Sommereggers Klassikwelt 197: Richard Strauss’ „Vier letzte Lieder“ wurden posthum zum Knüller

Sommereggers Klassikwelt 197: Richard Strauss’ „Vier letzte Lieder“ wurden posthum zum Knüller  klassik-begeistert.de

von Peter Sommeregger 

Neulich entdeckte ich eine CD, die einen Live-Mitschnitt u.a. der „Vier letzten Lieder“ von Richard Strauss von den Salzburger Festspielen 1962 mit Elisabeth Schwarzkopf als Solistin enthielt. Dunkel erinnerte ich mich, jene Aufführung einst live im Radio gehört zu haben. Es war damals meine erste Begegnung mit dieser betörend schönen Musik, deren Uraufführung damals erst 12 Jahre zurücklag. Die Aufführung fand rein zufällig zwei Tage nach dem Tod von Hermann Hesse statt, der ja Autor der ersten drei Lieder war, nur beim vierten griff Strauss auf ein Gedicht Eichendorffs zurück.

Vom Komponisten nicht als Zyklus konzipiert, entstanden die Lieder in Straussfreiwilligem Exil in der Schweiz zwischen Mai und September 1948. Nicht nur ihrer Texte wegen atmen sie Wehmut und Abschiedsstimmung, sie erscheinen wie eine Bündelung des Strauss eigenen Melos, seiner Kunst, Kantilenen in weiten Bögen ausschwingen zu lassen. Das prädestiniert sie zur Interpretation durch Sopranistinnen, die auch in Strauss-Opern erfolgreich auftraten.

Eher untypisch die Besetzung der Uraufführung am 22. Mai 1950 in der Londoner Royal Albert Hall mit Kirsten Flagstad als Solistin und dem Philharmonia Orchestra unter Wilhelm Furtwängler, die als Aufzeichnung erhalten ist. Die Aufführung fand im Gedenken an Richard Strauss und seine Frau Pauline statt, die in den Monaten davor gestorben waren.

Flagstads schwerer, und damals auch nicht mehr frischer Sopran kam nur mit Mühe speziell durch das  etwas spröde Lied „Frühling“, schon bald wurden die Lieder eher die Domäne lyrischer Soprane. Zu den ersten Interpretinnen gehörte Sena Jurinac, die den nachdenklichen, aber keineswegs resignierenden Tonfall vielleicht am Besten trifft. Zwei Aufnahmen von Live-Konzerten haben ihre Interpretation bewahrt. Für die Sopranistin Elisabeth Schwarzkopf wurden die Lieder beinahe zum ständigen Begleiter. Zweimal im Studio, und in mehreren Live-Aufnahmen ist Schwarzkopf zu erleben, ein wenig störend ihre notorisch manierierte Textbehandlung. Über die Jahre fanden immer mehr Sängerinnen Gefallen an den höchst effektvollen Liedern, was sich nicht nur in den Konzertsälen, sondern auch in Plattenaufnahmen manifestierte.

Ab den 1970er Jahren stieg die Zahl der Aufnahmen rasant. Neben Leontyne Price, ging auch Gundula Janowitz damit ins Studio, danach folgten bald Lucia Popp, Sylvia Sass, Felicity Lott, Anna Tomowa-Sintow und Arleen Auger, um nur die prominentesten zu nennen. Einen Höhepunkt der Rezeptionsgeschichte setzte Jessye Norman 1985 mit ihrer Aufnahme unter Kurt Masur. Bis heute gilt diese Einspielung als vielleicht beste des Katalogs. Erst kürzlich erschien ein Live-Mitschnitt, in dem die Norman unter James Levine zu hören ist.

Vereinzelt wurden die Lieder auch mit Klavierbegleitung aufgenommen, ganz früh entstand eine solche Aufnahme mit Ljuba Welitsch, später spielte Barbara Hendricks diese Version ein.

Versuche von Tenören, diese Lieder befriedigend zu interpretieren, fielen wenig befriedigend aus. René Kollo konnte mit seiner Version nicht überzeugen, in jüngerer Zeit versuchte sich Jonas Kaufmann daran, aber diese Lieder sind und bleiben doch eher eine Domäne von Sopranistinnen. Neben den zahllosen offiziellen Einspielungen existiert noch eine unüberschaubare Reihe von Live-Mitschnitten. Fast könnte man den Eindruck gewinnen, sie würden so etwas wie die Reifeprüfung für hohe Soprane darstellen. Die für mich bewegendste Einspielung ist jene mit Lucia Popp, entstanden kurz vor ihrem Tod im Bewusstsein von dessen unmittelbarer Nähe.

Peter Sommeregger, 8. August 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.

Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Barcelona, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen.‘ Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.

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