufnahmen ist noch heute lohnenswert und relativiert die Lorbeeren, die man aktuell Sängerinnen verleiht, die Christina Deutekom nicht das Wasser reichen können.

Peter Sommeregger, 23. August 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.

Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen’. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.

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Ein Gedanke zu „Sommereggers Klassikwelt 148: Wer kennt noch Christina Deutekom?
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  1. Ich habe viele unvergessliche Abende mit der Deutekom erlebt, leider nur wenige in Wien. Für mich war sie die beste Königin der Nacht!

    Fred Keller

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