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von Peter Sommeregger
Der Name weniger Künstler ist so stark mit dem Neubeginn der Bayreuther Festspiele verbunden, wie jener der Sopranistin Astrid Varnay. Die am 25. April 1918 in Stockholm geborene Sängerin war eine echte Kosmopolitin. Als Kind ungarischer Eltern verbrachte sie ihre ersten Lebensjahre in Schweden, ehe die Eltern aus wirtschaftlichen Gründen in die USA wechselten.
Ihr Gesangsstudium begann Varnay bei ihrer Mutter Mária Jávor, die eine erfolgreiche Koloratursopranistin war. In von ihr erhaltenen Schallplattenaufnahmen kann man eine interessante, technisch hervorragend gebildete Stimme hören. Von ihrem Vater, dem Tenor Alexander Varnay, existieren keine Tonaufnahmen, er starb jung, nur wenige Jahre nach der Ankunft in New York.
Ab 1939 setzte Astrid Varnay ihre Studien bei Hermann Weigert fort, einem deutschen Dirigenten, der seiner jüdischen Abstammung wegen 1933 Deutschland verlassen hatte. Weigert arbeitete als Studienleiter und Korrepetitor an der New Yorker Metropolitan Opera. Mit Varnay erarbeitete er sämtliche Sopranpartien in Opern Richard Wagners, aber auch Rollen des italienischen Repertoires.
Mit nur 23 Jahren debütierte die Sängerin am 6. Und 12. Dezember 1941 an der Met, jeweils als Einspringerin, als Sieglinde und Brünnhilde in der „Walküre“. In den folgenden Jahren war sie in praktisch sämtlichen Wagner-Partien an dem Haus zu hören, dazu kamen „Salome“ und „Elektra“ von Richard Strauss.
Im Jahr 1944 heiratete sie ihren Lehrer Hermann Weigert, für den sie bereits die vierte Ehefrau war. Ab 1948 trat Varnay auch in Europa auf, den Anfang machte Covent Garden in London 1948 , danach sang sie beim Maggio Musicale in Florenz Verdis Lady Macbeth.
Wieland Wagner verpflichtete das Ehepaar ab 1951 für die ersten neu organisierten Bayreuther Festspiele nach dem zweiten Weltkrieg. Weigert war als Assistent der Festspielleitung tätig, seine Frau war 1951 die erste Brünnhilde im Ring-Zyklus, eine Rolle, die ihr für viele Jahre in Bayreuth erhalten blieb. Einzige Konkurrentin war Martha Mödl, mit der sie sich auch in anderen Rollen abwechselte.
Als Senta und Ortrud war die Künstlerin ebenfalls die erste Interpretin nach dem Krieg. 1952 war sie auch als Isolde zu hören, später übernahm sie nach alter Tradition auch kleinere Rollen im Ring, so die Gutrune und die 3. Norn. Jeweils zweimal war sie außerdem als Sieglinde und später auch als Kundry zu hören. Ihre letzte Brünnhilde in Bayreuth sang sie in einer „Götterdämmerung“ 1967.
Ihre Bayreuther Auftritte förderten Varnays europäische Karriere, in Deutschland trat sie hauptsächlich in Berlin, München und der Deutschen Oper am Rhein auf, aber im Laufe der Jahre sang sie an sämtlichen bedeutenden Opernbühnen der Welt.
Hermann Weigert starb 1955, Ende der 1950er Jahre verlegte Varnay ihren Wohnsitz nach München, wo sie noch einige Jahre ihre hochdramatischen Partien sang, ehe sie allmählich einen Fach- und Rollenwechsel vornahm. Sie wechselte von der Elektra zur Klytemnästra, von der Salome zur Herodias, usw. Einen nachhaltigen Eindruck hinterließ ihre Interpretation der Küsterin in Janáčeks „Jenůfa“. Nach, aber auch noch während ihrer aktiven Sängerkarriere gab Astrid Varnay ihr großes Wissen an Studierende weiter.
