Foto: Von H. Lagendyk, wikipedia.org
Vor über 70 Jahren, am 18. Juni 1952 starb der Sänger Heinrich Schlusnus. Damit ist er bereits länger tot, als er gelebt hat, denn er erreichte nur ein Lebensalter von knapp 64 Jahren.
von Peter Sommeregger
Noch heute ist der Sänger mit der Stimmlage Bariton ungewöhnlich medial präsent, nicht wenigen Liebhabern des Liedgesanges gilt er auch heute als das Maß aller Dinge, man stellt ihn sogar teilweise über den diese Szene sogar noch posthum beherrschenden Dietrich Fischer-Dieskau. Die Anfänge des Heinrich Schlusnus waren bescheiden, im rheinischen Braubach als Sohn eines Bahnbeamten geboren, musste er früh einen Brotberuf ergreifen und begann eine Ausbildung zum Postassistenten, gleichzeitig ließ er aber auch seine Singstimme ausbilden.
Der erste Weltkrieg, in dem er schwer am Bein verwundet wurde, unterbrach seinen Weg zur Bühne und Sängerlaufbahn. Das durch die
Verletzung verkürzte Bein behinderte Schlusnus später auf der Bühne, konnte aber seine erfolgreiche Karriere nicht schmälern. Die Hamburger Oper hatte ihn bereits vor Kriegsausbruch engagiert, nach der Ausheilung seiner Kriegsverletzung konnte er dieses Engagement auch antreten. Nach einem erfolgreichen Gastspiel wurde Schlusnus 1916 an die damals noch Königliche Oper Berlin engagiert, wo er sich ein umfangreiches Repertoire erarbeitete. Einen prominenten Platz nahmen dabei die großen Bariton-Partien in Giuseppe Verdis Opern ein, die damals gerade eine Renaissance auf deutschen Bühnen erlebten. Als Rigoletto, Posa, Luna und Germont feierte er wahre Triumphe. Daneben begann er sich verstärkt dem deutschen Kunstlied zu widmen, seine Liederabende machten ihn auch bei einem breiteren Publikum populär.
Bestimmend für seine weitere Laufbahn war ab 1930 sein Unterricht beim amerikanischen Gesangspädagogen Louis Bachner, den er in Berlin konsultierte. Bachner verbesserte und veränderte Schlusnus’ Gesangstechnik umfänglich, der Sänger fühlte sich wie befreit und sicher auf dem neuen stimmlichen Fundament. Auch privat war die Begegnung mit Bachner für Schlusnus schicksalhaft: als der Jude Bachner 1933 Deutschland verließ, blieb dessen Ehefrau Annemarie zurück und wurde die zweite Gattin von Schlusnus. Während des „Dritten Reiches“ wollte das Regime den urdeutschen Interpreten Schlusnus natürlich gerne für sich vereinnahmen, der Sänger übte aber weise Zurückhaltung und vermied die Nähe zu Nazigrößen. Sein einziger Sohn aus erster Ehe fiel 1943 in Russland, der Sohn seiner zweiten Frau musste Deutschland seines jüdischen Vaters wegen verlassen. Ein so genanntes Entnazifizierungsverfahren entlastete Schlusnus nach dem Krieg vollständig.
Für wenige Jahre konnte der Sänger seine Karriere noch fortsetzen, aber seine Kräfte ließen stark nach, bereits 1952 versagte ihm das Herz seinen Dienst.
Heinrich Schlusnus hat neben seinen zahlreichen Bühnenauftritten im Laufe seiner Karriere mehr als 2000 Liederabende im In-und Ausland gegeben.
Auch die Schallplatte nutzte seine Popularität, wobei der Großteil seiner Aufnahmen noch auf Schellack-Platten erschien, sie haben aber inzwischen auch den Weg auf CDs gefunden und halten den Nachruf des Sängers nach wie vor am Leben.
Im Gegensatz zu späteren Interpreten ist die Textbehandlung von Schlusnus weniger intellektuell und verkopft, er lässt seine Stimme frei strömen und baut dabei auf die Schönheit seines weichen, samtenen Timbres. Das macht seine Aufnahmen bis heute hörenswert.
Bald nach Schlusnus’ Tod erschien eine umfangreiche Biographie von Eckart von Naso, der sich dabei auf Aufzeichnungen der Witwe des Sängers stützte. Leider ist der Text zeitbedingt ziemlich schwülstig ausgefallen, bietet aber doch zahlreiche interessante Details über das bewegte Leben von Heinrich Schlusnus.
Peter Sommeregger, 13. Juni 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.
Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen’. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.
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