Sommereggers Klassikwelt 174: Der unvergessene ungarische Dirigent Ferenc Fricsay – er gilt noch heute als bedeutender "Orchestererzieher"

Sommereggers Klassikwelt 174: Der unvergessene ungarische Dirigent Ferenc Fricsay  klassik-begeistert.de, 22. Februar 2023

von Peter Sommeregger

Unglaubliche sechzig Jahre ist es her, dass der ungarische Dirigent mit österreichischem Pass, Ferenc Fricsay, gestorben ist. Schwere Krankheit setzte dem Leben des international renommierten Dirigenten bereits mit 48 Jahren ein Ende.

Begonnen hatte dieses Leben, das trotz seiner Kürze reich an Höhen und Tiefen war, am 9. August 1914 in Budapest, unmittelbar zu Beginn des 1. Weltkrieges. Die leidvolle Geschichte seiner Heimat und Europas insgesamt prägte auch Fricsays Lebensweg.

Der Sohn eines Militärkapellmeisters studierte an der berühmten Franz-Liszt-Akademie seiner Heimatstadt, zu der an dieser Zeit berühmte Komponisten wie Bartók, Kodály und von Dohnányi lehrten. Nach Abschluss seines Studiums trat er in die Fußstapfen seines Vaters, und wurde Leiter einer Militärkapelle in Szeged, übernahm parallel dazu auch das dortige Philharmonische Orchester. Wegen seiner jüdischen Mutter geriet er 1944 in Schwierigkeiten, denen er durch Untertauchen in Budapest entkam.

Nach dem Kriegsende wirkte er von 1945 bis 1948 an der Budapester Staatsoper, wo er auf Otto Klemperer traf, der von Fricsays Talent überzeugt war und ihn in der Folge unterstützte. So sprang Fricsay auf Klemperers Empfehlung mehrfach für den erkrankten Dirigenten bei den Salzburger Festspielen ein, was ihm große Erfolge einbrachte. Fricsay hatte seine Heimat Ungarn bereits vor dem Volksaufstand von 1956 verlassen, von 1949 bis 1952 war er Chefdirigent des RIAS-Symphonieorchester und der Städtischen Oper in Berlin. Von 1950 bis 1955 unternahm er zahlreiche Tourneen durch Europäische Länder und Übersee.

Für knapp zwei Jahre wurde Fricsay anschließend Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper. Im Jahr 1958 traten erstmals gesundheitliche Probleme auf, die ihn zu einem zeitweiligen Rückzug aus seinen Verpflichtungen zwang. 1959 wird er schließlich Chefdirigent des Radio-Symphonie-Orchesters Berlin, mit dem er abermals zahlreiche Tourneen unternimmt. Die Eröffnung der neu erbauten Deutschen Oper Berlin mit „Don Giovanni“ 1961 wird zu einem Höhepunkt von Fricsays Karriere.

Die ehrwürdige Deutsche Grammophon-Gesellschaft baut nach der endgültigen Durchsetzung der Langspielplatte ihr Repertoire komplett neu auf. Sie setzt dabei teilweise auf den noch jugendlichen, aber bereits bekannten Dirigenten Ferenc Fricsay. In rascher Folge entstehen zahlreiche Einspielungen sowohl symphonischer Werke, als auch von Opern. Einen Zyklus von Mozarts großen Opern kann Fricsay nicht mehr vollenden, die Einspielung von „Così fan tutte“ übernimmt an seiner Stelle Eugen Jochum.

Wieder zwingt eine ernste Erkrankung Fricsay zum Rückzug vom Podium. 1962 erscheint sein Buch „Über Mozart und Bartók“, zwei Komponisten, denen seine besondere Liebe galt. Fricsay war mit seiner Familie in die Schweiz übergesiedelt, wo er am 20. Februar 1963 im Basler Spital seinem Leiden erlag.

Durch die ungewöhnlich große Zahl seiner hervorragenden Plattenaufnahmen ist die Kunst Fricsays auch heute noch nachvollziehbar. Er galt als großer „Orchestererzieher“, sein Label Deutsche Grammophon hat einen Großteil seiner Aufnahmen immer wieder, inzwischen remastered, wieder aufgelegt.

Das erlaubt bis heute die Beschäftigung mit einem der großen Dirigenten des 20. Jahrhunderts, auch 60 Jahre über seinen Tod hinaus.

Peter Sommeregger, 21. Februar 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.

Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen’. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.

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