Gestorben ist sie am 4. September 2006 in München, wo sie in einem schlichten Urnengrab auf dem Friedhof am Perlacher Forst bestattet wurde.
Varnays Stimme verfügte über große Kraft und Volumen, wobei auch die tiefen Register gut entwickelt waren. Die stählerne Durchschlagskraft einer Birgit Nilsson fehlte ihrer Stimme, dafür war das Spektrum ihrer Ausdrucksmöglichkeiten deutlich größer.
Ich hatte zuerst in Wien, später in München häufig Gelegenheit, sie zu hören. Leider verpasste Astrid Varnay den richtigen Zeitpunkt, um von den großen Rollen Abschied zu nehmen. Im Alter wurde ihre Stimme rau und scharf, die Spitzentöne standen ihr nicht mehr zur Verfügung. Den später vollzogenen Fachwechsel hätte sie deutlich früher wagen sollen. In München wurde sie trotzdem als „Urgestein“ verehrt und hat sich nachhaltig in die Annalen der Bayerischen Staatsoper eingeschrieben.
Live-Mitschnitte aus Bayreuth und New York, aber auch von ihrer Salzburger „Elektra“ unter Herbert von Karajan haben ihre expressive Stimme für die Nachwelt bewahrt.
Peter Sommeregger, 13. August 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.
Der gebürtige Wiener Peter Sommeregger (Jahrgang 1946) besuchte das Humanistische Gymnasium. Er wuchs im 9. Gemeindebezirk auf, ganz in der Nähe von Franz Schuberts Geburtshaus. Schon vor der Einschulung verzauberte ihn an der Wiener Staatsoper Mozarts „Zauberflöte“ und Webers „Freischütz“ – die Oper wurde die Liebe seines Lebens. Mit 19 Jahren zog der gelernte Buchhändler nach München, auch dort wieder Oper, Konzert und wieder Oper. Peter kennt alle wichtigen Spielstätten wie die in Paris, Madrid, Verona, Wien und die New Yorker Met. Er hat alles singen und dirigieren gehört, was Rang und Namen hatte und hat – von Maria Callas und Herbert von Karajan bis zu Riccardo Muti und Anna Netrebko. Seit 26 Jahren lebt Peter in Berlin-Weißensee – in der deutschen Hauptstadt gibt es ja gleich drei Opernhäuser, die er auch kritisch rezensiert: u.a. für das Magazin ORPHEUS – Oper und mehr. Buchveröffentlichungen: „‘Wir Künstler sind andere Naturen’. Das Leben der Sächsischen Hofopernsängerin Margarethe Siems“ und „Die drei Leben der Jetty Treffz – der ersten Frau des Walzerkönigs“. Peter ist seit 2018 Autor bei klassik-begeistert.de.
Sommereggers Klassikwelt 245: Wer kennt noch Eleanor Steber, die erste Nachkriegs-Elsa in Bayreuth?
Vielen Dank für diesen Beitrag!
Ihr Artikel entführt mich nach Düsseldorf in den 60ern, als ich als Bundeswehrsoldat auf Heimgang immer in die Rheinoper ging, 2 DM, 4. Rang Seite. Dabei erwischte ich auch eine Premiere der Walküre mit Astrid Varnay, und Astrid Varnay war mein „Spontanerlebnis“ für Wagner: fast eine dreiviertel Stunde Beifall, jede Menge Blumen, und der eiserne Vorhang war längst gefallen. Hans Hopf war Siegfried.
Danach habe ich sie immer wieder gehört und gesehen, als Ortrud, in Elektra (mit Martha Mödl) und – unvergesslich – 1963 als Isolde mit Set Svanholm unter Alberto Erede und in der ersten Operninszenierung von Jean-Pierre Ponnelle. Auch wenn ihre Stimme in der Höhe mittlerweile begrenzt war, faszinierte sie mit einer hinreißenden Mittellage und ihren darstellerischen Qualitäten.
J. Capriolo