von Peter Sommeregger
In diesem Monat sind es bereits 20 Jahre, dass der Tod von Carlos Kleiber die Musikwelt erschütterte, obwohl sich der menschenscheue Dirigent schon vorher weitgehend zurückgezogen hatte.
Karl Ludwig Kleiber wurde am 3. Juli 1930 in Berlin als Sohn des berühmten Österreichischen Dirigenten Erich Kleiber und seiner US-amerikanischen Ehefrau Ruth geboren. Sein Vater überwarf sich frühzeitig mit den nationalsozialistischen Machthabern und emigrierte nach Südamerika. Dort wurde Karl Ludwig zu Carlos, und behielt diesen Vornamen bei.
Obwohl der junge Kleiber frühzeitig Interesse und Begabung für Musik zeigte, studierte er anfangs auf Wunsch des Vater Chemie in Zürich, brach dieses Studium aber bald ab, um Musik in Buenos Aires zu studieren.
Erste Erfahrungen als Dirigent sammelte er zunächst in Montevideo und kleineren Häusern in Argentinien. Ab 1952 arbeitete er dann in Deutschland, zunächst als Korrepetitor am Gärtnerplatz-Theater in München; kurze Zeit wirkte er auch an der Wiener Volksoper, ehe er von 1957 bis 1964 als Kapellmeister an der Deutschen Oper am Rhein wirkte; in gleicher Funktion diente er dem Zürcher Opernhaus von 1964 bis 1966. Seine erste bedeutende Stellung war der Erste Kapellmeister am Staatstheater Stuttgart, die er von 1966 bis 1972 ausübte. Zu dieser Zeit begann sich seine Bekanntheit und Wertschätzung deutlich zu erhöhen. Von 1968 bis 1973 hatte er ein Gastengagement an der Bayerischen Staatsoper in München, an der er aber bis 1988 weiterhin umjubelte Gastspiele gab.
Auch an die Wiener Staatsoper wurde er für mehrere Produktionen verpflichtet. Er dirigierte dort Tristan und Isolde, Carmen, La Bohème und Rosenkavalier. Bei den Bayreuther Festspielen leitete er von 1974 bis 1976 Tristan und Isolde. 1974 erfolgte sein Debüt an der Mailänder Scala und am Royal Opera House Covent Garden in London.
In den USA waren seine Auftritte dünn gesät. 1978 und 1983 leitete er Konzerte des Chicago Symphony Orchestra, an der New Yorker Met dirigierte er ab 1988 Aufführungen von La Bohème, Otello, La Traviata und Rosenkavalier.
Mit zunehmendem Alter wurde Carlos Kleiber immer wählerischer und schwieriger im Umgang, so lehnte er z.B. das Angebot der Berliner Philharmoniker ab, Nachfolger von Herbert von Karajan zu werden. Über die Jahre beschränkte sich Kleiber mehr und mehr auf ein überschaubares Programm und arbeitete nur noch mit wenigen Orchestern.
Kleibers Bestreben, stets eine perfekte Interpretation zu kreieren, machte die Arbeit mit ihm nicht leicht. Nicht wenige Orchestermusiker und Sänger wurden von ihm zur Verzweiflung getrieben. Schwierig gestaltete sich auch das Verhältnis zu seiner Schallplattenfirma Deutsche Grammophon. Häufig zögerte er, fertig gestellte Aufnahmen freizugeben. Angeblich schlummern in den Archiven noch bis heute solche Einspielungen. Zum Bruch mit der Firma kam es, als eine unfertige Tristan-Aufnahme im Studio komplettiert und veröffentlicht wurde. Trotzdem zählt gerade diese Einspielung zu den besten dieses Werkes, auch seine La Traviata, Freischütz und Fledermaus, sowie Videos der Wiener Carmen und des Rosenkavaliers genießen Kultstatus.
Verheiratet war Carlos Kleiber mit der slowenischen Tänzerin Stanislawa Brezovar. Das Ehepaar hatte einen Sohn und eine Tochter. Nach dem Tod seiner Ehefrau im Dezember 2003 zog sich Kleiber vollständig zurück.
Sein Tod am 13. Juli 2004 in seinem Ferienhaus in Konjšica in Slowenien kam völlig überraschend, bis heute wird spekuliert, dass der Dirigent freiwillig aus dem Leben schied, wie gerüchteweise auch seine beiden Elternteile. Seine letzte Ruhestätte fand Kleiber an der Seite seiner Frau.
Bis heute ist Carlos Kleiber unvergessen, seine Interpretationen haben hohe Maßstäbe gesetzt und gelten für Viele bis heute als unerreicht. Bei aller Scheu vor Tonaufzeichnungen existieren neben den offiziellen Einspielungen auch Aufnahmen auf dem Graumarkt, die hoch begehrt sind. Für mich persönlich zählen die Opernabende unter seiner Leitung zu den schönsten musikalischen Erinnerungen.
Peter Sommeregger, 9. Juli 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.
Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen’. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.